"Die Rente mit 63 ist ein besonders abschreckendes Beispiel, welche Folgen Wahlgeschenke haben können."
"Die Rente mit 63 ist ein besonders abschreckendes Beispiel, welche Folgen Wahlgeschenke haben können."
Die Wirtschaft muss wettbewerbsfähig und Arbeit bezahlbar bleiben. Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung:
Herr Dulger, im neuen Strukturbericht der Metall- und Elektro-Industrie ist die Bundesrepublik im internationalen Vergleich von Rang vier auf Rang neun abgerutscht. Muss man sich trotz guter Konjunktur Sorgen machen um den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Unsere Wettbewerbsfähigkeit hat abgenommen. Das ist ein deutliches Signal an die Politik: Wir müssen auch für den Industriestandort Deutschland wieder etwas tun. Da ist es zum Beispiel wichtig, dass wir die Sozialversicherungsbeiträge dauerhaft bei 40 Prozent deckeln, und zwar durch ein Gesetz. Absichtserklärungen reichen nicht. Wir müssen uns in Deutschland alle gemeinsam dafür einsetzten, dass Arbeit bezahlbar bleibt.
Die Metall und Elektro-Industrie hat seit Mitte des Jahres wieder mehr als vier Millionen Beschäftigte. Ist der Fachkräftemangel also gar nicht so groß wie befürchtet?
Die Entwicklung ist sehr erfreulich. Seit der Finanzkrise haben wir 580.000 neue Stammarbeitsplätze geschaffen. Und wir gehen davon aus, dass wir das hohe Beschäftigungsniveau halten können. Doch könnte die Entwicklung noch viel besser sein. Beim Wachstum stoßen wir bereits an Grenzen. Das liegt unter anderem an den steigenden Arbeitskosten. Zudem können wir mangels Bewerber nicht so viele Facharbeiter ausbilden, wie wir wollen. Wir konnten zuletzt 70.000 neue Ausbildungsverträge abschließen, aber weitere 7.000 Ausbildungsplätze blieben unbesetzt.
Die Arbeitgeber drängen seit Langem auf ein Einwanderungsgesetz. Sind Sie mit den Plänen der Regierung zufrieden. Oder gibt es noch Korrekturbedarf?
Wichtig ist, dass das Gesetz jetzt schnell kommt – und dass wir ein flexibles Instrument erhalten. Das heißt: Je nachdem, welche Fachleute bei uns im Land gerade gebraucht werden, muss das Gesetz kurzfristig anpassbar sein. Wenn jemand als Zimmermann zuwandert, dann soll er auch nur als Zimmermann arbeiten dürfen. Und dann sollte man sich nicht lange damit aufhalten, ob er jetzt wirklich Zimmermann ist oder nicht – das entscheidet der Markt. Machen wir es nicht zu kompliziert! Wenn der Betreffende nach sechs bis zwölf Monaten keinen dauerhaften Job gefunden hat, dann muss er wieder gehen.
Eine Reihe von Politikern fordert zudem einen Spurwechsel, damit abgelehnte Asylbewerber nicht abgeschoben werden, wenn sie sozial und beruflich bereits gut integriert sind. Warum reagieren die Arbeitgeber, die doch dringend Fachkräfte suchen, da so reserviert?
Weil wir das dringend notwendige Zuwanderungsgesetz nicht gefährden wollen. Wir werden für diejenigen, die bereits im Land sind, sich qualifiziert haben und in Betrieben integriert sind, eine Lösung finden müssen. Aber grundsätzlich einen zweiten Weg in den Arbeitsmarkt zu eröffnen, das halte ich für falsch. Wir müssen Zuwanderungs- und Asylgesetze sehr deutlich voneinander trennen. Asyl für Schutzbedürftige und Zuwanderung von Fachkräften sind zwei unterschiedliche Themen.
Bleiben wir beim Arbeitsmarkt. Die Bundesregierung will die Regelungen zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen deutlich verschärfen. Einverstanden?
Wenn das für alle gelten würde, könnte man vielleicht noch über das Thema diskutieren. Man will das aber nur in der Privatwirtschaft einführen. Doch da wird auf den Falschen geschossen. Denn bei uns in der Metall- und Elektro-Industrie liegt der Anteil befristet Beschäftigter bei gerade einmal vier Prozent. Zum Vergleich: Im Öffentlichen Dienst sind sieben Prozent der Arbeitnehmer befristet beschäftigt, bei Nichtregierungsorganisationen wie Gewerkschaften und Umweltschutzverbänden 14 Prozent und an den Hochschulen sogar 37 Prozent. Das passt so nicht. Der Staat sollte das, was er von der Industrie verlangt, immer auch von sich selbst verlangen. Im Übrigen brauchen wir die befristeten Beschäftigungen, weil wir sehr viele Flexibilisierungsmöglichkeiten geschaffen haben für unsere Mitarbeiter. Sie können zum Beispiel Auszeiten nehmen, um Angehörige zu pflegen oder sich weiterzubilden. In dieser Zeit muss die Arbeit aber weiter getan werden, und wir brauchen Ersatzkräfte.
