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„Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist ein Riesenfehler“

Vier-Tage-Woche

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Gespräch mit der Funke Mediengruppe über Bürokratie, Arbeitszeit, Rente und den Strukturwandel:

Herr Wolf, in zwei Wochen werden Sie als Chef von Elring­Klinger aufhören – gehen Sie mit 61 Jahren in Rente?

Nein, ich werde mich natürlich neuen Aufgaben widmen. Nach 26 Jahren im Unter­nehmen und 17 Jahren als Vorstands­vor­sit­zender gebe ich das Unter­nehmen in jüngere Hände. Ich blicke auf eine erfolg­reiche Zeit zurück. Als ich 2005 in den Vorstand gekommen bin, lag der Jahres­um­satz noch bei 460 Millionen Euro – jetzt macht Elring­Klinger einen Umsatz von rund 1,8 Milli­arden Euro.

Ihr Vertrag wurde erst letztes Jahr verlän­gert. Inwiefern kam die Entschei­dung für Sie über­ra­schend?

Es hat mich über­rascht, weil dieselben Argumente auch im vergan­genen Jahr auf dem Tisch lagen. Ich möchte einer Verän­de­rung an der Konzern­spitze aber nicht entge­gen­stehen.

Die Staats­an­walt­schaft Tübingen ermittelt gegen Sie wegen des Vorwurfs des Vorent­hal­tens und Verun­treuens von Arbeits­ent­gelt. Welche Rolle spielte das für Ihr Aus bei Elring­Klinger?

Gar keine.

Der Posten des Gesamt­me­tall-Präsi­denten wird in der Regel nur von operativ tätigen Managern ausge­führt. Was heißt das für Ihre Amtszeit?

Ich bin gewählt bis Juni 2024 und kann mir gut vorstellen, Beirats- oder Aufsichts­rats­man­date für Unter­nehmen aus der Metall- und Elektro-Industrie wahr­zu­nehmen. In diesen Posi­ti­onen ist man heute deutlich opera­tiver tätig als früher.

In Deut­sch­land ist eine Debatte über eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn­aus­gleich entbrannt. Braucht es eine Reduktion der Wochen­a­r­beits­tage?

Ich halte eine Arbeits­zeit­ver­kür­zung bei vollem Lohn­aus­gleich für einen Riesen­fehler, den wir uns nicht leisten können. Wir kämpfen jetzt schon mit unserer Wett­be­werbs­fä­hig­keit, viele Unter­nehmen wollen nicht mehr in Deut­sch­land inves­tieren. Hinzu kommt unser Fach­kräf­temangel, der sich mit dem Ruhestand der Baby­boomer massiv verschärfen wird. Eine soge­nannte Vier-Tage-Woche kann man einführen, wenn an den vier Tagen dann mehr gear­beitet wird und dort, wo es betrieb­lich möglich ist. Dafür muss das anti­quierte Arbeits­zeit­ge­setz geändert werden. Für Ruhe­zeiten und die Grenzen für die tägliche Arbeits­zeit sollten endlich die Spiel­räume auf euro­pä­i­scher Ebene genutzt werden. Zumindest muss die tägliche Höchst­a­r­beits­zeit zugunsten einer Wochen­höchst­a­r­beits­zeit abge­schafft werden.

Wenn Sie Ruhe­zeiten abschaffen wollen, könnte das auf die Gesund­heit der Beschäf­tigten schlagen.

Die maximale Wochen­a­r­beits­zeit muss natürlich einge­halten werden. Aber wer abends auf dem Handy nochmal kurz in die Mails schaut, verletzt eigent­lich das Arbeits­zeit­ge­setz. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß.

Für Sie wäre es also kein Problem, wenn über 10 oder 12 Stunden am Tag gear­beitet werden würde?

Wer der Meinung ist, dass er seine Arbeits­zeit mit 12 Stunden am Tag in drei Tagen erledigt, soll das gerne tun. Mita­r­beiter wollen kein Korsett, sie wollen Frei­heiten. Übrigens sieht das Arbeits­zeit­recht für Beamte maximal 13 Stunden vor.

Beschäf­tigte sollen bald ihre Arbeits­zeit konkret erfassen – was bedeutet das für die Unter­nehmen?

Dieser erste Entwurf von Bundes­a­r­beits­mi­nister Hubertus Heil ist ein großer Fehler und einfach unnötig. Wir haben hervor­ra­gende Erfah­rungen mit Vertrau­ens­a­r­beits­zeit gemacht, die auch bei Arbeit­neh­mern sehr beliebt ist. Und für die Unter­nehmen darf es nicht noch mehr Büro­kratie geben.

