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„Die Ampel hat keine Kraft gehabt für eine Wirtschaftswende“

Neuwahlen

Was jetzt noch passieren und was eine neue Bundesregierung im nächsten Jahr schnellstmöglich angehen muss, hat Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt:

Herr Zander, was ging Ihnen als Arbeit­ge­ber­ver­treter durch den Kopf, als Sie vom Ampel-Aus erfahren haben?

Es war und ist eine folge­rich­tige Entschei­dung, weil die Poli­tik­kon­zepte der drei Partner nicht mehr zusam­men­ge­passt haben. Die FDP hat ja rich­ti­ger­weise auf eine Wende in der Wirt­schafts­po­litik bestanden, das war mit Grünen und SPD nicht zu machen. Niemand hätte etwas davon gehabt, wenn das Elend bis September 2025 weiter­ge­gangen wäre. Insofern gab es große Erleich­te­rung.

Also hat uns die rot-grün-gelbe Bundes­re­gie­rung drei verlorene Jahre beschert?

Das würde ich so einseitig nicht sagen. Das Krisen­ma­na­ge­ment wegen des Ukraine-Kriegs, Stichwort Gasver­sor­gung, war ja zum Beispiel in Ordnung. Der Fehler bestand darin, dass man einen über 100-seitigen Koali­ti­ons­ver­trag auf dem Tisch hatte und so getan hat, als wenn man all das, was man verab­redet hatte, trotz des schwie­rigen Hinter­grunds eins zu eins weiter umsetzen könne. Die Ampel hat nicht verstanden, dass man nicht einer­seits eine Zeiten­wende rekla­mieren kann und dann im alten Trott weiter­macht.

Was meinen Sie genau?

Die Ampel hat keine Kraft gehabt für eine Wirt­schafts­wende, für die Lösung der mit Migration verbun­denen Probleme und für die Stabi­li­sie­rung der sozialen Sicherung im demo­gra­phi­schen Wandel. Ande­rer­seits gab es gesell­schafts­po­li­ti­sche Projekte, deren Dring­lich­keit nicht gegeben war. Von der Cannabis-Freigabe kann man wirklich nicht behaupten, dass so etwas die Lebens­ver­hält­nisse der Menschen und die Bedin­gungen für die Wirt­schaft verbes­sert. Es bleibt der Eindruck falscher Prio­ri­tä­ten­set­zung.

Sie würden einer neuen Regierung also von einem allzu üppigen Koali­ti­ons­ver­trag abraten?

Absolut. Koali­ti­ons­ver­träge müssen grund­sätz­lich anders gemacht werden, abge­speckter. Die Regie­rungs­partner müssen viel beweg­li­cher bleiben, denn eine Legis­latur dauert vier Jahre und die Welt dreht sich rasend schnell weiter.

Lassen Sie uns nach vorn blicken. CDU-Kanz­ler­kan­didat Friedrich Merz hat soeben klar­ge­stellt, vor der Neuwahl werde es keine Wirt­schafts­wende mehr geben. Größere Geset­zes­vor­haben der Rest-Ampel will er im Bundestag nicht unter­stützen. Geht hier Wahlkampf vor Landes­wohl?

Das Wirt­schafts­dy­na­mi­sie­rungs­paket war ja keine Riesen­re­form. Es wäre aller­dings eine Verbes­se­rung mit vielen kleinen Schritten gewesen. Das wird bedau­e­r­li­cher­weise nicht mehr kommen. Aller­dings appel­liere ich an die Union und auch an die FDP, beim Thema Senkung der Netzent­gelte nochmal zu prüfen, ob sie SPD und Grünen nicht doch noch die Hand reichen. Die hohen Netzent­gelte belasten die Industrie extrem. Da haben wir nicht noch ein halbes, drei­viertel Jahr Zeit, bis eine neuge­wählte Regierung die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen abge­schlossen hat, im Amt ist und den Haushalt auf den Weg bringt. Wir brauchen hier schnellst­mög­lich Entlas­tung. Für die mittel­stän­di­sche Industrie wären es immerhin rund fünf Cent pro Kilo­watt­stunde.

Die Entlas­tung müsste aber doch aus Steu­er­geld erfolgen …

Es geht um fünf bis zehn Milli­arden Euro, es wäre wirklich gut ange­legtes Geld. Und die Schul­den­bremse müsste dafür nicht ausge­setzt werden.

Was muss eine neue Bundes­re­gie­rung im nächsten Jahr schnellst­mög­lich angehen im Sinne der deutschen Unter­nehmen?

Die Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­kosten, also die Beiträge zur Arbeits­losen-, Kranken-, Renten- und Pfle­ge­ver­si­che­rung drohen in den nächsten Jahren völlig aus dem Ruder zu laufen. Derzeit laufen wir auf 42 Prozent vom Brut­to­ent­gelt zu, wenn nicht endlich gegen­ge­steuert wird, landen wir 2035 bei gut 50 Prozent. Das ist weder für Arbeit­nehmer noch für Arbeit­geber zu stemmen. Solche zusätz­li­chen Belas­tungen sind Gift für die Wett­be­werbs­fä­hig­keit unserer Unter­nehmen. Wir haben in den letzten drei Jahren mehr als 100 Milli­arden direkte Inves­ti­ti­onen verloren. Es wird überall inves­tiert, nur nicht in Deutschland. Das liegt an den Rahmen­be­din­gungen. Was aber passiert, wenn nicht mehr in die Moder­ni­sie­rung von Produk­ti­ons­s­tätten inves­tiert wird, also der Kapi­tal­stock veraltet, hat man in der DDR besich­tigen können. Und deshalb müssen wir dringend eine Wirt­schafts­wende schaffen. Und dazu gehört es, dass die nächste Bundes­re­gie­rung die ausufernden Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge endlich in den Griff bekommt.

