"Man muss sich an Geschäftsgrundlagen halten, sonst gingen solche weitreichenden Vereinbarungen künftig nicht mehr"
"Man muss sich an Geschäftsgrundlagen halten, sonst gingen solche weitreichenden Vereinbarungen künftig nicht mehr"
06.03.2012
Herr Kannegiesser, vor den jetzt beginnenden Tarifverhandlungen die Frage: Wie ist die Lage der Metall- und Elektronindustrie?
Wir kommen aus einem dunklen Konjunkturtal, aus der tiefsten Krise der letzten beiden Jahrzehnte. Im vergangenen Jahr ist es glücklicherweise gelungen, wieder an das Vorkrisenniveau anzuknüpfen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Risiken, die von der Schuldenkrise ausgehen, bestehen weiter. Zwar ist kein Absturz zu befürchten, die Wachstumsraten werden nach der außergewöhnlichen Aufholjagd des Vorjahres aber deutlich geringer ausfallen. Insgesamt erwarten wir drei bis vier Prozent Zuwachs in der Branche, in einzelnen Bereichen werden es aber wohl auch nur ein bis zwei Prozent sein.
Worin sehen Sie beim Blick auf die Geld- und Finanzpolitik aktuell große Gefahren?
Besorgnis erregend ist unter anderem die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Die EZB versorgt die Banken ja aktuell mit extrem viel billigem Geld. Und da stellt sich schon die Frage, wie lange dieses Geld im Kreislauf bleibt und ob es wieder eingesammelt werden kann. Wenn nicht, dann gehen von dieser Politik große Inflationsgefahren aus.
Zurück nach Deutschland. Die Wirtschaft ist schneller aus der Krise gekommen als erwartet. Der im Krisenjahr 2010 geschlossene Tarifabschluss erscheint der IG Metall im Nachhinein als zu niedrig. Kann es einen Nachschlag geben?
Ein Nachschlag ist absolut nicht gerechtfertigt. Das würde bedeuten, die Betriebe doppelt zu belasten. Wir haben uns 2010 darauf verständigt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Beschäftigung zu sichern. Die Möglichkeiten der Kurzarbeit haben dabei zwar geholfen, aber dennoch hat die Beschäftigungssicherung die Unternehmen große Anstrengungen gekostet. Überdies hat es 2010 Einmalzahlungen gegeben, 2011 folgte eine Tariferhöhung um 2,7 Prozent, die für die Hälfte der Beschäftigten auch noch um zwei Monate vorgezogen worden ist. Auch nach Abzug der Inflation sind die Löhne damit leicht gestiegen. Nachholbedarf besteht nicht. Man muss sich an Geschäftsgrundlagen halten, sonst gingen solche weitreichenden Vereinbarungen künftig nicht mehr.
Die IG Metall argumentiert, die Bruttorendite der Branche belaufe sich auf 52 Milliarden Euro. Es gebe reihenweise Rekordergebnisse und „vergoldete Bilanzen“…
Entscheidend ist nicht die Brutto-, sondern die Nettorendite. Im vergangenen Jahr hatte die Metall- und Elektroindustrie hier einen ganz ordentlichen Wert: Vier Prozent vom Umsatz. Aber noch einmal: In der Zeit davor hat es eine längere Durststrecke gegeben. In vielen Unternehmen hat die Krise massiv am Eigenkapital gezehrt. Es hat viel Geld gekostet, Belegschaften zu halten. Jetzt kommt es darauf an, wieder Reserven aufzubauen und flexibel zu bleiben.
Die IG Metall drängt auf mehr Mitbestimmung beim Einsatz von Zeitarbeitern und auf gleiche Bezahlung von Zeit- und Stammbeschäftigten. Dazu laufen Verhandlungen mit den Zeitarbeitsverbänden. Wie ist die Position von Gesamtmetall?
Zeitarbeit ist ein bewährtes und unverzichtbares Mittel, um flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren zu können. Sie darf zu keinem anderen Zweck missbraucht werden. Es ist auch nachvollziehbar, die Vergütungen in der Zeitarbeit schrittweise an die Bezahlung der Stammbelegschaften heranzuführen. Die Arbeitgeber unterstützen den Vorschlag, branchenspezifische Zuschläge auszuhandeln. Das alles wird aber nicht zum Nulltarif zu haben sein. Denn wenn sich Zeitarbeit verteuert, gehen Stellen verloren. Es ist Kinderglauben zu meinen, dass automatisch mehr Stammarbeitsplätze entstehen könnten.
Noch einmal zum Thema Flexibilität: In der Metall- und Elektroindustrie dürfen bislang nur 18 Prozent der Beschäftigten eines Betriebs länger als 35 Stunden in der Woche arbeiten. Kann das so bleiben?
