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„Wir müssen alle mehr arbeiten“

Struk­tur­re­formen

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Interview mit der Thüringer Allgemeinen über den Wirtschaftsstandort Deutschland:

Die deutsche Wirt­schaft hat beim Wachstum den Anschluss an andere Länder verloren und ihre Führungs­po­si­tion eingebüßt, wo steht sie aktuell?

Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie ist inzwi­schen seit acht Quartalen in Folge in der Rezession. Was 2019 begann, ist zu einer anhal­tenden Struk­tur­krise geworden. Auch in diesem Jahr haben wir das Produk­ti­ons­ni­veau der Zeit von 2018, also vor Rezession, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg, bei Weitem noch nicht wieder erreicht. Wir liegen aktuell 16 Prozent­punkte darunter. Es bedarf dringend einer Verbes­se­rung der Stand­ort­be­din­gungen für die deutsche Wirt­schaft.

Welche Forde­rungen haben Sie an die Politik?

Entschei­dend ist, dass schnell die ersten Verbes­se­rungen spürbar werden. Die Unter­nehmen brauchen Steu­er­er­leich­te­rungen – Deut­sch­land hat mit die höchsten Steuern weltweit. Die Senkung der Körper­schafts­steuer und die verbes­serten Abschrei­bungs­mög­lich­keiten müssen jetzt kommen, damit wieder inves­tiert wird. Die Senkung der Ener­gie­preise, die im inter­na­ti­o­nalen Vergleich weit oben liegen, und eine Deckelung der Kosten für die Sozi­a­l­ver­si­che­rungen bei 40 Prozent, was Arbeit­ge­bern und Arbeit­neh­mern glei­cher­maßen zugu­te­käme, müssen ebenfalls kommen.

… dem welche Ihrer Meinung nach folgen müssten?

Vor allem ein grund­le­gender Büro­kra­tie­abbau. Die deutsche Wirt­schaft gibt inzwi­schen jährlich 70 Milli­arden Euro für die Erfüllung büro­kra­ti­scher Auflagen aus, das Geld kann man sinn­voller einsetzen. Der Staat hat in den vergan­genen Jahren immer mehr Personal aufgebaut, um die Wirt­schaft zu kontrol­lieren. Es bedarf eines Umdenkens, dahin­ge­hend, dass der Staat den Unter­neh­mern wieder vertraut und nicht immer von der absurden Annahme ausgeht, dass alle Firmen­chefs tricksen und betrügen wollen. Die Verwal­tung muss dafür sorgen, dass sich die Dauer der Geneh­mi­gungs­ver­fahren verkürzt. Wenn ein inter­na­ti­o­naler Investor in Thüringen ein neues Werk errichten will, vergehen leicht mehrere Jahre bis zur Bauge­n­eh­mi­gung, und kurz vor Beginn wird dann viel­leicht noch ein seltener Käfer entdeckt, was zu neuer­li­chen Verzö­ge­rungen führt. In China bekommt man eine Bauge­n­eh­mi­gung binnen neun bis zwölf Monaten, ein klarer Nachteil für Deut­sch­land im inter­na­ti­o­nalen Stand­ort­wett­be­werb.

Die IG Metall, als Ihr Sozi­al­partner, hat sich jüngst von der 4-Tage-Woche als Ziel verab­schiedet, das ist sicher in Ihrem Sinne?

Natürlich begrüßen wir dies, denn um den Wohlstand zu erhalten, müssen wir alle mehr arbeiten. Und wir brauchen mehr Flexi­bi­lität durch die Einfüh­rung der Wochen­a­r­beits­zeit, um das Verteilen der Arbeits­zeit zu erleich­tern. Warum soll die Arbeit nicht auf vier statt auf fünf Werktage verteilt werden? Auch Arbeit­nehmer wollen das.

Es sind Unter­nehmen und damit auch Arbeits­plätze ins Ausland verlagert worden, wie kann die Politik diesen Trend stoppen oder gar umkehren?

