"Mehrheit der M+E-Unternehmen hat dringenden Änderungsbedarf beim Arbeitszeitrecht"

"Mehrheit der M+E-Unternehmen hat dringenden Änderungsbedarf beim Arbeitszeitrecht"

"Mehrheit der M+E-Unternehmen hat dringenden Änderungsbedarf beim Arbeitszeitrecht"

Statement von Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger bei der Vorstellung der Arbeitszeit-Umfrage unter Beschäftigten und Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie:

Meine Damen und Herren,

Sie haben gesehen: die Beschäftigten der deutschen Metall- und Elektro-Industrie sind beim Thema Arbeitszeit ganz überwiegend zufrieden. Nicht zuletzt, weil sie in ihrem Arbeitsalltag ein ausgewogenes Geben und Nehmen erleben.

Das kommt für mich nicht überraschend. Schließlich bin ich jeden Tag in unserem Unternehmen unterwegs und spreche mit meinen Mitarbeitern – und die auch mit mir. Und diese sagen mir unmissverständlich, wenn ihnen etwas nicht passt.

Da ich unsere Industrie kenne, war ich mir sicher, dass nicht nur unsere eigenen Mitarbeiter zufrieden sind. Und die Umfragen bestätigten die Annahme.

Das betrifft zugegebenermaßen vor allem die Arbeitnehmer der Metall- und Elektro-Industrie, die wir hier befragt haben. Aber die stellen mit 3,8 Millionen Arbeitsplätzen immerhin mehr als die Hälfte aller Industriearbeitsplätze – und mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von über 54.000 Euro zudem sehr gut bezahlte.

Die Umfragen bestätigen zahllose andere Umfragen, die allesamt der M+E-Industrie eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter in und mit ihrer Arbeit bescheinigen.

Dabei geht es um viele Themen. Allerdings gibt es Dauerbrenner wie zum Beispiel die Arbeitszeit, die seit einiger Zeit wieder Debattenthema ist. Und das nach meiner Auffassung zu Recht.

Auch aus Sicht der Unternehmen ist das so, denn Arbeitszeit ist ein zentraler Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, gerade in der Metall- und Elektro-Industrie. Wir haben weltweit die kürzesten tariflichen Arbeitszeiten, und das bei den erwähnt hohen Einkommen. Motor des Wohlstands war und ist die Industrie. Und die steht in einem harten internationalen Wettbewerb. Sie hat Produkte im Angebot, die Kunden auf der ganzen Welt überzeugen. Nur deshalb kann sie den Beschäftigten hohe Löhne zahlen. Damit ist aber auch klar: Der Kunde entscheidet, wann was produziert werden muss - und daher, wann Arbeit geleistet werden muss. Den Wohlstand müssen wir uns auch in Zukunft erarbeiten.

Dass Arbeitszeit für unsere Arbeitnehmer ein Thema ist, ist auch nachvollziehbar.

Die Politik vermutet dort ein Thema, mit dem man beim Wähler punkten kann, ohne selber dafür Verantwortung übernehmen zu müssen.

Und nicht zuletzt ist das auch ein Thema aus Sicht der Medien, die hier ein reichweitenstarkes und diskussionsauslösendes Thema sehen – was sicher ein Stück weit auch eigener Betroffenheit, was die Arbeitsbedingungen angeht, geschuldet ist.

Hinter der Debatte steht die völlig zutreffende Erkenntnis, dass der Industriestandort Deutschland an einer Wegmarke steht, und sich die Arbeitswelt nachhaltig verändert.

Wir erleben dabei dreifachen Wandel: erstens einen technologischen, zweitens einen gesellschaftlichen sowie drittens den demografischen.

Wenn wir in Deutschland den Wohlstand bewahren oder mehren wollen, müssen wir die Auswirkungen auf die Arbeitswelt nüchtern analysieren und entsprechend reagieren. Der technologische Wandel, insbesondere die Digitalisierung, verändert die Wertschöpfungsmodelle. Die Vernetzung bedeutet auch, dass es Tätigkeiten gibt, die nicht mehr zwangsläufig am bisherigen Arbeitsplatz im Unternehmen oder zur gewohnten Kernarbeitszeit erledigt werden müssen. Damit werden neue Arbeitsformen nicht nur möglich (wie Homeoffice oder familienorientierte Arbeitszeitvarianten), sondern auch zunehmend von den Beschäftigten ausdrücklich gewünscht.

Die Unternehmen können vieles möglich machen – sofern die Tätigkeit das zulässt und sofern die Arbeit erledigt wird und ein gesicherter Betriebsablauf gewährleitet ist. Zudem werden in Produktionsabteilungen auch Zeitvorgaben, Präsenzarbeit und Schichtpläne notwendig sein. Auch wenn es manche Debatte anders erscheinen lässt: mobiles Arbeiten ist ein wichtiger werdendes Arbeitsmodell, aber es wird weder flächendeckend möglich noch von allen Arbeitnehmern gewünscht, wie unsere Umfrage zeigt.

Dabei darf diese Flexibilität keine Einbahnstraße sein – an erster Stelle stehen die Bedürfnisse unserer Kunden, denn sie bestimmen darüber, ob und wann überhaupt Arbeit da ist. Arbeitsort und Arbeitszeit müssen entsprechend und an diesem Zweck orientiert gewählt werden. Insofern sind Alleinentscheidungen oder einseitige Ansprüche des Arbeitnehmers in Bezug auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit nicht zielführend.