Ein größerer Arbeitszeitkorridor wäre auf jeden Fall sehr wünschenswert. Es muss deutlich mehr Möglichkeiten geben, die Beschäftigten bis zu 40 Stunden in der Woche einzusetzen. Denn wir erleben immer kürzere konjunkturelle Schwankungen, auf die sich die Betriebe einstellen müssen. Das werden wir bei den Tarifverhandlungen nachdrücklich deutlich machen.
Bleibt die Mitbestimmung. Die IG Metall fordert zusätzlich zu den Branchenzulagen auch noch betriebliche Zuschläge für Leiharbeiter.
Das geht gar nicht. Es kann nicht sein, dass Betriebsräte in unseren Unternehmen darüber mitreden, wie Beschäftigte anderer Unternehmen entlohnt werden. Das führt nur zu Verunsicherung und zusätzlicher Unruhe in den Betrieben sowie zu Interessenkonflikten.
Allerorten wird vor einem Fachkräftemangel gewarnt. Was sagen Sie zur Forderung nach unbefristeter Übernahme aller Auszubildenden?
Schon heute werden alle Auszubildenden zunächst für zwölf Monate übernommen. 75 Prozent von ihnen werden hinterher weiterbeschäftigt. Das heißt, es wird bereits sehr viel für den Nachwuchs getan. Eine unbefristete Übernahme aller Auszubildenden werden unsere Betriebe aber auf gar keinen Fall mitmachen. Es ist im Übrigen auch gar nicht sinnvoll, Schülern schon mit dem Lehrvertrag Arbeit auf unbestimmte Zeit zu versprechen. Das senkt die Motivation, sich anzustrengen.
Unterm Strich – wie ist die Stimmung mit Blick auf die Tarifrunde?
Natürlich gibt es unterschiedliche Positionen. Aber ich warne vor künstlicher Aufregung. Auch die Gewerkschaften wissen, dass wir den Verteilungsspielraum beim Entgelt stets ausgeschöpft haben. Und bei der Zeitarbeit akzeptieren wir, dass es hier systematisch keine zweite Lohnlinie geben darf, sondern die Flexibilität im Vordergrund steht. Die Differenzen sind also gar nicht so groß, wie es vielen erscheint. Wir gehen gelassen in die Verhandlungen, werden aber stets angemessene Reaktionen zeigen.
Das Gespräch führte Uwe Westdörp, Neue Osnabrücker Zeitung.
Erschienen am 06. März 2012
Wir kommen aus einem dunklen Konjunkturtal, aus der tiefsten Krise der letzten beiden Jahrzehnte. Im vergangenen Jahr ist es glücklicherweise gelungen, wieder an das Vorkrisenniveau anzuknüpfen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Risiken, die von der Schuldenkrise ausgehen, bestehen weiter. Zwar ist kein Absturz zu befürchten, die Wachstumsraten werden nach der außergewöhnlichen Aufholjagd des Vorjahres aber deutlich geringer ausfallen. Insgesamt erwarten wir drei bis vier Prozent Zuwachs in der Branche, in einzelnen Bereichen werden es aber wohl auch nur ein bis zwei Prozent sein.
Worin sehen Sie beim Blick auf die Geld- und Finanzpolitik aktuell große Gefahren?
Besorgnis erregend ist unter anderem die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Die EZB versorgt die Banken ja aktuell mit extrem viel billigem Geld. Und da stellt sich schon die Frage, wie lange dieses Geld im Kreislauf bleibt und ob es wieder eingesammelt werden kann. Wenn nicht, dann gehen von dieser Politik große Inflationsgefahren aus.
Zurück nach Deutschland. Die Wirtschaft ist schneller aus der Krise gekommen als erwartet. Der im Krisenjahr 2010 geschlossene Tarifabschluss erscheint der IG Metall im Nachhinein als zu niedrig. Kann es einen Nachschlag geben?
Ein Nachschlag ist absolut nicht gerechtfertigt. Das würde bedeuten, die Betriebe doppelt zu belasten. Wir haben uns 2010 darauf verständigt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Beschäftigung zu sichern. Die Möglichkeiten der Kurzarbeit haben dabei zwar geholfen, aber dennoch hat die Beschäftigungssicherung die Unternehmen große Anstrengungen gekostet. Überdies hat es 2010 Einmalzahlungen gegeben, 2011 folgte eine Tariferhöhung um 2,7 Prozent, die für die Hälfte der Beschäftigten auch noch um zwei Monate vorgezogen worden ist. Auch nach Abzug der Inflation sind die Löhne damit leicht gestiegen. Nachholbedarf besteht nicht. Man muss sich an Geschäftsgrundlagen halten, sonst gingen solche weitreichenden Vereinbarungen künftig nicht mehr.
