"Ohne Industrie kein Wohlstand!"

"Ohne Industrie kein Wohlstand!"

"Ohne Industrie kein Wohlstand!"

Gesamtmetall Präsident Dr. Stefan Wolf, Pressefoto, copyright: Amin Akhtar

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Gespräch mit der Bild am Sonntag zur Corona-Politik der Bundesregierung, der M+E-Tarifrunde und warum wir eine 40-Prozent-Grenze bei den Sozialbeiträgen brauchen.

Herr Wolf, Sie sind Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens mit mehr als 10.000 Mitarbeitern. Fühlen Sie sich von der Politik verlässlich durch die Krise navigiert?

Leider nicht mehr. Die Ministerpräsidentenrunde mit der Bundeskanzlerin hat scheinbar das Gefühl dafür verloren, wie die Wirtschaft tickt. Ihre Beschlüsse gehen seit Monaten völlig an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen und Betriebe vorbei. Zu glauben, die Wirtschaft könnte innerhalb von zehn Tagen einfach mal zwei zusätzliche Feiertage umsetzen, ist völlig absurd.

Die Kanzlerin hat sich für diesen Vorstoß entschuldigt. Verzeihen Sie ihr?

Es ist immer gut, Fehler einzugestehen. Jetzt müssen aber auch Konsequenzen daraus gezogen werden. Es darf nicht mehr passieren, dass die höchsten Politiker dieses Landes wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen, ohne den nötigen Sachverstand mit einzubeziehen. Die Wirtschaft muss bei diesen Verhandlungen endlich mit am Tisch sitzen.

Aktuell wird diskutiert, Unternehmen dazu zu verpflichten, ihre Mitarbeiter zweimal in der Woche zu testen. Was spricht dagegen?

Der verpflichtende Ansatz ist schon falsch, mit Freiwilligkeit geht das genauso gut. Logistisch ist das auch schlicht nicht umsetzbar. Hinzu kommt: Die Tests stehen gar nicht in ausreichender Stückzahl zur Verfügung und die Beschränkung auf die Betriebe ist grob unfair.

Welche Rolle können die Betriebe beim Impfen spielen?

Wir möchten helfen. Unsere Betriebsärzte müssen endlich in die Impfstrategie miteinbezogen werden. Wir stehen bereit. Sobald der Impfstoff bei uns ist, werden wir unsere Mitarbeiter schnell durchimpfen. Von der Politik fordere ich: Sagt uns endlich, wann wir loslegen können!

Was halten Sie von einem kurzen aber harten Lockdown, um aus der Krise rauszukommen?

Was wir brauchen, sind einheitliche Regelungen. Es muss endlich aufhören, dass jede Kommune ihren eigenen Sonderweg gehen kann. Es wäre mir lieber, wenn wir noch mal zehn Tage bundesweit in einen harten Lockdown gehen und danach überall öffnen können, anstatt über Monate keine klaren Strukturen zu haben.

Die Metall-Branche befindet sich seit Dezember in Tarifverhandlungen, diese Woche ist die sechste Runde in NRW gescheitert. Woran liegt's?

Das liegt aktuell am mangelnden Einigungswillen der IG Metall. Wir haben ein gutes Angebot auf den Tisch gelegt – eine Corona-Beihilfe in diesem Jahr. Auch eine Tariferhöhung im Jahr 2022 können wir uns vorstellen. Mehr ist einfach nicht drin. Weltweit haben die Automobilhersteller im Jahr 2020 rund 20 Millionen Fahrzeuge weniger verkauft als 2018. Es gibt nichts zu verteilen.

Die Gewerkschaft fordert 4 Prozent mehr Lohn. Wieso sollte das nicht möglich sein, Dividenden-Zahlungen bei Daimler oder VW dafür aber schon?

Die Branche besteht nicht nur aus Daimler und VW, sondern zum größten Teil aus mittelständischen Unternehmen. Von denen sind sehr viele 2020 in die Verlustzone gerutscht und brauchen dringend Entlastungen.

Was droht, wenn die Lohnkosten weiter steigen?

Viele Unternehmen haben Verlagerungspläne ins Ausland in der Schublade. Ich will denen keinen Grund geben, die da wieder rauszuholen. Schon in den vergangenen beiden Jahren sind fast 200.000 Jobs in der Metall- und Elektro-Industrie weggefallen. Wenn die Wettbewerbssituation sich nicht bessert, müssen wir damit rechnen, dass weitere Hunderttausende Jobs ins Ausland verlagert werden.

Sie sind Unternehmer in einem Bundesland, das seit zehn Jahren von einem grünen Ministerpräsidenten regiert wird. Was löst der Gedanke an eine grün angeführte Bundesregierung bei ihnen aus?

Da wird es mir himmelangst und bange, denn die Grünen auf Bundesebene verfolgen einen Kurs, der diametral zur Politik von Winfried Kretschmann steht. In Baden-Württemberg haben die Grünen verstanden, welche Bedeutung die Wirtschaft für die Menschen hat. Ohne Industrie kein Wohlstand! Auf Bundesebene hingegen drängen die Grünen auf ein Verbot des Verbrennungsmotors ab 2030. Sollte sich die Partei damit durchsetzen, werden massig Arbeitsplätze in diesem Land wegfallen.

Sollten auch Rentner an der Krisenbewältigung beteiligt werden?

Nein, es ist richtig, dass der Staat Rentnern die Rentengarantie gibt: Wenn Menschen ein ganzes Leben lang arbeiten, müssen sie sich auch darauf verlassen können, dass sie im Alter einen gewissen Lebensstandard erreichen. Allerdings ist die Rentenentwicklung an die Entwicklung der Löhne gekoppelt und auch in diesem Jahr gibt es wenig Spielraum für Lohnerhöhungen bei den Arbeitnehmern. Deshalb können die Renten auch im kommenden Jahr wohl nur stabil gehalten werden, große Sprünge nach oben sind nicht drin. Völlig falsch wäre es, jetzt über höhere Sozialbeiträge zu sprechen, um die Renten- und Sozialkassen zu stützen. Wenn die Bundesregierung das anders sieht, muss sie eben andere Wege finden.

Das heißt... ?

... dass es dann Aufgabe von Finanzminister Olaf Scholz wäre zu überlegen, an welcher anderen Stelle im Bundeshaushalt gespart werden kann. Auf den Unternehmen lasten die Sozialbeiträge schon jetzt bei 40 Prozent. Wenn wir die noch anheben, fahren wir den Laden an die Wand. Wenn das noch nicht ausreichen sollte, ist notfalls der Staat in der Pflicht und muss bei Renten- und Sozialkassen zuschießen.

Das Gespräch führten Thomas Block und Johannes C. Bockenheimer, Bild am Sonntag. Erschienen am 28. März 2021.