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Ein Abschluss mit Signalwirkung

Der M+E-Tari­f­ab­schluss 2024

Gastbeitrag von Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf in der BDA AGENDA:

Die Ausgangs­lage war denkbar schwierig. Auf der einen Seite eine starke, sich als Kamp­f­or­ga­ni­sa­tion verste­hende Gewerk­schaft unter neuer Führung, die im Frühjahr – als viele noch auf eine baldige Erholung der Konjunktur setzten – eine Forderung von 7 Prozent aufstellte (plus weitere Forde­rungen). Auf der anderen Seite eine Industrie, bei der ab Sommer nochmal drama­tisch sichtbar wurde, dass die Merkel- und Ampel­re­gie­rungen in den vergan­genen Jahren zu wenig für die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Standorts getan haben und in Deut­sch­land eine massive Dein­dus­tri­a­li­sie­rung droht.

Spätes­tens nach den Meldungen von Thys­sen­krupp und VW – um die es beide nicht in dieser Tarif­runde ging – war im Bewusst­sein der Öffent­lich­keit ange­kommen, wie ernst die wirt­schaft­liche Lage tatsäch­lich ist. Das war natürlich auch der IG Metall bewusst, die sich aller­dings trotzdem lange nicht in der Lage sah, eine auf Basis einer falschen Annahme aufge­stellte Forderung zu revi­dieren und die Lage neu zu bewerten.

Beide Seiten waren sich jedoch in der Analyse der Lage weit­ge­hend einig. Auch darin, dass ein ausge­dehntes Zele­brieren der Meinungs­ver­schie­den­heiten in dem aktuellen gesell­schaft­li­chen Klima nicht nur Gewerk­schaft und Arbeit­ge­bern geschadet hätte, sondern auch dem Ansehen der Tarif­au­to­nomie insgesamt.

Und so sind wir Sozi­al­partner schließ­lich in die 4. Verhand­lungs­runde gegangen. Und es wurde der ganze Werk­zeug­koffer, den die Tarif­po­litik zur Verfügung stellt, benötigt, um am Morgen des 12. November 2024 zu einem Kompro­miss zu gelangen.

Die Details des Tari­f­ab­schlusses sind hier nach­zu­lesen. Den der Gewerk­schaft wichtigen Tabel­len­er­hö­hungen stehen die den Arbeit­ge­bern wichtigen Punkte einer langen Laufzeit von über zwei Jahren und einer ausge­wei­teten auto­ma­ti­schen Diffe­ren­zie­rung entgegen, die die Belas­tungen des Abschlusses deutlich redu­zieren.

Noch wichtiger ist aber das grund­sätz­liche Signal dieses Tari­f­ab­schlusses: Trotz funda­mental gegen­sätz­li­cher Posi­ti­onen und Über­zeu­gungen kann man einen Kompro­miss finden, der für beide Seiten akzep­tabel ist. Wer das als Anspie­lung auf die ehemalige Ampel­re­gie­rung versteht, liegt nicht völlig falsch. Aber es ist grund­sätz­li­cher als das. Ob Mindest­lohn oder Tarif­bin­dung: Andere Gewerk­schaften setzten darauf, sich die Mühe der eigenen Grund­la­ge­n­a­r­beit zu ersparen und finden in der Politik zu viele willige Helfer, die vermeint­liche Rege­lungs­lü­cken bereit­willig ausfüllen wollen.

Wir – Gewerk­schaften wie Arbeit­ge­ber­ver­bände – haben uns das Recht, unsere Ange­le­gen­heiten selber zu regeln, gemeinsam erkämpft und es vertei­digt. Der Kompro­miss ist das Prinzip. Wir dürfen unser Recht nicht aus Bequem­lich­keit oder Feigheit vor dem Kompro­miss aufgeben. Und die Politik ist gut beraten, der Versu­chung zu wider­stehen. Dass wir Tarif­par­teien selbst besser in der Lage sind, zu praxis­nahen Kompro­missen zu kommen, hat der Tari­f­ab­schluss für die Metall- und Elektro-Industrie 2024 wieder bewiesen.