Die IG Metall argumentiert, die Bruttorendite der Branche belaufe sich auf 52 Milliarden Euro. Es gebe reihenweise Rekordergebnisse und „vergoldete Bilanzen“…
Entscheidend ist nicht die Brutto-, sondern die Nettorendite. Im vergangenen Jahr hatte die Metall- und Elektroindustrie hier einen ganz ordentlichen Wert: Vier Prozent vom Umsatz. Aber noch einmal: In der Zeit davor hat es eine längere Durststrecke gegeben. In vielen Unternehmen hat die Krise massiv am Eigenkapital gezehrt. Es hat viel Geld gekostet, Belegschaften zu halten. Jetzt kommt es darauf an, wieder Reserven aufzubauen und flexibel zu bleiben.
Die IG Metall drängt auf mehr Mitbestimmung beim Einsatz von Zeitarbeitern und auf gleiche Bezahlung von Zeit- und Stammbeschäftigten. Dazu laufen Verhandlungen mit den Zeitarbeitsverbänden. Wie ist die Position von Gesamtmetall?
Zeitarbeit ist ein bewährtes und unverzichtbares Mittel, um flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren zu können. Sie darf zu keinem anderen Zweck missbraucht werden. Es ist auch nachvollziehbar, die Vergütungen in der Zeitarbeit schrittweise an die Bezahlung der Stammbelegschaften heranzuführen. Die Arbeitgeber unterstützen den Vorschlag, branchenspezifische Zuschläge auszuhandeln. Das alles wird aber nicht zum Nulltarif zu haben sein. Denn wenn sich Zeitarbeit verteuert, gehen Stellen verloren. Es ist Kinderglauben zu meinen, dass automatisch mehr Stammarbeitsplätze entstehen könnten.
Noch einmal zum Thema Flexibilität: In der Metall- und Elektroindustrie dürfen bislang nur 18 Prozent der Beschäftigten eines Betriebs länger als 35 Stunden in der Woche arbeiten. Kann das so bleiben?
Ein größerer Arbeitszeitkorridor wäre auf jeden Fall sehr wünschenswert. Es muss deutlich mehr Möglichkeiten geben, die Beschäftigten bis zu 40 Stunden in der Woche einzusetzen. Denn wir erleben immer kürzere konjunkturelle Schwankungen, auf die sich die Betriebe einstellen müssen. Das werden wir bei den Tarifverhandlungen nachdrücklich deutlich machen.
Bleibt die Mitbestimmung. Die IG Metall fordert zusätzlich zu den Branchenzulagen auch noch betriebliche Zuschläge für Leiharbeiter.
Das geht gar nicht. Es kann nicht sein, dass Betriebsräte in unseren Unternehmen darüber mitreden, wie Beschäftigte anderer Unternehmen entlohnt werden. Das führt nur zu Verunsicherung und zusätzlicher Unruhe in den Betrieben sowie zu Interessenkonflikten.
Allerorten wird vor einem Fachkräftemangel gewarnt. Was sagen Sie zur Forderung nach unbefristeter Übernahme aller Auszubildenden?
Schon heute werden alle Auszubildenden zunächst für zwölf Monate übernommen. 75 Prozent von ihnen werden hinterher weiterbeschäftigt. Das heißt, es wird bereits sehr viel für den Nachwuchs getan. Eine unbefristete Übernahme aller Auszubildenden werden unsere Betriebe aber auf gar keinen Fall mitmachen. Es ist im Übrigen auch gar nicht sinnvoll, Schülern schon mit dem Lehrvertrag Arbeit auf unbestimmte Zeit zu versprechen. Das senkt die Motivation, sich anzustrengen.
Unterm Strich – wie ist die Stimmung mit Blick auf die Tarifrunde?
Natürlich gibt es unterschiedliche Positionen. Aber ich warne vor künstlicher Aufregung. Auch die Gewerkschaften wissen, dass wir den Verteilungsspielraum beim Entgelt stets ausgeschöpft haben. Und bei der Zeitarbeit akzeptieren wir, dass es hier systematisch keine zweite Lohnlinie geben darf, sondern die Flexibilität im Vordergrund steht. Die Differenzen sind also gar nicht so groß, wie es vielen erscheint. Wir gehen gelassen in die Verhandlungen, werden aber stets angemessene Reaktionen zeigen.
Das Gespräch führte Uwe Westdörp, Neue Osnabrücker Zeitung.
Erschienen am 06. März 2012