Der gesellschaftliche Wandel – exemplarisch gekennzeichnet durch die diversen Generationen (X, Y, Z und so weiter) – ist ebenfalls keine neue Erfahrung für die Unternehmen, spielt aber auch eine Rolle bei der Personalpolitik. So ist es heute beispielweise für viele Arbeitnehmer sehr viel selbstverständlicher als früher, dass beide Elternteile Verantwortung für die Kinder übernehmen und entsprechende Arbeitszeitmodelle wählen. Zum gesellschaftlichen Wandel gehört aber auch der Trend zur Individualisierung – der nicht nur die Kunden, sondern auch die Mitarbeiter betrifft. Jeder hat seine individuellen Wünsche und Anforderungen – und die sind eben nicht länger einheitlich.

Einheitsregeln passen da zwangsläufig nicht mehr. Und eine Generation, die selbstbewusst ihre Interessen artikuliert und vertritt, will sich auch nicht von anderen vorschreiben lassen, was sie tun oder lassen darf. Eine Generation, die digital aufgewachsen ist und sich in der Freizeit ganz selbstverständlich im Netz selbst organisiert, hat wenig Verständnis dafür, diese gewohnten Freiheiten bei der Arbeit und bei der Arbeitszeit abzugeben. Das zeigt beispielsweise das Ergebnis der Frage nach der täglichen Höchstarbeitszeit: 62 % können sich vorstellen, länger als 10 Stunden zu arbeiten – wenn es ihre eigene Entscheidung ist.

Und schließlich bedeutet die demografische Entwicklung in Deutschland, dass es künftig weniger Menschen geben wird, die die Arbeit erledigen können. Das hat nicht nur gravierende Konsequenzen für die Sozialversicherungen, es bringt auch ganz praktisch die Frage mit sich: Wer soll denn in Zukunft die Maschinen, Autos und Flugzeuge bauen, mit denen wir unseren Wohlstand erarbeiten? Die Antwort darauf wird sicher nicht lauten können: Indem diejenigen, die dann noch da sind, noch weniger arbeiten. Heute haben wir, anderes als in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, eben nicht mehr zu wenig Arbeit für die vorhandenen Menschen – wir werden in Zukunft zu wenig Menschen für die anfallende Arbeit haben.

Meine Damen und Herren,

das Thema Arbeitszeit spielt bei all diesen Entwicklungen eine Rolle, und wir müssen die Interessen von Beschäftigten und den Bedarf der Unternehmen auch in Zukunft in einer ausgewogenen Balance halten. Schon heute machen die Unternehmen vieles möglich. Das zeigen die überaus positiven Ergebnisse unserer Umfragen. Aber Arbeit – gerade in der Metall- und Elektro-Industrie - ist in Westdeutschland mit fast 43 Euro /Stunde bereits so teuer wie kaum woanders in der Welt. Schon heute investieren die Unternehmen vor allem aus Kostengründen in den Aufbau von Produktion im Ausland. Das zeigt auch: Wie auch immer eine neue Balance aussieht, sie darf Arbeit nicht noch teurer machen.

Und ich sage bewusst ein weiteres Mal: Der Kunde – und nur der Kunde – bestimmt, wieviel Arbeit vorhanden ist, und er bestimmt heute auch, wann sie erledigt sein muss. Deshalb müssen die Unternehmen die betrieblichen Abläufe, die Organisation der Arbeit und die Gestaltung und den Umfang der Arbeitszeit den Bedürfnissen der Kunden anpassen.

Dazu bedarf es aber vor allem auch eines modernen Arbeitszeitrechts. Die Mehrheit der Unternehmen unserer Branche gibt an, hier schon heute dringenden Änderungsbedarf zu haben. Für das Thema ist der Gesetzgeber zuständig. Also sprechen wir darüber mit dem Gesetzgeber. Andere Bereiche sind Aufgabe der Tarifpolitik. Aber weil hier ein Gleichgewicht austariert werden muss, verträgt das keine Schnellschüsse.

Ich möchte deshalb hier nur dies dazu sagen: Es geht mir nicht darum, an der 35-Stunden-Woche zu rütteln. Es hilft niemandem, ideologische Schlachten der Vergangenheit noch einmal schlagen zu wollen. Man muss aber anerkennen, dass sich die Arbeitsmarktlage fundamental gewandelt hat. Die genannten Entwicklungen führen vielmehr dazu, dass wir in Zukunft noch mehr Flexibilität brauchen - für Betriebe wie für Beschäftigte.

Angesichts der genannten Veränderungen – gerade auch der demographischen – sind Vorhaben wie die Familienarbeitszeit von Frau Schwesig, Arbeitszeitverkürzungen auch noch staatlicherseits zu subventionieren, der denkbar größte Unsinn. Ob tariflich oder staatlich: Wir können doch in Zeiten einer alternden Gesellschaft nicht ernsthaft Menschen auch noch dafür bezahlen, NICHT arbeiten zu gehen.

93 % aller Arbeitnehmer haben erklärt, die tägliche Arbeitszeit zumindest prinzipiell kurzfristig an ihre persönlichen Bedürfnisse anpassen zu können – nur 6 Prozent der Arbeitnehmer erleben aber, dass sich ihre Arbeitszeit häufiger auf Anweisung des Arbeitgebers kurzfristig ändert. Das ist nur ein Beispiel, das zeigt: Wenn es aktuell ein Ungleichgewicht gibt, dann zu Gunsten unserer Mitarbeiter.

Der Bedarf der Unternehmen steht gleichberechtigt neben den Interessen der Beschäftigten, denn eine tragfähige Lösung muss immer beiden Seiten gerecht werden – wir kennen das aus der Tarifpolitik.

Vielen Dank.

- Es gilt das gesprochene Wort! -