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„Ein Weiter so wäre eine Katastrophe für die Wirtschaft“

Umfra­ge­er­geb­nisse der Parteien

Ein Kanzler, der nicht führt, ein Wirtschaftsministerium, das zu wenig für die Wirtschaft macht: Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf spricht im Handelsblatt über die vermeintliche Stärke der AfD und die offensichtliche Schwäche der Bundesregierung:

Herr Wolf, die Ampel-Regierung ist in der Wähl­er­gunst abge­stürzt. Woran liegt es?

Die Menschen fühlen sich mit ihren Ängsten und Problemen nicht mehr wahr­ge­nommen, sie vermissen Antworten auf Probleme wie die unge­bremste Migration, die Wirt­schafts­krise oder die hohe Inflation. Das führt zu Abstiegs- und Exis­ten­z­ängsten.

Und die Regierung …

… beschäf­tigt sich extrem stark mit sich selbst, weil die SPD mehr Soziales will, die Grünen wollen mehr Vorschriften und alles regle­men­tieren und die FDP will keine Steu­er­er­hö­hungen. Da ist es doch klar, dass es kracht und knirscht. Und viele Menschen erkennen, dass es in dieser Bundes­re­gie­rung keine Führung gibt. Ein Kanzler muss führen, und das lässt Herr Scholz komplett vermissen. Deshalb sagen viele, ich werde jetzt Protest­wähler.

Die AfD liegt in Umfragen bei über 20 Prozent, im Osten bei über 30 Prozent. Alles nur Protest?

Die Umfra­ge­er­geb­nisse der AfD sind nicht echt. Viele, die jetzt sagen, die Partei wählen zu wollen, stehen nicht hinter den Inhalten. Sie sagen, denen da oben, den zeigen wir es jetzt mal. Aber das ist natürlich keine Entwar­nung: Die Probleme müssen glaub­würdig ange­gangen werden, sonst besteht die Gefahr, dass aus Umfrage- auch Wahl­er­geb­nisse werden.

Müsste nicht auch die Wirt­schaft laut­stärker ihre Stimme erheben?

Wir grenzen uns klar ab. Und es gab auch klare Aussagen von Wirt­schafts­füh­rern, dass es in den Betrieben keinen Raum für Rassismus und Rechts­ex­tre­mismus geben darf.

Warum wenden sich die Menschen nicht der Union zu, wenn Sie der Ampel ihren Protest zeigen wollen?

Das passiert ja, die Unions­par­teien liegen in den Umfragen bei über 30 Prozent. Aber die Union hat ja viele Probleme mit verur­sacht, als sie in der Regie­rungs­ver­ant­wor­tung war. Und viele denken offenbar, dass ihr Protest nach­hal­tiger ist, wenn sie ihn über die AfD ausdrü­cken als über die etablierten Parteien. Was mich erschreckt ist, dass vor drei oder vier Jahren viele Leute viel­leicht so gedacht haben wie die AfD. Aber heute sprechen sie es auch offen aus.

Die Hemm­schwelle ist deutlich gesunken?

Ja, und das ist eine große Gefahr. Auch da ist wieder Führung durch den Kanzler gefragt. Die Regierung muss die Themen, die die Menschen bewegen und die die AfD besetzt, politisch angehen und die Probleme lösen, sonst gewinnt die AfD die Wahlen.

Glauben Sie, dass die Regierung bis zur Bundes­tags­wahl 2025 durchhält?

Ich glaube, dass sie durchhält. Denn wenn man nach den Umfragen geht, würde bei Neuwahlen jeder dritte SPD-Abge­ord­nete sein Mandat verlieren, jeder zweite Grünen-Abge­ord­nete und bei der FDP mögli­cher­weise alle. Trotzdem: Ein Weiter so wäre eine Kata­s­trophe für die Wirt­schaft, weil so viele Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen anstehen, die derzeit nicht getroffen werden. Wenn sich die Rahmen­be­din­gungen etwa beim Thema Büro­kratie oder Ener­gie­preise nicht ganz schnell ändern, werden die Inves­ti­ti­onen anderswo getätigt.

Glauben Sie denn, dass es der Wirt­schaft mit der Union besser ginge? Die Ampel wurde bei Amts­an­tritt ja durchaus begrüßt, weil in der Großen Koalition vieles liegen­ge­blieben ist, was den Standort bis heute belastet.

Eine CDU-geführte Bundes­re­gie­rung wäre heute eine ganz andere als unter Angela Merkel. Das hat auch mit der neuen, jungen Führungs­riege zu tun, nehmen Sie Carsten Linnemann, Hendrik Wüst oder Daniel Günther. Die haben eine andere Denke als die Merkel-CDU und sind zupa­ckender.

Sie haben CDU-Chef Friedrich Merz gar nicht erwähnt.

Weil eine Partei nicht nur aus dem Vorsit­zenden besteht. Merz hat gute Ansätze, ist zupackend und würde sich als Kanzler sicher auch gut schlagen.

Mit wem sollte Merz regieren? Wahr­schein­lich bleibt ihm am Ende nur Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.

