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„Die Leute haben die Schnauze voll“

Ampel-Politik

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Gespräch mit der WELT über deutsche Standort-Probleme, die Folgen der Europawahl und den Umgang mit China:

Die Ampel ist bei der Euro­pa­wahl abge­straft worden. Sind Sie damit zufrieden?

Ich bin nicht über­rascht und freue mich natürlich über das Abschneiden der CDU. Aber jetzt müssen bei SPD und vor allem bei den Grünen poli­ti­sche Konse­quenzen gezogen werden. Die Leute haben – derb gespro­chen – die Schnauze voll von der ständigen Gängelung, der Besser­wis­serei, die einem vermit­teln soll, wie man zu leben hat. Viele Rege­lungen auf euro­pä­i­scher Ebene, wie den Green Deal, wollen die Wähler einfach nicht. Die Europäer wollen auch weiter mit Verbren­nungs­mo­toren fahren.

An welche Konse­quenzen denken Sie? Neuwahlen wie in Frank­reich?

Das wird nicht funk­tio­nieren, denn der Bundes­kanzler müsste die Vertrau­ens­frage stellen. Die Ampel­par­teien haben nur noch ein Drittel der Wähler hinter sich.

Vor der Wahl hatten Arbeit­geber und Gewerk­schaften dazu aufge­rufen, die AfD nicht zu wählen. Wie erklären Sie sich die Zugewinne der Partei?

Viele, die AfD gewählt haben, iden­ti­fi­zieren sich nicht unbedingt mit dem Gedan­kengut der Partei. Sie sind einfach frus­triert über die Politik der Ampel. Zwei Themen waren wahl­be­stim­mend: die unge­bremste Migration und die Angst vor dem Wohl­stands­ver­lust.

Davon sprechen auch Manager. Theodor Weimer, Chef der Deutschen Börse, sieht Deut­sch­land auf dem Weg zum „Ent­wick­lungs­land“.

Gut, dass das mal jemand so deutlich sagt.

Das finden Sie gut, so eine Rhetorik? Deut­sch­land ist die dritt­größte Volks­wirt­schaft der Welt.

Ich bin ein Anhänger klarer Worte. Ich war am Anfang auch hoff­nungs­froh über die Ampel. Sie ist ange­treten mit Plänen zur Trans­for­ma­tion und Moder­ni­sie­rung des Landes. Aber was ist seitdem umgesetzt worden? Nichts. Die Unter­neh­mens­steuern sind zu hoch, die Ener­gie­preise und die Arbeits­kosten ebenso. Die Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge liegen wieder über 40 Prozent – ein gebro­chenes Verspre­chen der Politik. Außerdem belastet die Büro­kratie ohne Ende. Die Beschäf­tigten verstehen das. Sie merken, dass die Rahmen­be­din­gungen immer schlechter werden, was wiederum Arbeits­plätze gefährdet.

Aber das Geschäfts­klima hat sich gerade zum dritten Mal in Folge verbes­sert und die Ener­gie­kosten sind gesunken. Ist die tatsäch­liche Lage nicht besser als Sie behaupten?

Für mich ist 2018 das Maß aller Dinge, unser bislang wirt­schaft­lich stärkstes Jahr. Von diesem Niveau sind wir entfernt. Andere Länder zahlen einen Bruchteil unserer Ener­gie­kosten. Aber hören Sie irgen­d­etwas von unserem Kanzler? Er führt nicht. Ich habe 18 Jahre lang einen Konzern geführt, da müssen immer Alter­na­tiven aufge­zeigt und Visionen entwi­ckelt werden. Das findet beim Kanzler leider überhaupt nicht statt. „Durch Deut­sch­land muss ein Ruck gehen“, hatte Bundes­prä­si­dent Roman Herzog 1997 gefordert. So etwas braucht es jetzt wieder.

Fürchten Sie nicht, dass Ihre Warnungen vor dem drohenden Nieder­gang zur selbst erfül­lenden Prophe­zeiung werden, oder die AfD noch weiter stärken?

