"Die IG Metall spricht lieber mit Kirchen und Umweltschutzorganisationen als mit dem Sozialpartner."

"Die IG Metall spricht lieber mit Kirchen und Umweltschutzorganisationen als mit dem Sozialpartner."

"Die IG Metall spricht lieber mit Kirchen und Umweltschutzorganisationen als mit dem Sozialpartner."

Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger

Foto: Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger

Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger in der Stuttgarter Zeitung zum moralischen Absolutismus der Grünen, der übertriebenen Panikmache der Gewerkschaft und der schwachen Wirtschaftspolitik der Großen Koalition:

Herr Dulger, der Zeitgeist ist grün. Nervt Sie das manchmal?

Grün ist hip. Das nervt mich gar nicht. Mit dem moralischen Absolutismus der Grünen hingegen können wir als Wirtschaft nur schwer umgehen. Beispielsweise wissen wir, dass Deutschland nur für zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Deswegen können wir nicht um der geplanten Einsparungen willen unsere ganze Industrie dramatisch zurückfahren. Was wir aber können ist, diese Umweltprobleme mit unseren Technologien zu lösen. Da sehe ich Raum für gemeinsame Lösungen.

Wieso Absolutismus?

Die Technologie der batteriebetriebenen Elektromobilität wird aus meiner Sicht viel zu stark politisch favorisiert. Wir sprechen nicht genug über die Brennstoffzelle und schon gar nicht über synthetische Brennstoffe, die in der Umweltbilanz wesentlich sinnvoller sind und vorhandene Infrastruktur nutzen können. Wir tun uns keinen Gefallen damit, dogmatisch den batterieelektrischen Antrieb vorzugeben, weil wir die Infrastruktur nicht haben und in den nächsten zehn Jahren auch nicht haben werden.

Automobilhersteller wie VW haben die Technologieoffenheit selbst in Frage gestellt. Sie sagen: Wenn wir was erreichen wollen, muss alle Kraft in die Elektromobilität gesteckt werden.

Volkswagen ist einer von vielen Automobilherstellern. Die werden schon ihre Gründe haben. Ich habe aber ernsthafte Bedenken, ob VW da den richtigen Weg geht. Ich persönlich sehe die Lösung mehr in der Vielfalt, weil die Anwendungen auch so unterschiedlich sind. Ob in der Stadt oder im ländlichen Raum: Es wird viele Transportkonzepte geben, und jedes wird seine technische Lösung haben.

Ist es nicht verkehrte Welt, wenn der IG-Metall-Bezirksleiter die Unternehmen dazu antreiben muss, mehr in den Klimaschutz zu investieren?

Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Die IG Metall wünscht sich mehr Mitbestimmung in den Betrieben und begründet das nun neuerdings damit, dass wir alle nicht richtig wissen, wie die Zukunft aussieht. Das halte ich für grenzwertig.

Die IG Metall hält den Unternehmen ebenso vor, nicht genug zur Bewältigung der Digitalisierung und der Elektromobilität zu tun und damit Arbeitsplätze zu gefährden. Sehen Sie da auch Versäumnisse, wie sie im sogenannten Transformationsatlas festgehalten sind?

Nein, zumal im Mittelstand nicht. Die sind alle mit der Industrie 4.0 oder der Transformation zur Elektromobilität beschäftigt. Ich kenne kein Unternehmen, das sich nicht damit befasst. Woher der Glaube der Gewerkschaft auf Richtigkeit des Transformationsatlasses kommt – da mache ich mal ein großes Fragezeichen. Ich hätte mich gefreut, wenn man diesen Weg mit uns entwickelt hätte, dann hätte es auch wesentlich mehr Durchschlagskraft gehabt. Die IG Metall hat es versäumt. Sie spricht, wie die Demo in Berlin gezeigt hat, lieber mit Kirchen und Umweltschutzorganisationen als mit dem Sozialpartner.

Die Angst vor massiven Arbeitsplatzverlusten wächst dennoch – können Sie die Beschäftigten beruhigen?

Die technologischen Veränderungen kommen auf uns zu – dazu die diversen Untiefen im Welthandel. Ich kann nicht so tun, als gäbe es die nicht. Aber Ängste dürfen uns nicht lähmen, und eines weiß ich: Wenn eine Industrie diesen Wandel bewältigen kann, dann wir. Wir haben die Unternehmen, die Technologien, die Köpfe und die Erfahrung mit Veränderungen. So werden wir diesen Wandel auch bewältigen. Diese Panikmache der Gewerkschaft halte ich für übertrieben.

Wie sehen Sie die Rolle der Automobilzulieferer mit Stellenstreichungen wie bei Mahle oder Conti – stehen die vor besonderen Herausforderungen?

Es kommt drauf an, was sie zuliefern und wo sie in der Wertschöpfungskette stehen. Ein Elektroauto hat kein Getriebe und keine Auspuffanlage. Ob die genannten Werksschließungen und Stellenstreichungen schon mit der Dekarbonisierung zu tun haben – da habe ich Zweifel. Das kann ganz normale Fortentwicklung sein.

Sorgen Sie sich nicht um Zulieferer, die bisher weitgehend für den klassischen Verbrennungsmotor liefern?

Aus meiner Sicht werden wir den Verbrennungsmotor in den nächsten 25 Jahren noch brauchen. Und viele, die ich treffe, sind sich der Lage bewusst und suchen sich etwas Neues.

Vor allem die Qualifikation wird darüber entscheiden, ob die Menschen ihren Job behalten. Gerade die kleineren und mittleren Unternehmen hinken offenbar hinterher. Werden da alle Möglichkeiten schon ausgeschöpft?