Deshalb müssen wir klar­ma­chen, dass das liberale Element ein wichtiges ist im Partei­en­spek­trum. Die FDP hat in vielen Dingen klare Vorstel­lungen gezeigt. Sie lehnt die Liefer­ket­ten­richt­linie auf euro­pä­i­scher Ebene ab, will dem Verbren­nungs­motor durch E-Fuels eine Zukunfts­chance geben oder Auslän­dern nur dann einen deutschen Pass gewähren, wenn sie nach­haltig für ihren Lebens­un­ter­halt sorgen können. Da hat die liberale Hand­schrift gutgetan.

Anfangs hat Bundes­wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck viel Lob von der deutschen Wirt­schaft erhalten. Wie sieht es heute aus?

Er gab am Anfang gute Ansätze und auch einen guten Austausch. Aber mein Gefühl heute ist, dass sich im Minis­te­rium für Wirt­schaft und Klima­schutz 95 Prozent der Leute um den Klima­schutz kümmern und nur fünf Prozent um die Wirt­schaft. Ohne florie­rende Wirt­schaft und den daraus resul­tie­renden Steu­er­ein­nahmen funk­tio­nieren der Staat und auch der Klima­schutz nicht.

Habeck macht jetzt offenbar Arbeits­mi­nister Hubertus Heil Konkur­renz, weil er sich jetzt auch offensiv für ein Recht auf Home­of­fice einsetzt …

Da kann ich nur raten: Lasst das die Unter­nehmen selbst entscheiden, die meisten bieten längst flexible Modelle an. Beschäf­tigte in der Produk­tion hätten von einem Recht auf Home­of­fice gar nichts, es würde also die Spaltung in den Betrieben vertiefen. Sie können der Stanzerin nicht die Presse für zwei Millionen Euro in den Garten stellen, damit sie Home­of­fice machen kann. Die Debatte ist doch seit Corona erledigt.

Vertrauen Sie noch dem Verspre­chen der Grünen, dass die grüne Trans­for­ma­tion gut für das Klima und den Standort ist?

Klima­schutz kann weltweit nur gelingen, wenn China, Indien und die USA, die für 65 Prozent des Ausstoßes stehen, massiv CO2 einsparen. Wenn in China jedes zweite Fahrzeug elek­trisch fährt, haben wir mehr erreicht, als wenn wir in Deut­sch­land unseren Anteil am globalen CO2-Ausstoß von zwei Prozent auf 1,8 Prozent redu­zieren. Deshalb sollten wir uns bemühen, Welt­markt­führer bei Klima­tech­no­lo­gien zu werden, so wie wir es heute beim Verbren­nungs­motor sind. Dabei sind Inno­va­ti­onen immens wichtig. Aber wenn die Kosten immer weiter steigen, bleibt weniger Geld für Inves­ti­ti­onen in Klima­schutz­tech­no­lo­gien.

Nun will die Regierung ausge­rechnet bei der Förderung der Batte­rie­zell­for­schung kürzen. Was sagen Sie dazu?

Das halte ich für einen Riesen­fehler und ganz kurz­sich­tige Indus­trie­po­litik. Denn jetzt auf Basis der beste­henden Tech­no­logie in die Batte­rie­zell­fer­ti­gung einzu­steigen, wäre verrückt. Das ist schon beim Thema Solar kräftig in die Hose gegangen. Wenn, dann müssen wir eine nächste Gene­ra­tion von Batte­rie­zellen entwi­ckeln, bei der wir dann technisch führend sind. Nur dann macht auch eine Fertigung in Deut­sch­land oder Europa Sinn.

Namhafte Unter­nehmen wie Bayer oder ZF haben Entlas­sungen ange­kün­digt. Sind das Einzel­fälle oder deutet sich da ein Trend an?

Das kann zu einem Trend werden, weil sich die Rahmen­be­din­gungen deutlich verschlech­tert haben. Wir sind wieder an einem Punkt wie damals, als Gerhard Schröder die Agenda 2010 eigeführt hat.

Aber wir haben heute keine fünf Millionen Arbeits­lose …

Das liegt daran, dass das mit dem begin­nenden Renten­ein­tritt der Baby­boomer zusam­men­fällt. Damals war der Hand­lungs­druck durch die vielen Arbeits­losen sicht­barer, aber er ist auch heute vorhanden – nur nicht so sichtbar, was viel­leicht noch gefähr­li­cher ist. Der private Konsum geht zurück, weil die Menschen ihr Geld zusam­men­halten, der Welt­handel läuft an Deut­sch­land vorbei und die Inves­ti­ti­onen sinken. Woher soll das Wachstum denn kommen?

Müssen wir die Schul­den­bremse lösen, um durch staat­liche Inves­ti­ti­onen bessere Rahmen­be­din­gungen zu schaffen?

2002 hatten wir Steu­er­ein­nahmen von ungefähr 450 Milli­arden Euro, für dieses Jahr rechnen die Steu­er­schätzer mit 964 Milli­arden. Das Volumen hat sich verdop­pelt, und trotzdem reicht es nicht. Es gibt aber ganz viele Bereiche, wo wir einsparen könnten, etwa im Sozi­al­be­reich. Und wenn ich Kanzler wäre, würde ich bei den aufge­blähten Minis­te­rien und Behörden anfangen. In einem Unter­nehmen würden Sie in einer solchen Situation einen Einstel­lungs­stopp verfügen. Aber da müssen Sie führen – und damit sind wir wieder beim Ausgangs­thema.