"Stoppt diesen Irrsinn"
"Stoppt diesen Irrsinn"

Warum die Metallarbeitgeber das Lieferkettengesetz ablehnen, erklärt Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander im Interview mit der NOZ
Herr Zander, die Koalition hat im Bundestag das so genannte Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht. Das Ziel lautet unter anderem: Weniger Kinderarbeit und mehr Umweltschatz in den Ländern der Zulieferer. Da kann man doch nur zustimmen, oder?
Grundsätzlich ja, Menschenrechte und Umweltschutz sind wichtige Ziele. Aber so, wie das Gesetz jetzt vorliegt, darf es den Bundestag auf keinen Fall verlassen. Das Gesetz schadet mehr als es nutzt, es überfordert die Unternehmen, gerade im Mittelstand, es ist extrem bürokratisch und auch rechtsstaatlich bedenklich. Der Bundestag soll über ein Gesetz mit Straftatbeständen beschließen, ohne im Detail zu wissen, worin genau diese Straftaten bestehen. Ich glaube auch nicht, dass man die Mängel und Konstruktionsfehler in kurzer Zeit korrigiert bekommt.
Und daraus folgt?
Mein Appell an den Bundestag und hier besonders an die CDU/CSU lautet, das Gesetz unverzüglich zu stoppen. Für mich entscheidet sich exemplarisch am Lieferkettengesetz die Frage der Wirtschaftskompetenz der Union. Sie kann ein solches Gesetz nicht im Bundestag beschließen und gleichzeitig im Wahlkampf Wirtschaftskompetenz behaupten. Gerade der Mittelstand wird äußerst skeptisch reagieren.
Was genau ist das Problem?
Zunächst zählt das Gesetz zahlreiche Menschenrechte und Umweltschutzstandards auf, erklärt dann deren weltweite Durchsetzung in der gesamten Lieferkette für deutsche Unternehmen zur Pflicht und schafft schließlich mit sogenannten Sorgfaltspflichten Dutzende neuer Bürokratielasten. Dazu gehören Risikomanagement, neue Beauftragte, Risikoanalysen, Grundsatzerklärungen, Präventionsmaßnahmen und maßlose Dokumentations- und Berichtspflichten. Ob ein Mittelständler das leisten kann, interessiert die Bürokraten nicht, und manche Berater wittern schon lukrative Geschäfte. Diese Berater haben denn auch das Gesetz in der Anhörung sehr gelobt.
Was muss sich denn ändern?
Geplant war, dass das Gesetz keine zivilrechtliche Haftung im Fall von Regelverstößen vorsieht. Der Rechtsausschuss des Bundesrates geht davon aus, dass Unternehmen sowie Vorstände und Geschäftsführer, letztere auch mit ihrem privaten Vermögen, haften.
Und inwiefern überfordert das Gesetz die Unternehmen?
Wir beklagen, dass Firmen gar nicht nachvollziehen können, was nun eigentlich verlangt wird. Der Gesetzentwurf nennt Dutzende von völkerrechtlichen Abkommen, Konventionen, Charten und anderen Rechtsvorschriften, deren konkrete Auslegung den Unternehmen überlassen werden soll, denn ein genaues Tun oder Unterlassen wird nicht verlangt. Diese Unbestimmtheit macht das Gesetz höchst fragwürdig.
Bitte ein Beispiel…
Der Entwurf nennt das Verbot von Ungleichbehandlung in Beschäftigung in Bezug auf die Bezahlung. Was heißt das konkret? Wenn man das vorschreibt, muss man auch sagen, welche Anforderungen genau zu erfüllen sind. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber Verstöße mit Bußgeldern belegen will. Es droht eine völlig uferlose Kriminalisierung von Unternehmen, nur auf Hinweis aus dem Ausland, da sei etwas nicht in Ordnung.
Ist denn aus Ihrer Sicht vernünftig geregelt, bis zu welchem Grad Zulieferungen überprüft werden sollen?
Es geht um die gesamte Lieferkette. Es ist nicht so, dass deutsche Unternehmen nur für bestimmte Bereiche der eigenen Produktion verantwortlich gemacht werden sollen. Vielmehr geht es um sämtliche erworbenen Maschinen und Anlagen, sämtliche Roh- und Betriebsstoffe, alle Leistungen bis hin zur Lieferkette der EDV-Anlage. Das heißt: Alles das, was in den Unternehmen durch die Fabrikhallen und Büros geht, ist potenziell ein Risiko und muss durchgeprüft werden. Das mag vielleicht noch bei der Lieferung Kakao und Kaffee funktionieren. Aber bei unseren Produkten funktioniert das natürlich nicht.
Warum nicht?
Wir stellen Hochtechnologieprodukte her, an denen Hunderte, zum Teil Tausende von Unternehmen beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund ist das Gesetz uferlos sowohl in Bezug auf die Lieferbeziehungen als auch bei den Anforderungen. Die Unternehmen brauchen aber klare Regeln - je konkreter desto besser.
Es sollte aber doch gelten, dass deutsche Unternehmen vollumfänglich nur bei ihren unmittelbaren Zulieferern auf die Einhaltung der Menschenrechte achten müssen. Das ist jetzt vom Tisch?
Das war zwar versprochen, aber die Konstruktion beschränkt sich nicht auf die direkten Zulieferer.
Wie könnte man es besser machen?
Wir plädieren dafür, insbesondere auf den Anfang der Lieferkette zu schauen, dort wo Rohmaterialien produziert werden. Dort kann man viel erreichen, zur Not auch mit der Androhung und dem Aussprechen von Sanktionen. Man könnte auch einzelne Unternehmen aus der Lieferkette herausnehmen, auf eine schwarze Liste setzten, wenn man dort schwere Menschenrechtsverletzungen feststellt oder wenn die Umweltstandards des zuständigen Staates eklatant verletzt werden.
Wenn das Gesetz unverändert in Kraft treten würde: Was wären die Folgen?
Es ist zu erwarten, dass sich viele deutsche Firmen zurückziehen müssen, weil sie die Haftungsrisiken nicht überblicken können. Sie würden dann Unternehmern aus anderen Ländern - z.B. China - das Feld überlassen. Und ich bezweifele, dass sich dann an der Menschenrechtsituation in den Herkunftsländern etwas ändert. Kurz: Man gibt vor, etwas Gutes zu tun, letztlich werden aber Handel und wirtschaftliche Entwicklung gehemmt - mit entsprechenden Auswirkungen auf Jobs und Einkommen in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Und was wären die Folgen für die die Wirtschaft in Deutschland?
Stand heute soll das Gesetz nur gelten für Unternehmen mit einem Hauptsitz in Deutschland. Umgekehrt gilt das Gesetz nicht für ausländische Unternehmen, die in Deutschland produzieren, aber einen Hauptsitz zum Beispiel in Schweden haben. Das heißt: Man kann sich dem Gesetz entziehen, indem man den Firmensitz ins Ausland verlagert. Ich meine, solche Gesetze sollte Deutschland aus eigenem Interesse nicht verabschieden. Es wäre quasi eine Aufforderung, der Bundesrepublik den Rücken zu kehren. Ich appelliere dringend an die Union, diesen Irrsinn zu stoppen.
Das Interview führte Uwe Westdörp, Neue Osnabrücker Zeitung. Erschienen am 19. Mai 2021.