Allein in der Metall- und Elektro-Industrie wenden wir jedes Jahr acht Milliarden Euro für die Aus- und Weiterbildung auf…

… vor allem die Großunternehmen.

… das muss ich entschieden zurückweisen. In den kleinen Unternehmen wird mindestens genauso viel getan, prozentual oft sogar noch mehr, auch im Bereich der Personalentwicklung.

Die IG Metall wirbt vor diesem Hintergrund für ein Transformations-Kurzarbeitergeld. Unter welchen Bedingungen können Sie sich dafür erwärmen?

Die IG Metall sieht darin ja vor allem die langfristige Qualifizierungsmaßnahme im Beschäftigungsverhältnis. Diese Idee ist zu prüfen. Wir dürfen aber nicht die sprichwörtlichen Heizer auf die E-Lok setzen: Notwendiger Strukturwandel muss stattfinden können. Ob sich die Sozialkassen dazu durchringen können, kann ich noch nicht sagen. Wichtiger wäre es, jetzt die Einstiegshürden für das normale Kurzarbeitergeld wieder abzusenken – auf das Niveau, wie wir es noch in den Konjunkturpaketen infolge der großen Finanzkrise 2008/2009 hatten. Und dann muss dies per Ministererlass statt per Parlamentsbeschluss ermöglicht werden können.

Es sieht so aus, als würden Qualifizierung und der Schutz vor Personalabbau die bestimmenden Themen der nächsten Tarifrunde. Wäre dies in Ihrem Sinne?

Die IG Metall ist da noch in der Meinungsfindung. Da müssen wir mal den Gewerkschaftstag im Oktober abwarten.

Was wäre Ihnen wichtig?

Dass wir mal von diesen hohen Lohnforderungen runterkommen, denn die passen gar nicht. Außerdem hat uns die IG Metall doch selbst vorgerechnet, dass für die Beschäftigten noch mehr Geld nicht mehr im Mittelpunkt steht. Es ist für jeden spürbar, dass für den Technologiewandel enorme Investitionsgelder notwendig sind. Vielleicht wäre es sinnvoller, gemeinsam über Möglichkeiten zu diskutieren, einen Teil des Verteilungsspielraumes für betriebliche Innovation zu verwenden.

Wenn man Ihre Kritik an der Großen Koalition verfolgt, kommt man zu dem Eindruck, dass es Ihnen nicht schnell genug gehen kann mit deren Ende.

Wir brauchen endlich eine Bundesregierung, die wieder mehr Wirtschaft wagt. In den vergangenen Jahren hat sie mehr und mehr die Belastbarkeit der Industrie getestet anstatt Industriepolitik zu machen. Das Vertrauen ist verspielt. Der Wirtschaftsminister gibt sich Fantasien hin und gefällt sich in schönen Reden, tut aber nichts.

"Die große Koalition ist am Ende", haben Sie bereits befunden. Was machen instabile politische Verhältnisse für die Wirtschaft besser?

Was haben wir von stabilen politischen Verhältnissen, die wirtschaftliche Instabilität bewirken? Wir haben in den vergangenen Jahren nur noch Umverteilungspolitik gesehen. Wir brauchen aber eine Politik, die fragt: Wo kommt das Geld eigentlich her? Mit dem Soli zum Beispiel befasst sich keiner. Wir haben in Deutschland einen nicht mehr attraktiven Produktionsstandort mit der höchsten Steuerbelastung in Europa, den höchsten Löhnen, den kürzesten Arbeitszeiten sowie dem stringentesten Kündigungsschutz – und alle Flexibilisierungsmöglichkeiten wurden in den letzten acht bis zehn Jahren eingeschränkt. Deutschland gibt in den nächsten sechs Jahren drei Milliarden Euro für die Erforschung künstlicher Intelligenz aus – aber bis zu 70 Milliarden für die Mütterrente, für die bestversorgte Rentnergeneration, die das Land jemals gesehen hat. Ich will, dass man darüber nachdenkt.

Besonders im Visier haben Sie Wirtschaftsminister Altmaier, dem Sie vorwerfen, kein Konzept für die Energiewende zu haben und nur nationale Champions statt den Mittelstand im Blick zu haben. Ist er ein Schwachpunkt der Regierung?

Nein. Er ist der schwächste Minister, aber nicht der Schwachpunkt. Im Schauspiel würde man von einer Fehlbesetzung sprechen. Das heißt nicht, dass der Mann dann ein schlechter Schauspieler ist – ihm liegt nur diese Rolle nicht. Als Kanzleramtsminister war er super. Daher sage ich: Entweder sie müssen das Ensemble umstellen oder das Stück fällt durch.

Wäre Friedrich Merz der bessere Wirtschaftsminister?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Friedrich Merz als Minister in einem Kabinett Merkel funktionieren würde. Ich schätze ihn und seine Fähigkeiten sehr, aber ich glaube, für manche im bitter enttäuschten Mittelstand steht Merz eher als Symbol. Damit tut man aber weder der Sache noch der Person einen Gefallen. Friedrich Merz ist seit 2009 nicht mehr im Bundestag und könnte objektiv nicht nahtlos daran anknüpfen. Ihn als eine Art Erlöserfigur zu überhöhen bedeutet auch, ihn so weit zu überfrachten, dass er fast zwangsläufig scheitern muss. Er hat es nicht verdient, zum Martin Schulz der CDU gemacht zu werden.

Wenn die Groko scheitert, erhielte Deutschland nach Stand der Dinge eine schwarz-grüne oder grün-schwarze Regierung. Ist das für Sie eine gute Option?

Wir würden mit beiden Situationen umgehen lernen. Das haben wir in Baden-Württemberg auch gelernt.

Das Interview führte Matthias Schiermeyer, Stuttgarter Zeitung. Erschienen am 5. Juli 2019.