Das Risiko gibt es leider. Es ändert aber nichts daran, dass man Miss­stände benennen muss. Deut­sch­land lebt von der Industrie, da wird das Geld verdient. Und es läuft Gefahr, sich zu einem Standort zu entwi­ckeln, wo Produk­tion kaum noch möglich ist, wegen der hohen Kosten. Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge und Steuern sind das eine. Das andere ist die Büro­kratie, wie zum Beispiel die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung: Unter­nehmen betreiben einen riesigen Aufwand, damit Mita­r­beiter A ja keine Daten von Mita­r­bei­terin B erfährt – dabei sind sie bei Facebook und Instagram befreundet.

Das sind aber Entwick­lungen, die auf die Ära Merkel zurück­zu­führen sind und nicht auf die Ampel.

Das stimmt. Frau Merkel hat die vergan­genen vier, viel­leicht acht Jahre nur noch verwaltet. Sie hatte drei­fa­ches Glück: Billiges Gas und Öl aus Russland, einen riesigen Absatz­markt mit China, wo Geld verdient wurde ohne Ende. Und für Sicher­heit musste man wenig ausgeben, weil die USA die schüt­zende Hand über Deut­sch­land hielten. Dann kam der Ukrai­ne­krieg und all das ist wegge­bro­chen. Deswegen ist die Ampel nicht an allem schuld. Aber wenn sich die Rahmen­be­din­gungen ändern, müssen Regie­rungs­ver­ant­wort­liche handeln.

Was ist die Alter­na­tive? Wieder mehr auf China setzen, so wie die BASF, die dort massiv inves­tiert?

BASF bleibt nichts anderes übrig. Ich finde das nach­voll­ziehbar, ange­sichts der hohen Preise für Energie. Der Maschi­nenbau und andere Branchen verdienen richtig gut in China. Die Waren fließen aus Deut­sch­land dorthin, weil deutsche Produkte gefragt sind. Darin sehe ich nichts Verwerf­li­ches.

Verwerf­lich wird die Abhän­gig­keit spätes­tens, wenn China Taiwan überfällt.

Aber sie haben es noch nicht getan. Wenn das passieren würde, und wir die Handels­be­zie­hungen mit China einstellen würden, hätte die deutsche Industrie natürlich ein massives Problem. Diese Abhän­gig­keit ist einfach da.

Müsste man nach der Erfahrung mit Russland nicht in Bezug auf China eine Risi­ko­vor­sorge treffen – für den Fall, dass es knallt?

Ja, das denke ich schon. Viele Unter­nehmen inves­tieren auch in Länder wie Indien. Auch Südost­eu­ropa ist ein guter Standort, wobei dort mitt­ler­weile die Arbeits­kosten davon­ge­laufen sind. Das ändert aber nichts daran, dass China ein riesiger Markt ist und die Rahmen­be­din­gungen dort gut sind.

Die EU hat nun Import­zölle auf E-Autos aus China ange­kün­digt. Was halten Sie davon?

Ich halte das für verhee­rend. Die Akzeptanz chine­si­scher Fahrzeuge ist bei uns sehr limitiert. Aber deutsche Autobauer verdienen viel mit ihren Premi­um­fahr­zeugen in China, das sichert Arbeits­plätze hier­zu­lande. Wenn die Europäer Zölle erheben, werden die Chinesen dasselbe tun. Protek­tio­nismus hat noch nie funk­tio­niert.

Im Herbst kommt die nächste Tarif­runde auf Sie zu. Laut einer Umfrage der IG Metall sehen die Beschäf­tigten die Unter­nehmen in der Lage, dass sie sich Lohn­zu­wächse leisten können. Sehen Sie das auch so?

Jemand, der in der Produk­tion arbeitet, weiß nicht, wie die Zahlen aussehen, kann das gar nicht beur­teilen. Wer es dagegen genau weiß, ist die IG Metall, deren Vertreter in den Aufsichts­räten sitzen. Sie wissen, dass die Industrie noch lange nicht wieder auf dem Niveau von 2018 ange­kommen ist. Die Kosten liegen aber weit über dem Stand von damals.

Mehr als ein Infla­ti­ons­aus­gleich ist also nicht drin?

