"Mehr Geld für Nichtstun wird es mit uns nicht geben"

"Mehr Geld für Nichtstun wird es mit uns nicht geben"

"Mehr Geld für Nichtstun wird es mit uns nicht geben"

Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger

Foto: Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger

Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zur Tarifrunde 2018 in der Metall- und Elektro-Industrie und den Jamaika-Sondierungsgesprächen:

Herr Dulger, die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose deutlich angehoben. Wie sind die Erwartungen in der Metall- und Elektro-Industrie? Und wie stark werden die Beschäftigten am Wachstum teilhaben können?

Unsere Branche hat sich besser gehalten, als angesichts der Risiken zu befürchten war. Die Branche wächst solide. In der jetzt bevorstehenden Tarifrunde werden wir miteinander reden - auch hart verhandeln - und uns beim Entgelt auf einen Kompromiss einigen. Ich bin mir sicher: Am Ende steht wieder eine angemessene Beteiligung der Beschäftigten.

23 Jahre nach Vollendung der 35-Stunden-Woche im Jahr 1995 will die IG Metall erstmals wieder kürzere Arbeitszeiten durchsetzen. Fühlen Sie sich ins letzte Jahrhundert zurückversetzt?

Die Unternehmen, die ich vertrete, lehnen das IG Metall-Modell kategorisch ab. Es wäre zu weit entfernt von der betrieblichen Praxis. Es wäre extrem teuer und führte zu massiver Tarifflucht. Wir bekommen heute schon die Auswirkung von Fachkräftemangel zu spüren. Wir haben heute schon in den Betrieben mehr Arbeit, als wir bewältigen können. Wir haben heute schon die kürzeste Wochenarbeitszeit - mit 35 Stunden im Westen ist unsere Arbeitszeit, statistisch gesehen, schon eine Teilzeitarbeit.

Und es wird schon aus demografischen Gründen wohl kaum einfacher…

Wir haben im Moment noch 50 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, 2050 werden es gerade noch 39 Millionen sein. Die Situation verschlechtert sich also. Wer die Arbeit erledigen soll, wenn die Arbeitszeit weiter reduziert würde, darauf hat die IG Metall keine Antwort. Selbst wenn man die Kosten ignorieren würde – es gibt schlicht keine Möglichkeit, alle Lücken zu schließen. Das muss am Ende bedeuten, dass Produktion oder ganze Standorte ins Ausland verlagert werden.

Wie stark macht sich der Fachkräftemangel schon bemerkbar?

20 Prozent der Betriebe in der Metall- und Elektro-Industrie müssen aufgrund von Arbeitskräftemangel bereits Einschränkungen in der Produktion hinnehmen. Diese Quote liegt deutlich über dem Boom vor der Krise von 2007/2008. Seit Februar dieses Jahres übertrifft allein die Zahl der bei der Bundesagentur gemeldeten offenen Stellen für Facharbeiterberufe in der Metall- und Elektro-Industrie die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen in diesen Berufen. Wir haben zurzeit weit mehr offene Stellen als wir besetzen können, denn schätzungsweise nur die Hälfte der offenen Stellen wird bei der BA gemeldet. Und es kommt zu wenig Nachwuchs. Wir konnten längst nicht alle Lehrstellen besetzen. Wir haben 71.000 neue Ausbildungsverträge, aber 7.000 der angebotenen Stellen sind immer noch unbesetzt.

Die IG Metall fordert, Beschäftigte sollten das Recht bekommen, ihre Wochenarbeitszeit für bis zu zwei Jahre von 35 auf 28 Stunden zu reduzieren. Wieviele Arbeitnehmer werden denn wohl davon Gebrauch machen?

Da können wir nur mutmaßen. Überschlägig würden uns 200.000 Fachkräfte fehlen. Das gibt der Arbeitsmarkt nicht her. Eines ist klar: wenn Beschäftigte in eine sozial schwierige Situation geraten, weil zum Beispiel Angehörige gepflegt werden müssen, dann wird für sie bereits heute eine betriebliche Lösung gefunden.

Die IG Metall fordert zudem einen teilweisen Lohnausgleich für alle, die weniger arbeiten…

Das geht gar nicht. Wir haben das Prinzip: Wer länger arbeitet, verdient auch entsprechend mehr. Und die gleiche Logik muss auch umgekehrt gelten. Wenn jemand weniger arbeitet, dann verdient er auch entsprechend weniger. Daran dürfen wir nicht rütteln. Das wäre nicht gerecht.