Wie hoch sollten sie maximal sein?

Die Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge sollten nicht höher liegen als bei 40 Prozent. Aus Erfahrung wissen wir, dass ab dieser Grenze Beschäf­ti­gungs­ver­luste drohen. Wenn in lohn­in­ten­siven Branchen die Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge steigen und steigen, sehen wir vielfach auch ein Abgleiten in die Schwa­rz­a­r­beit. Das kann man nicht wollen, weil man dann wiederum weniger Beiträge einnimmt, und das, was an Geld fehlt, auf die Beitrags­zahler – Arbeit­nehmer und Arbeit­geber – umlegen muss. Wir können auch nicht jeden Tag eine neue Sozi­al­leis­tung erfinden.

Sie denken an das Bürger­geld?

Der Umstieg von Hartz IV auf das Bürger­geld ist ein totales Desaster und letztlich geschei­tert, weil der Eindruck entstanden ist, es handele sich um eine Art bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen. Die Bürger­gel­d­emp­fänger sind viel stärker zu bewegen, eine Arbeit aufzu­nehmen. Damit ließe sich sicher­lich Geld im Sozi­al­staat sparen. Und was die Rente betrifft: Wir können außer­or­dent­lich dankbar sein, dass die Ampel­ko­a­li­tion geschei­tert ist, weil das Renten­paket II nicht mehr kommt. Das hätte uns noch mal zusätz­lich 500 Milli­arden gekostet bis 2040. Es geht nicht darum, den Sozi­al­staat zu schleifen. Aber die Prin­zi­pien der Sozialen Markt­wirt­schaft müssen schon ausba­lan­ciert sein. Und da sehe ich bei der Sozi­al­de­mo­kratie aktuell noch kein Umdenken. Sich im Wahlkampf allein als Partei für soziale Wohltaten und den Spit­zen­kan­di­daten als Frie­dens­kanzler zu verkaufen, kann es doch wohl ange­sichts der drama­ti­schen Wirt­schafts­lage nicht sein.

Wie ließen sich die Lohn­ne­ben­kosten senken?

Eine effi­zi­en­tere Leis­tungs­ver­wal­tung würde zum Beispiel schon einiges bewirken. Beispiel Rente: Da haben wir die Deutsche Renten­ver­si­che­rung Bund, aber allein in Bayern gibt es drei Regi­o­nal­träger. Da ließen sich Struk­turen verschlanken, allein schon mithilfe einer konse­quenten Digi­ta­li­sie­rung und Auto­ma­ti­sie­rung.

SPD und Grüne wollen öffent­liche Aufträge nur noch an Unter­nehmen mit Tarif­bin­dung vergeben und haben soeben dazu das Tarift­reu­e­ge­setz im Kabinett auf den Weg gebracht. Hat das eine Zukunft?

Ich setze darauf, dass eine neue Bundes­re­gie­rung diesem Spuk ein Ende macht; sie sollte das nicht weiter­ver­folgen, weil es am Ende des Tages an der Leben­s­praxis zerschellt. Nehmen wir an, die Bundes­wehr kauft einen Panzer: Die Kette kommt aus Bayern. Die Kanone kommt aus Italien. Teilweise kommt Technik aus Amerika oder Frank­reich. Die Panze­r­wanne kommt viel­leicht aus Kassel oder Kiel. Wer soll das alles nach­halten? Wollen sie prüfen, ob sich Zulie­ferer im Ausland an Tarif­ver­ein­ba­rungen halten? Für die Gewerk­schaften mag das Tarift­reu­e­ge­setz ein Pres­ti­ge­pro­jekt sein, es ist aber nur Symbol­po­litik, die an der Lebens­wirk­lich­keit vorbei­geht – zumal in der derzeit sehr schwie­rigen Wirt­schafts­lage.

Zum Schluss eine ganz andere Frage: Im Rahmen der jüngsten Verein­ba­rung im Metall- und Elek­tro­ge­werbe haben die Tarif­partner einen gemein­samen Appell für mehr Demo­kra­tie­bil­dung bei den Auszu­bil­denden formu­liert. Was stimmt mit den Azubis im Land nicht?

Mit den Auszu­bil­denden ist alles in Ordnung. Wir möchten aller­dings unter anderem erreichen, dass sich mehr Jugend­liche in poli­ti­schen Parteien enga­gieren. Deren Mitglie­der­zahl hat sich in den vergan­genen drei Jahr­zehnten etwa halbiert; davon ist die Hälfte wiederum alters­mäßig 60 plus. Unser poli­ti­sches System hängt letztlich von den Insti­tu­ti­onen und Parteien ab. In den Parteien sollte sich die Gesell­schaft wider­spie­geln also Auszu­bil­dende, Fach­a­r­beiter und Fach­a­r­bei­te­rinnen, Indus­trie­meister, denn es ist hilfreich, wenn dieje­nigen, die sich politisch enga­gieren, auch die betrieb­liche Wirk­lich­keit kennen­ge­lernt haben und nicht nur akade­misch. Parteien, Kirchen, Gewerk­schaften, Arbeit­ge­ber­ver­bände, Vereine – diese Insti­tu­ti­onen machen unser Land stabil. Und deshalb appel­lieren wir an jungen Menschen, sich zu enga­gieren. Mitmachen ist gar nicht so schwer – und bietet außer­or­dent­liche Chancen.