Bei der Rente mit 63 ist die Zahl der Anträge auf deutlich über eine Million gestiegen. Wie stark ist die Metall- und Elektro-Industrie betroffen?
Sehr stark. Es ist genau das passiert, was wir befürchtet haben. Es sind 70.000 dringend benötigte Fachkräfte ausgeschieden, die wie wir nicht ersetzen können. Wir haben richtig viele gute Leute verloren, die wir noch gerne zwei oder drei Jahre beschäftigt hätten, weil sie hoch qualifiziert waren. Dies ist ein besonders abschreckendes Beispiel, welche Folgen Wahlgeschenke haben können.
Die EU-Umweltminister fordern eine deutliche Verringerung der CO2-Grenzwerte für Neuwagen um 35 Prozent in der Zeit von 2020 bis 2030. Befürchten Sie Stellenverluste? Oder könnten solche Vorgaben nicht auch einen Innovationsschub in Richtung E-Mobilität auslösen?
Diese Vorgabe ist technisch nicht erfüllbar – schon gar nicht, wenn man wie bei uns in Deutschland gleichzeitig auch noch den Dieselantrieb verteufelt. Es fällt schon auf, dass diejenigen die härtesten Grenzwerte wollten, die selber keine nennenswerte Automobilindustrie haben. Grenzwerte einzuführen, die man nicht einhalten kann, muss zwangsläufig zu massiven Stellenverlusten führen. Wenn wir eine zunehmende Elektrifizierung im Verkehr wollen, dann muss man andere Wege wählen.
An welche Wege und Anreize denken Sie da?
Die Kunden entscheiden immer noch selber, was sie kaufen. Beim Elektro-Auto sind die Grundprobleme des Elektroantriebs – Reichweite und Aufladegeschwindigkeit – noch nicht gelöst, und die Physik lässt sich auch nicht durch politische Vorgaben ändern. Und dann kommt noch die Frage dazu, wo denn der Strom herkommen soll. Kernkraft ist verpönt, Kohle ist verpönt, für Windräder muss auch Wald gerodet werden. Solange die Energiewende nicht endlich zu einem guten Ende geführt wird, mit verlässlichem und bezahlbarem Strom, ist es hanebüchen, die Verkehrswende zu fordern.
CDU/CSU und SPD haben sich eine Reihe von Grabenkämpfen geleistet und sich viel mit sich selbst beschäftigt. Wie bewerten Sie den bisherigen Auftritt der Großen Koalition?
Ich bin besorgt, dass die Bundesregierung sich vor allem damit beschäftigt, wie sie noch mehr Geld ausgeben und die Wirtschaft mit noch mehr Vorschriften regulieren kann. Im Moment kann ich bei keiner Partei ein Signal erkennen, mehr Wirtschaft zu wagen. Wir werden jede Regierung unterstützen, die die dauerhafte Deckelung der Sozialgaben bei 40 Prozent in ihr Programm aufnimmt. Doch stattdessen wird aktuell darüber diskutiert, die Rentenleistungen auszudehnen - und dies, obwohl wir die bestversorgte Rentnergeneration haben, die es jemals gegeben hat. Da werden weitere Geschenke an Wähler verteilt.
Am Sonntag wird in Bayern gewählt. Wie es aussieht, wird die CSU einen oder mehrere Koalitionspartner brauchen, wenn sie weiterregieren will. Zugleich steht die AfD vor neuen Erfolgen. Beunruhigt sie das?
Natürlich beunruhigt es mich, wenn die Parteien an den politischen Rändern stärker werden. Man muss sich aber die Frage stellen, wo der Platz für diese Parteien hergekommen ist. Da haben die großen Parteien Fehler gemacht. Es wird viel über Rente, Pflege und Sozialausgaben gesprochen. Aber über das, was die Leute wirklich beschäftigt, nämlich die Zuwanderung und wie wir damit umgehen, wird zu wenig gesprochen. Da ist es kein Wunder, dass das Volk sich von etlichen Parteien nicht mehr angesprochen fühlt. Die Politik muss sich dringend fragen, ob die Bürger wirklich nur mehr Sozialleistungen wollen. Ich glaube, sie wollen auch klare Antworten zu Asyl und Zuwanderung.
In diesem Zusammenhang noch einmal eine Standortfrage. Was bedeutet es für den Standort Deutschland, wenn Rechtsradikale wie in Chemnitz durch die Straßen ziehen und den Hitlergruß zeigen?
Das darf es bei uns nicht geben. So etwas ist und bleibt verboten, das können wir nicht tolerieren. Der Rechtsstaat muss konsequent durchgesetzt werden. Das erwarten die Bürger genauso wie bei abgelehnten Asylanträgen, Steuergesetzen und Verkehrsbußen.
Das Interview führte Uwe Westdörp, NOZ. Erschienen am 13. Oktober 2018.