Erste Feld­ver­suche haben gezeigt, dass die Produk­ti­vität bei einer Vier-Tage-Woche steigen kann…

Nein, das gaben die briti­schen Versuche beispiels­weise gerade nicht her. Kein Wunder, denn in unseren Unter­nehmen haben wir das Thema Produk­ti­vität schon stark ausge­reizt. Ich halte es für eine sehr gewagte These, dass man in vier Tagen produk­tiver als in fünf Tagen arbeitet.

Was heißt die Forderung für die Tarif­bin­dung?

Sollte es tatsäch­lich zu einer kollek­tiven Redu­zie­rung der Wochen­a­r­beits­zeit bei vollem Lohn­aus­gleich in der Metall- und Elektro-Industrie kommen, werden wir eine massive Tarif­flucht erleben. Viele Unter­nehmen werden solche Vorschläge nicht akzep­tieren. Wir sollten uns statt­dessen lieber darüber unter­halten, wie dieje­nigen, die heute schon länger arbeiten wollen, dies auch tun können.

Der Bund will künftig öffent­liche Aufträge ab 10.000 Euro nur noch an Firmen vergeben, die nach Tarif zahlen – eine gute Idee?

Dass der Bund Unter­nehmen bei Aufträgen auswählt, die sich an den Tarif anlehnen oder tarif­ver­trag­liche Anwen­dungen erfüllen, ist nicht schlecht. So werden gewisse Mindest­stan­dards einge­halten. Aufträge nur an tarif­ge­bun­dene Unter­nehmen zu vergeben halte ich aller­dings nicht mit dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz im Grund­ge­setz vereinbar.

Was ist Ihr Gegen­vor­schlag zur Vier-Tage-Woche?

Wir können nicht weniger, sondern werden länger arbeiten müssen. Anders ist auch die gesetz­liche Rente gar nicht mehr zu finan­zieren. Die Renten­kassen sind leer, das Umla­ge­system funk­tio­niert nicht mehr richtig, wenn man an die Zukunft denkt. Gleich­zeitig erhöht sich die durch­schnitt­liche Lebens­zeit und belastet die Renten­kasse zusätz­lich. Hinzu kam die Rente mit 63, die ich für einen Riesen­fehler halte. Wir können nicht auf Kosten der zukünf­tigen Gene­ra­tion leben.

Wie sieht Ihre Lösung aus?

Wir müssen unter­scheiden: Wer körper­lich hart arbeitet, kann sicher nicht mit 70 Jahren in Rente gehen. Entspre­chend sollte ein späterer Renten­ein­tritt lang­fristig Standard werden – mit klar defi­nierten Ausnahmen. Klar ist: Wir können nicht auf ewig mit 67 Jahren in Rente gehen – und erst recht nicht mit 63 Jahren.

Die soge­nannte Rente mit 63 – also der vorzei­tige Ruhestand nach 45 Beitrags­jahren – sollte doch genau Rücksicht auf lang­jäh­rige körper­lich harte Arbeit nehmen.

Es gehen uns dadurch sehr viele gutver­die­nende Fach­a­r­beiter verloren, so dass der Fach­kräf­temangel drama­tisch verschärft wird. Wir müssen den Aufwuchs bei den Sozi­a­l­ab­gaben stoppen. Ansonsten hat der Indus­tri­e­standort Deut­sch­land im inter­na­ti­o­nalen Wett­be­werb schlechte Karten.

Gerade in den Hand­werks­be­rufen bleiben viele Ausbil­dungs­plätze unbesetzt. Wie wollen Sie jungen Leuten körper­lich fordernde Berufe schmack­haft machen, wenn Sie ihnen gleich­zeitig eine spätere Rente in Aussicht stellen?

Wir müssen den jungen Leuten klar­ma­chen: Wenn sie im Alter versorgt sein wollen, dann müssen sie länger arbeiten. Handwerk und Industrie haben so viele gute Berufe. Und wir sollten ihnen ermög­li­chen, dass sie unter der Woche länger arbeiten können, wenn sie das wollen.

Die Bundes­ver­ei­ni­gung der Deutschen Arbeit­ge­ber­ver­bände fordert von Beschäf­tigten „mehr Bock auf Arbeit“. Wirt­schafts­weise Monika Schnitzer findet, die Unter­nehmen bräuchten „mehr Lust auf junge Leute“. Was stimmt?

Es gibt doch sehr viele junge Leute, die richtig Lust auf Arbeit haben. Leider machen wir manchmal die Erfahrung, dass die Gene­ra­tion der 20- bis Mitte-30-Jährigen keine realis­ti­sche Vorstel­lung vom Arbeiten hat. Es fehlt hier viel Wissen von der betrieb­li­chen Praxis. Manche wollen Vollzeit arbeiten, verstehen darunter aber von 8 bis maximal 14 Uhr. Wir haben Bock auf junge Leute – aber auf solche, die leis­tungs­fähig und leis­tungs­willig sind.