Ja, das stimmt. Allein die Metall- und Elektro-Industrie hat seit November 2023 rund 130.000 Stellen verloren. Wir brauchen deshalb klare positive Signale von der Politik. Die ange­kün­digte Reform der Unter­neh­mens­steuern ist wichtig, auch wenn ich mir sie schon 2026 statt 2028 gewünscht hätte. Ich appel­liere in dieser Frage vor allem an die Länder, die Pläne der Bundes­re­gie­rung nicht im Bundesrat zu blockieren, weil sie sich dadurch einen noch größeren finan­zi­ellen Ausgleich verspre­chen. Wenn die Wirt­schaft wieder wächst, werden die Einnah­me­aus­fälle wieder mehr als ausge­gli­chen.

Sie mahnen auch eine Struk­tur­re­form in der öffent­li­chen Verwal­tung an, warum gerade jetzt?

Weil wir noch unter Kanzlerin Merkel und danach in der Ampel­re­gie­rungs­zeit viele Jahre verloren haben, in denen Personal weiter aufgebaut wurde, statt Vorgänge zu digi­ta­li­sieren und zu auto­ma­ti­sieren. Es kann nicht sein, dass ich im Jahr 2025 für eine Beschei­ni­gung aufs Amt gehen muss, wo der Sach­be­a­r­beiter am Ende den Datums­stempel weiter­dreht. In Estland kann man mit wenigen Klicks seine Steu­er­er­klä­rung digital abgeben Die Zeit für einen sozi­a­l­ver­träg­li­chen Stel­le­n­abbau in den Verwal­tungen war nie günstiger als jetzt. Die gebur­ten­starken Jahrgänge ab 1960 gehen in den Ruhestand, diese Stellen nicht wieder neu zu besetzen, bricht verkrus­tete Struk­turen auf. Man muss es nur wollen.

Inwieweit spielt Ihre Forderung nach einer verän­derten Fehler­kultur in der Verwal­tung eine Rolle für die deutsche Wirt­schaft?

Es hat sich bei zu vielen Bediens­teten in den Verwal­tungen die Einstel­lung breit gemacht, lieber nichts zu entscheiden, als mögli­cher­weise einen Fehler zu begehen. Das bremst die Wirt­schaft aus, weil zum Beispiel Bauge­n­eh­mi­gungen viel zu lange brauchen.

Braucht die deutsche Wirt­schaft eine gezielte Zuwan­de­rung, um das Fach­kräf­te­pro­blem in den Griff zu bekommen?

Wenn Menschen zu uns kommen, die bereit sind sich zu inte­grieren, unsere Sprache zu erlernen und unsere Kultur zu akzep­tieren sowie sich zu quali­fi­zieren, dann ist das enorm hilfreich. Eine unkon­trol­lierte Zuwan­de­rung in die Sozi­al­sys­teme und der Aufbau von Paral­lel­kul­turen führen dagegen zu Verdruss und Konflikten.

Die Zoll­po­litik der US-Regierung unter Donald Trump behindert die deutsche Wirt­schaft massiv. Wie groß ist die Verun­si­che­rung?

Die Verun­si­che­rung ist enorm. In Bremer­haven stehen Waren an der Zoll­kon­trolle, weil nicht klar ist, mit welchem Zollsatz sie nun belegt sind. Protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen belasten Volks­wirt­schaften, sie treffen aber letztlich auch die US-Wirt­schaft und -Bevöl­ke­rung. In den USA brodelt es inzwi­schen und US-Präsident Trump verliert an Zustim­mung.

Sie haben einmal dafür plädiert, die Deutschen sollten bis 70 Jahre arbeiten, bevor sie in Rente gehen, ist das noch immer Ihr Ansatz?

Nein. Ich denke, in bestimmten Berufen, etwa auf dem Bau oder am Fließband in der Fertigung, kann man körper­lich nicht bis zum 70. Geburtstag arbeiten. In anderen Bereichen, etwa in der Buch­hal­tung, ist es eher vorstellbar. Aber letztlich sollten das die Menschen selbst frei entscheiden können. Der Plan von CDU-Gene­ral­se­kretär Carsten Linnemann eines steu­er­freien Zuver­dienstes von 2.000 Euro zur Rente ist ein guter Ansatz. Denn mit den älteren Beschäf­tigten gehen ja nicht nur Mita­r­beiter verloren, sondern auch deren Know-how, ihr Wissens­schatz und ihre Erfah­rungen.