Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11.09.2025:
Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie ist das Rückgrat unsererWirtschaft. Doch sie stehtunter Druck: Fachkräftemangel, internationaleWettbewerbsfähigkeit und volatileLieferketten verlangen nach mehr Flexibilität– auch beim Arbeitszeitrecht.
Zwei im Koalitionsvertrag klar vereinbarte Reformen sind überfällig: die Einführung einer gesetzlichen Wochenarbeitszeit und eine rechtssichere Absicherung der Vertrauensarbeitszeit.
Warum ist die Wochenarbeitszeit gut für die deutsche Wirtschaft und die Beschäftigten? Eine starre Tageshöchstarbeitszeit wird der betrieblichen Praxis schon lange nicht mehr gerecht. Egal ob in der Produktion, bei Instandhaltungen von Maschinen oder bei internationalen und zeitzonenübergreifenden Projekten – regelmäßig entstehen Situationen, in denen punktuell längere tägliche Arbeitszeiten notwendig sind.
Muss etwa die Wartung einer Maschine zügig abgeschlossen werden, da sie sonst stillsteht und Zeit und Geld kostet, ist flexibles Handeln gefragt. Eine Übergabe an Kollegen für kurze Restarbeiten ist ineffizient und fehleranfällig. Wenn Mitarbeiter in solchen Ausnahmefällen länger arbeiten dürfen und dafür an anderer Stelle Freizeitausgleich erhalten, profitieren alle – ohne dass die Gesamtarbeitszeit steigt. Auch die internationale Zusammenarbeit leidet unter starren Grenzen. Wenn ein Standort in den USA oder Asien ein akutes Problem meldet, ist eine zeitnahe Reaktion aus der deutschen Zentrale oft nicht möglich – die gesetzliche Grenze ist erreicht. Eine Wochenarbeitszeit ermöglichte, an einem Tag länger zu arbeiten und dies an einem anderen auszugleichen.
Die Vorteile zeigen sich auch im Alltag vieler Beschäftigter, besonders in Kombination mit flexibleren Ruhezeiten: Eltern können bei unvorhersehbaren Betreuungslücken Stunden am Abend nachholen. Die Pflege Älterer kann zeitlich angepasst werden. Beschäftigte auf entfernten Baustellen müssen nicht wegen kurzer Restarbeiten eine zusätzliche Übernachtung einplanen. Die Wochenarbeitszeit schafft genau diese Flexibilität – für Unternehmen und für die Beschäftigten.
Betriebe brauchen flexible Regeln, Beschäftigte auch.
Und das Recht zu echter Vertrauensarbeitszeit.
Gleichzeitig muss der Gesetzgeber die Vertrauensarbeitszeit durch klare Ausnahmen absichern – wie im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart. Unternehmen und Beschäftigte brauchen hier Klarheit und Verlässlichkeit. Vertrauensarbeitszeit bedeutet keinen Kontrollverzicht, sondern ist Ausdruck moderner Arbeitsorganisation. Sie ist dort unverzichtbar, wo Leistung und Ergebnisse zählen – nicht die minutengenaue Erfassung von Präsenzzeiten. In den Unternehmen der Metall- und Elektro-Indus – trie ist sie längst gelebte Praxis und kommt damit dem beiderseitigen Wunsch nach mehr Autonomie nach. 20 Prozent der Beschäftigten arbeiten bereits in diesem Arbeitszeitmodell, das es seit Jahrzehnten gibt.
Für Arbeitgeber bedeutet das weniger Verwaltungsaufwand durch den beiderseitigen Verzicht auf eine minutengenaue Zeiterfassung, höhere Produktivität durch selbstbestimmtes Arbeiten und eine stärkere Mitarbeiterbindung und Arbeitgeberattraktivität durch mehr Flexibilität im Alltag. Beschäftigte können ihre Arbeit ohne Stechuhr eigenverantwortlich strukturieren – etwa auch abends oder früh morgens, wenn es die familiäre Situation erfordert. Aber nur eine klare gesetzliche Absicherung – durch eine freiwillige Vereinbarungslösung mit Rückkehrrecht zur Zeiterfassung – schafft Rechtssicherheit. Sie bewahrt unternehmerische Freiheit und stärkt die Eigenverantwortung der Beschäftigten – ohne die Schutzstandards der EU-Arbeitszeitrichtlinie zu verletzen.
Wir wollen ein Arbeitszeitrecht, das zur modernen Arbeitswelt passt. Ein Recht, das Flexibilität ermöglicht, ohne Schutzstandards zu senken. Ein Recht, das Unternehmen handlungsfähig hält und Beschäftigten mehr Selbstbestimmung gibt. Die gesetzliche Einführung der Wochenarbeitszeit und die Absicherung der Vertrauensarbeitszeit sind zentrale Reformschritte für eine starke Industrie und eine Arbeitswelt, die den Beschäftigten gerecht wird.