Wenn wir die Forde­rungen die Arbeit­nehmer kennen, werden wir beraten. Im Moment ist die Lage in den meisten Unter­nehmen ziemlich schlecht, aber wir sehen natürlich auch die Bedürf­nisse unserer Beschäf­tigten. Ich finde außerdem, dass wir auch eine gesell­schaft­liche Aufgabe haben. Wenn in der Metall- und Elektro-Industrie das hohe Lohn­ni­veau immer weiter zu stark steigt, dann geht die Schere bei der Entloh­nung weiter ausein­ander. Wir brauchen auch Alten­pfleger, Erzieher im Kinder­garten, Verkäu­fe­rinnen oder Leute, die in der Gastro­nomie arbeiten. Diese Branchen finden niemanden.

Würde ein höherer Mindest­lohn helfen?

Ich bin nicht gegen einen höheren Mindest­lohn. Es ist aber nicht die Aufgabe des Bundes­kanz­lers, den Mindest­lohn vorzu­schlagen, sondern der Mindest­lohn­kom­mis­sion. Da hat er sich raus­zu­halten. Eine Einschrän­kung sollten wir dringend einführen: Um junge Leute in die Ausbil­dung zu bringen, sollte es den Mindest­lohn erst ab 27 Jahren geben.

Wie bitte? Weniger Geld soll ein Anreiz für eine Ausbil­dung sein?

Die Ausbil­dungs­ver­gü­tung in der Metall- und Elektro-Industrie liegt im ersten Lehrjahr bei über 1.000 Euro. Wer statt der Ausbil­dung einen Job zum Mindest­lohn macht, hat mehr Geld – aber auf Dauer keine Perspek­tive. In Deut­sch­land haben 2,9 Millionen Menschen unter 35 keine Ausbil­dung. Das ist eine Kata­s­trophe.

Warum bezahlen Sie den Azubis dann nicht mehr?

Wir können die Ausbil­dungs­ver­gü­tung nicht einfach verdop­peln. Es gibt leider viele junge Menschen, die drei, vier Ausbil­dungen ange­fangen und sie abge­bro­chen haben. Und zu viele verlassen ohne Abschluss die Schule: fast 55.000 junge Menschen jedes Jahr, das kann ein hoch­ent­wi­ckeltes Land wie Deut­sch­land nicht akzep­tieren.

Gerade bei Jüngeren gibt es einen Trend zu kürzeren Arbeits­zeiten. Die IG Metall hat die Vier-Tage-Woche auf den Tisch gebracht. Wird das ein Thema in der Tarif­runde?

Ich glaube nicht. Wir haben mit der 35-Stunden-Woche schon eine geringe Arbeits­zeit, eigent­lich müssten wir viel mehr arbeiten. Wobei ich nichts dagegen hätte, wenn jemand seine 35 Stunden an vier Tagen arbeiten würde. Das geht im Moment nicht, weil es das Arbeits­zeit­ge­setz faktisch wegen der Ruhe­zeiten verbietet. Aber wir müssen auch ehrlich sagen, dass wir eine Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft schaffen: Ein Band­a­r­beiter oder eine Kran­ken­pfle­gerin können nicht im mobilen Arbeiten sein.

Wäre in solchen Jobs die Vier-Tage-Woche ein Anreiz, um den Arbeits­kräf­temangel zu bekämpfen?

Sicher, wenn man die Arbeits­zeit nicht absenkt, sondern anders verteilt. Denn jede Stunde zählt, um den Wohlstand zu erhalten. Aber bei Bundes­a­r­beits­mi­nister Hubertus Heil beißen Sie auf Granit, wenn Sie ein neues Arbeits­zeit­ge­setz fordern. Wir brauchen die Vertrau­ens­a­r­beits­zeit – er will eine hundert­pro­zen­tige Arbeits­zei­t­er­fas­sung. Dabei verstößt jeder, der am Abend nochmal in seine E-Mails sieht, gegen das Gesetz. Das ist doch ein Witz.

Aktuell wird das Ende des Verbren­ner­verbot in der EU disku­tiert. Die CDU hatte im Euro­pa­wahl­kampf damit geworben. Wie stellen Sie sich das vor?