Wo wir beim Geld sind: Die Tarife sollten um sechs Prozent angehoben werden, fordert die IG Metall. Was sagen Sie?

Wir haben bei unseren Beschäftigten heute schon bei 35 Stunden Arbeit in der Woche ein durchschnittliches Jahresentgelt von 56.000 Euro. Und wenn jetzt von 28 Stunden Arbeitszeit die Rede ist, will die IG Metall erzählen, dass das Geld für die Freizeit nicht reicht. Wie vermittelt man so etwas eigentlich einer Krankenpflegerin oder einem gelernten Einzelhandelskaufmann?

Wie hoch ist denn nach Ihrer Einschätzung der Verteilungsspielraum? Die IG Metall  addiert ja stets Inflation und Produktivitätszuwachs…

Zusätzlich kommt stets ein IG-Metall-Faktor oben drauf. Wenn am Ende tatsächlich sechs Prozent gefordert werden, dann hat das mit dem Zusammenrechnen von Inflation und Produktivitätszuwachs nichts mehr zu tun. Dann geht das weit darüber hinaus. Im Übrigen:  Seit 2012 sind die Löhne in der Metall- und Elektro-Industrie um 20 Prozent gestiegen. Die Produktivität in unserer Branche ist aber nur um einen Prozent gestiegen. Da ist es völlig weltfremd, sechs Prozent mehr Geld zu fordern und zusätzlich auch noch eine Arbeitszeitverkürzung, die ähnlich teuer ist.

Welche Folgen befürchten Sie?

Neben Produktionsverlagerungen droht eine Tarifflucht, die sich gewaschen hat. Unser Tarifvertrag gilt im Moment für mindestens 2,5 Millionen Beschäftigte. Er hat zudem eine Signalwirkung auf nicht tarifgebundene Betriebe und zum Teil auch auf andere Branchen. Insgesamt ist der Metalltarif eine Art Leitwährung für ungefähr vier Millionen Beschäftigte in Deutschland. Keiner von uns kann ein Interesse daran haben, die Tarifbindung weiter zu schwächen.

Nächste Woche tagen die Regionaltarifkommissionen und der IG-Metall-Vorstand, um die Tarifforderung endgültig zu beschließen. Wie lautet ihr Appell an den Tarifpartner?

Die Botschaft heißt ganz klar: Über Flexibilisierung kann man reden, aber dann bitte in beide Richtungen und ohne Anspruch. Wenn die IG Metall sagt, wir müssen noch mehr für Leute tun, die in eine sozial schwierige Situation geraten, dann kann man auch darüber reden. Doch wenn einer weniger arbeitet, dann muss ein anderer dafür länger arbeiten dürfen. Und: Mehr Geld für Nichtstun wird es mit uns nicht geben.

Union, FDP und Grüne sondieren in Berlin die Möglichkeit einer Jamaika-Koalition ab. Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen begleiten Sie denn diese Gespräche?

Unser Industriestandort ist einer der teuersten der Welt. Für uns ist wichtig, dass eine neue Bundesregierung die Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent deckelt. Jede Steigerung der Beiträge verteuert die Arbeit und kostet damit Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit.

Der Trend zur E-Mobilität stellt vor allem die Autobauer und Zulieferer vor große Herausforderungen. Welche Umwälzungen erwarten Sie?

Es gibt zwei große Herausforderungen! Das ist einmal die E-Mobilität, aber zum anderen ist das auch das ganze Thema Industrie 4.0.  Das heißt: Automobilbauer sowie deren Zulieferer, aber auch sehr viele Maschinenbauer stehen vor gewaltigen Investitionen. Es geht um eine neue Generation von Maschinen, die alle kommunikationsfähig und untereinander vernetzbar sind. Dazu passt es nicht, wenn die Gewerkschaften jetzt sagen, wir wollen mehr Geld und gleichzeitig noch weniger arbeiten.

Die Gewerkschaften kritisieren den Zusatzbeitrag, den Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen müssen, und fordern eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung. Sind Sie auch da gesprächsbereit?

2015 haben die Arbeitgeber mehr als 322,3 Milliarden Euro Sozialbeiträge bezahlt, die Arbeitnehmer dagegen 213,4 Milliarden Euro. Also, über eine paritätische Finanzierung können wir gerne reden, aber dann bitte ehrlich. Dann sind wir auch ganz schnell beim Thema Lohnfortzahlung. Die alleine kostet die Arbeitgeber – und nur die Arbeitgeber – nämlich 55 Milliarden Euro.

Das Interview führte Uwe Westdörp, NOZ. Erschienen am 21. Oktober 2017.