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„Die Bundestagswahl 2029 wird am 23. Februar 2025 entschieden“

Aufgaben der neuen Bundes­re­gie­rung

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf mahnt im Interview mit GMX/Web.de umfassende wirtschaftspolitische Reformen an:

Herr Wolf, im Wahl­kamp­fend­spurt spricht Deut­sch­land nur über ein Thema: die Migration. Verwun­dert Sie das?

Auf der einen Seite ja, auf der anderen nicht. Denn es ist ein Thema, das die Menschen bewegt. Wir haben in letzter Zeit fürch­ter­liche Anschläge erlebt. Erst in dieser Woche ist wieder ein Auto in München in eine Menschen­menge gerast. Wir brauchen schnell eine Lösung bei der Migra­ti­ons­frage. Denn es gibt auch noch andere drängende Themen. Die wirt­schaft­liche Lage ist schlecht, wir befinden uns im dritten Rezes­si­ons­jahr und die Arbeits­lo­sig­keit bewegt sich wieder in Richtung drei Millionen.

Was läuft falsch?

Viele Fehler sind in der Vergan­gen­heit gemacht worden, allen voran in den letzten acht Merkel-Jahren, aber auch danach von der Ampel. Zu lange haben wir uns auf drei Dinge verlassen: Billige Energie kommt aus Russland. In China machen wir gute Geschäfte. Und die Ameri­kaner garan­tieren unsere Sicher­heit. All das hat sich geändert. Und die Ampel hat daraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen.

Welche wären das?

Es hätte auch eine Zeiten­wende in der Wirt­schafts­po­litik gebraucht. Dazu gehört eine Steu­er­re­form mit nied­ri­geren Sätzen für Unter­nehmen. Dazu gehört die Deckelung der Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge bei 40 Prozent. Dazu gehört das Thema Entbü­ro­kra­ti­sie­rung und vor allem eine vernünf­tige Ener­gie­po­litik. Deut­sch­land ist aktuell weder für Unter­nehmen noch für Fach­kräfte attraktiv. Ein hoch­qua­li­fi­zierter IT-Spezi­a­list aus Indien geht lieber in die Schweiz oder in die USA. Das hat auch mit der Einkom­mens­steuer zu tun, die dort niedriger ist.

Der Bundes­kanzler fand lange: „Die Klage ist das Lied des Kaufmanns“.

Ich bin ein zahle­n­o­ri­en­tierter Mensch. Und unsere volks­wirt­schaft­liche Leistung liegt Ende des Jahres vermut­lich noch immer unterhalb des Niveaus von 2018. Gleich­zeitig steigen für die Unter­nehmen überall die Kosten, bei Lohn, Material, Energie, Sozi­a­l­ver­si­che­rungen. Das setzt massiv zu. Dass ein Bundes­kanzler davor die Augen verschließt und dies als „Lied des Kaufmanns“ abtut, ist schlicht über­heb­lich.

Im Wahlkampf haben alle Parteien Steu­er­er­leich­te­rungen und Büro­kra­tie­abbau verspro­chen. Sie könnten zufrieden sein, oder?

Es gibt zumindest Vorschläge, die in die richtige Richtung gehen. Ich möchte daran erinnern: Das letzte wirklich gut funk­tio­nie­rende Wirt­schafts­pro­gramm war die Agenda 2010 – von einem SPD-Kanzler. Gerhard Schröder hat dafür sein Amt riskiert. Es ging ihm ums Land. Das braucht es auch heute wieder. Es ist kein Geheimnis, dass ich die wirt­schafts­po­li­ti­schen Ideen von Friedrich Merz und Christian Lindner gut finde. Doch auch die SPD sollte sich besinnen. Die Bundes­tags­wahl 2029 wird am 23. Februar 2025 entschieden: Wenn die Parteien der Mitte die Probleme nicht lösen, drohen uns in vier Jahren öster­rei­chi­sche Verhält­nisse. Das will niemand.

Der wirt­schafts­li­be­rale britische Economist meint: Auch die Schul­den­bremse ist längst zum Wachs­tums­hemmnis geworden.

