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Anpassung des deutschen Mindestlohngesetzes ist damit vom Tisch

EuGH kippt zentrale Vorgaben der Richtlinie

Der Euro­pä­i­sche Gerichtshof (EuGH) hat am 11. November 2025 zentrale Kern­be­stim­mungen der Richt­linie (EU) 2022/2041 über ange­mes­sene Mindest­löhne für nichtig erklärt und damit der Rege­lungswut der Euro­pä­i­schen Kommis­sion klar die rote Karte gezeigt. Das Gericht verneint zu Recht eine direkte euro­pä­i­sche Kompetenz für die Fest­le­gung einheit­li­cher Lohn­un­ter­grenzen. Damit entfällt auch der vermeint­liche Druck aus Brüssel, nationale und arbeits­markt­ge­rechte Mindest­löhne in ein Konzept beda­rfs­an­ge­mes­sener Mindest­löhne („Living-wage“-Konzept) zu über­führen. Das sind gute Nach­richten für Deutschland, denn für das Mindest­lohn­ge­setz ergeben sich so keine neuen Anpas­sungs­pflichten.

Gesamt­me­tall-Haupt­ge­schäfts­führer Oliver Zander: „Dieses Urteil stellt klar: Die Lohn­fest­set­zung sowie die hierfür fest­ge­legten Kriterien bleiben in der nati­o­nalen Gestal­tungs­ho­heit. Speziell die Mindest­lohn­fest­set­zung bleibt ausdrü­ck­lich Sache der Mitglied­s­taaten. Für Deutschland heißt das konkret, dass kein euro­pä­i­scher Zwang zu weiteren Eingriffen in das Mindest­lohn­ge­setz besteht. Der Diskus­sion um die Berück­sich­ti­gung von Refe­renz­werten wie etwa 60 Prozent des soge­nannten Brut­to­me­di­an­lohns ist damit endgültig der Boden entzogen. Wir erwarten, dass die Euro­pä­i­sche Kommis­sion und auch die Bundes­re­gie­rung diese klare Absage an Einmi­schungen in die Tarif­au­to­nomie nun bei allen zukünf­tigen Gesetz­ge­bungs­akten – wie insbe­son­dere auch bei der Umsetzung der Entgelt­trans­pa­renz­richt­linie – voll­ständig respek­tieren.“

In ihrer ausführ­li­chen Urteils­be­grün­dung erläu­terten die Luxem­burger Richter, dass die EU mit verbind­li­chen, direkten Kriterien für die Fest­set­zung und Aktu­a­li­sie­rung von Mindest­löhnen ihre Kompe­tenzen über­schritten habe. Gleiches gelte im Hinblick auf das Verbot, Löhne auch absenken zu können, wenn sie einer auto­ma­ti­schen Inde­xie­rung unter­liegen. Denn diese Rege­lungen griffen unmit­telbar in die Fest­set­zung des Arbeits­ent­gelts ein – eine Kompetenz, die nach Art. 153 Abs. 5 des AEUV allein den Mitglied­s­taaten zustehe. Entschei­dend für eine euro­pa­recht­liche Zuläs­sig­keit sei es, dass die Maßnahmen die Vielfalt der nati­o­nalen Systeme und die Autonomie der Sozi­al­partner wahren. Damit werden vom EuGH deutlich wichtige Grenzen für die EU-Gesetz­ge­bung definiert.

Mit der folge­rich­tigen Nich­ti­g­er­klä­rung von Art. 5 Abs. 2 der EU-Mindest­lohn­richt­linie ist die zentrale Vorgabe zur Über­füh­rung des deutschen Mindest­lohns in ein „Living-wage“-Konzept entfallen. Der deutsche Gesetz­geber ist daher auch nicht verpflichtet, § 9 Abs. 2 MiLoG anzu­passen. Ebenso ist die bisher disku­tierte Orien­tie­rung am Median- oder Brut­todurch­schnitts­lohn euro­pa­recht­lich nach Ansicht des EuGH nicht geboten und zugleich von dem deutschen Mindest­lohn­ge­setz auch nicht gefordert. Die Wahl geeig­neter Refe­renz­werte und die regel­mä­ßige Anpassung der nati­o­nalen Lohn­un­ter­grenze bleibt voll­ständig den Mitglied­s­taaten über­lassen. So kann auf nati­o­naler Ebene auch zukünftig weiterhin ange­messen berück­sich­tigt werden, dass ein zu hoher und damit nicht markt­kon­former Mindest­lohn zu stei­gender Arbeits­lo­sig­keit führen würde, wenn und weil die betrof­fenen Arbeits­leis­tungen nicht hinrei­chend produktiv sind. Einem daue­r­haften, schwer­wie­genden und vor allem unge­recht­fer­tigten Eingriff in die Tarif­au­to­nomie durch staatlich gelenkte Lohn­po­litik aus Brüssel wurde so vom EuGH ein Riegel vorge­schoben.

Die übrigen Teile der Richt­linie bleiben zwar bestehen, insbe­son­dere die Vorgabe, hohe Tari­fab­de­ckungs­raten zu fördern. Bedau­e­r­li­cher­weise ist der EuGH in diesem Punkt nicht seinem Gene­ral­an­walt Emiliou gefolgt, der zu Recht eine voll­stän­dige Nich­ti­g­er­klä­rung aller Rege­lungen gefordert hatte. Der EuGH sieht hier keinen unmit­tel­baren Eingriff in das Koali­ti­ons­recht, das ebenfalls in der Zustän­dig­keit der Mitglieds­s­taaten liegt. Die dies­be­züg­li­chen Bestim­mungen der EU-Mindest­lohn­richt­linie verpflichten die Mitglied­s­taaten nämlich nicht direkt, bestimmte Tari­fab­de­ckungs­raten zu erreichen, sondern enthalten nur Orien­tie­rungs- und Verfah­rens­vor­gaben ohne unmit­tel­bare Wirkung auf die Entgelt­höhe. Ein Unter­schreiten – der ohnehin nur als Indikator zu verste­henden tarif­ver­trag­li­chen Abdeckung – sei zudem sank­ti­onslos.

Zander: „Der deutsche Gesetz­geber kann sowohl mit als auch ohne EU-Richt­linie die richtigen Maßnahmen für eine bessere Tari­fab­de­ckung in Deutschland treffen. Toxische Regeln wie das hoch­bü­ro­kra­ti­sche Bunde­s­t­a­rift­reu­e­ge­setz gehen da leider in die völlig falsche Richtung und bewirken das Gegenteil.“

Die EU-Mindest­lohn­richt­linie wurde 2022 beschlossen. Gegen das Regelwerk hatte Dänemark geklagt und nun in zentralen Punkten Recht bekommen. Basierend auf den gekippten Kriterien hatten die Gewerk­schaften wegen der Vorgaben aus Europa gefordert, den Mindest­lohn in Deutschland auf ein beda­rfs­ge­rechtes Niveau von über 15 Euro anzuheben. Mit dem aktuellen Urteil des EuGH ist diese Debatte nun endgültig beendet.