Brüssel muss die Fakten erkennen. Wenn hier in Berlin plötzlich alle Autos Elek­tro­fahr­zeuge wären – wo sollen denn Hundert­tau­sende Lade­sta­ti­onen gebaut werden? Wir brauchen eine Menge grünen Strom, aber die Geneh­mi­gungs­zeiten für Wind­kraft­an­lagen dauern ewig. Und man muss klar sagen: E-Autos sind viel zu teuer.

Soll man es also ganz lassen mit der Elek­tro­mo­bi­lität?

Ich bin nicht dagegen, dass man E-Autos baut und verkauft, wir fahren selbst eins. Aber ich sehe die Probleme in der Praxis: Auf einer Auto­bahn­rast­stätte mit zehn Lade­sta­ti­onen können zehn Autos in 25 Minuten laden. An der Tank­stelle daneben tanken in der gleichen Zeit 85 Autos. 85 Lade­sta­ti­onen an einer Rast­stätte – das geht nicht. Deswegen bin ich für Tech­no­lo­gie­of­fen­heit und gegen die ideo­lo­gi­sche Fest­le­gung, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch E-Fahrzeuge gibt.

China ist schon weiter bei der Elek­tro­mo­bi­lität. Setzt Deut­sch­land mit dem Verbrenner auf eine Tech­no­logie, von der man sich inter­na­ti­onal verab­schiedet?

Die chine­si­schen Hersteller sind weiter, weil sie keine so guten Verbren­nungs­mo­toren bauen können. Aber ein Verbot gibt es dort nicht. Und wenn in den USA im November Donald Trump zum Präsi­denten gewählt wird – was ich befürchte – dann wird es auch dort kein Verbot geben.

Die Idee dahinter war ja, dass Europa 2045 klima­neu­tral werden soll. Wie kann das trotzdem funk­tio­nieren?

Ich glaube nicht wirklich, dass das gelingt. Natürlich bin ich für Klima­schutz und sehe die Folgen des Klima­wan­dels. Aber es passiert relativ wenig in China, Indien und den USA, die zusammen für 65 Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit stehen. Zu glauben, dass wir dieses globale Thema über Datums­grenzen regeln können, ist total naiv.

Genau das ist doch die Plan­bar­keit der Trans­for­ma­tion, die Unter­neh­mens­ver­bände immer fordern.

Die ist doch kläglich geschei­tert. Schon die Bundes­kanz­lerin wollte bis 2020 eine Million Elek­tro­autos auf die Straße bringen – ohne Erfolg. Man kann Anreize für klimaf­reund­liche Tech­no­lo­gien setzen, mit entspre­chenden Subven­ti­onen. Der Inflation Reduction Act in den USA führt zu hohen Inves­ti­ti­onen in klimaf­reund­liche Tech­no­lo­gien, das lockt auch deutsche Firmen an.

Wollen Sie wirklich mit mehr Subven­ti­onen die Staats­aus­gaben und die Verschul­dung erhöhen?

Nein. Man muss die Mittel nur vernünftig umver­teilen. Wieso bezahlen wir beispiels­weise noch Entwick­lungs­hilfe an Indien? Die fliegen zum Mond, das ist ein technisch hoch­ent­wi­ckeltes Land. Die Diesel-Subven­ti­onen könnte man auch streichen, aber mit einer ausrei­chend langen Über­g­angs­frist. Es war ein Riesen­fehler, das im Dezember für die Landwirte von einem Tag auf den anderen zu tun.

Sie stellen sich an diesem Freitag zur Wieder­wahl als Gesamt­me­tall-Präsident, obwohl sie nicht mehr Chef eines Metall­un­ter­neh­mens sind. Gab es dagegen Wider­stände?

Im Gegenteil: Ich wurde gefragt, ob ich weiter­mache. Da ich jetzt als Senior Adviser für eine Unter­neh­mens­be­ra­tung tätig bin, sehe ich noch mehr metall­ver­a­r­bei­tende Betriebe als früher. Ich werde auch sicher noch die eine oder andere Aufsichts­rat­stä­tig­keit über­nehmen.