Sicher­lich kann man bei strikter Beibe­hal­tung der Schul­den­bremse über zusätz­liche Sonder­ver­mögen nach­denken, etwa in den Bereichen Digi­ta­li­sie­rung oder Infra­s­truktur. Das gehört auch zur Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Aber das darf erst ganz am Ende stehen, wenn man alles andere versucht hat. Erst mal muss man prio­ri­sieren und sparen. Wenn ich mich dem verwei­gere, helfen mehr Schulden auch nicht. Ich warne aber davor, die Schul­den­bremse aufzu­wei­chen. Am Ende ist es so: Auch Sonder­ver­mögen sind Schulden. Sie können punktuell sinnvoll sein, dürfen aber nicht dazu führen, dass nur noch Kredite aufge­nommen werden. Dafür müssen nämlich kommende Gene­ra­ti­onen aufkommen.

Welche Fehler hat die Industrie gemacht? Um die Auto­mo­bil­in­dus­trie zu nehmen: Volks­wagen hat es bis heute nicht geschafft, ein günstiges, massen­taug­li­ches E-Auto auf den Markt zu bringen.

Ich war schon immer ein Verfechter der Tech­no­lo­gie­of­fen­heit. Dazu gehören Elek­tro­autos, Hybrid­fahr­zeuge, der klas­si­sche Verbrenner und CO2-neutrale Verbren­nungs­mo­toren. Gerade beim Verbrenner sind wir Welt­spitze. Auch über Wasser­stoff sollten wir nach­denken. In Teilen der Auto­mo­bil­in­dus­trie wurde das in der Vergan­gen­heit anders gesehen – und ich habe das immer für einen Fehler gehalten.

In der EU dürfen aller­dings ab 2035 keine Autos mit Benzin- oder Diese­l­an­trieb mehr zuge­lassen werden.

Ich bin dafür, das zu korri­gieren. Ein festes Datum führt zum Absturz der Industrie. Wir sollten nicht einfach eine Tech­no­logie aufgeben, bei der wir Welt­markt­führer sind. Zumal es auch Alter­na­tiven braucht. Um beim Beispiel Elektro zu bleiben: Der Ausbau der Ladein­fra­s­truktur benötigt Zeit. Solange die Rahmen­be­din­gungen nicht stimmen, fragen die Kunden keine Elek­tro­autos nach.

In den USA sitzt mit Donald Trump ein Präsident im Weißen Haus, der mit Zöllen und Handels­kriegen droht. Für die expor­t­o­ri­en­tierte deutsche Industrie ist das Gift. Was tun?

Das ist ein riesiges Problem. Die globale Wirt­schaft basiert auf Handels­be­zie­hungen. Zölle bringen dieses System aus dem Gleich­ge­wicht. Und lang­fristig hat sich Protek­tio­nismus nie ausge­zahlt. Auch in den USA fallen Arbeits­plätze weg, weil Unter­nehmen da produ­zieren, wo es für sie am güns­tigsten ist. Es hilft nichts: Wir müssen mit Trump das Gespräch suchen. Er will ernst­ge­nommen werden. Er will respek­tiert werden. Und ich glaube, dass ein vernünf­tiges Gespräch in den Handels­be­zie­hungen etwas bringt. Auf jeden Fall mehr als ein Konfron­ta­ti­ons­kurs.

Es ist wahr­schein­lich, dass Deut­sch­land bald wieder von einer Großen Koalition regiert wird. Wenn Sie drei Wünsche frei­hätten: Welche wären das?

Das sind Dinge, die ganz schnell und einfach gehen. Ich habe das Thema Büro­kratie bereits genannt. Sie können das Liefer­ket­ten­ge­setz abschaffen genauso wie die Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung, die viel Geld kostet. Das Zweite wäre eine Steu­er­ent­las­tung für die Unter­nehmen. Wir haben nach Japan die weltweit höchsten Unter­neh­mens­steuern. Und das Dritte ist das klare Bekenntnis, dass die Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge bei 40 Prozent gedeckelt werden. Wenn ich noch einen vierten Wunsch äußern dürfte: mehr Realismus in der Ener­gie­po­litik. Dazu gehört auch, darüber nach­zu­denken, in eine neue, kompakte Gene­ra­tion von Atom­kraft­werken einzu­steigen – so, wie es übrigens viele Länder weltweit machen.