Können Sie sich in Zeiten des Fach­kräf­teman­gels diese Einstel­lung noch erlauben? Schließ­lich entscheiden die Arbeit­nehmer, wo sie arbeiten wollen.

Die Einstel­lung zur Arbeit muss trotzdem stimmen. Um den Fach­kräf­temangel zu lösen, brauchen wir zusätz­lich Menschen aus dem Ausland. Wir müssen als Einwan­de­rungs­land attrak­tiver werden.

Die Ampel-Koalition will dafür das Fach­kräfte-Einwan­de­rungs­ge­setz refor­mieren.

Die Pläne gehen nicht weit genug. Wir müssen es deutlich einfacher machen, dass Leute aus dem Ausland zu uns kommen, wenn sie eine Ausbil­dung haben und quali­fi­ziert sind. Dazu gehört, dass man Büro­kratie abbaut, sich von starren sprach­li­chen Voraus­set­zungen trennt und steu­er­liche Anreize für die jungen Menschen setzt. Aktuell sind die USA und Kanada in diesem Bereich deutlich inter­es­santer.

Wie wollen Sie auslän­di­schen Fach­kräften Deut­sch­land schmack­haft machen, wenn in aktuellen Umfragen fast ein Fünftel angeben, die AfD wählen zu wollen?

Ich halte die hohen Zustim­mungs­werte für die AfD für eine echte Kata­s­trophe. Aller­dings handelt es sich um Umfragen, viele wollen der Ampel-Koalition einen Denk­zettel verpassen. Ob sie tatsäch­lich dann auch AfD wählen, würde ich infrage stellen. Diese Menschen fühlen sich in ihren Zukunft­s­ängsten nicht ernst genommen. Die Ampel muss die Kurve kriegen und die Menschen wieder abholen. Dann dreht sich der Trend.

Viele erfolg­reiche Mittel­ständler sitzen im länd­li­chen Bereich. Wie können diese Firmen an auslän­di­sche Fach­kräfte kommen?

Junge Menschen sind daran inter­es­siert, an einem span­nenden und inno­va­tiven Produkt zu arbeiten. Im Auto­mo­bil­sektor ist das etwa bei der Brenn­stoff­zelle oder der Batte­ri­e­technik der Fall.

In China wird die deutsche Auto­mo­bil­in­dus­trie gerade von chine­si­schen Auto­bauern in der E-Mobilität abge­han­gen…

Wir müssen schnell aufholen. Es werden auch in Deut­sch­land Batte­rie­fa­briken gebaut – einige aber auch von Chinesen. Bei der Batte­rie­zell­fer­ti­gung ist China uns schon zu weit voraus, da kommen wir nicht mehr dran. Also brauchen wir andere Produkte, die uns absichern, wie es der Verbren­nungs­motor bisher getan hat.

Hat die Industrie zu lange am Verbren­nungs­motor fest­ge­halten?

Wenn wir in Indien in jedes zweite Auto eine Brenn­stoff­zelle oder eine Batterie einbauen würden, wäre dem Klima viel mehr geholfen, als wenn man bei uns den Verbren­nungs­motor verbietet. Die USA, China und Indien sind die größten CO2-Emit­tenten, da müssen wir ansetzen – am besten mit unserer Tech­no­logie, die uns Wohlstand und Arbeits­plätze sichert.

Was heißt es für unsere Wirt­schaft, wenn die Aufhol­jagd misslingt?

Dann droht der gesamten deutschen Wirt­schaft eine Krise, die eine Dein­dus­tri­a­li­sie­rung zur Folge haben wird. Wir sind im Struk­tur­wandel: Es werden nicht alle Unter­nehmen überleben, einige sind zu spät dran. Arbeits­plätze werden verloren gehen. Es liegt an uns, wie stark die Folgen werden.

Wenn chine­si­sche Unter­nehmen und auch ameri­ka­ni­sche Firmen wie Tesla und Intel in Werke in Deut­sch­land inves­tieren, dann scheint es ja nicht ganz so schlecht um unsere Stand­ortbe- dingungen zu stehen.

Die Chinesen agieren sehr stra­te­gisch. Fahr­zeug­her­steller wie BYD, Nio oder Great Wall bauen E-Autos, die teils nur halb so teuer wie die der deutschen Anbieter sind. Nach Toyota, Hyundai und Co. erleben wir nun eine zweite Welle, die den deutschen Automarkt trifft. Das trifft auch die Zulie­ferer, denn die Chinesen bevor­zugen Produkte von ihren eigenen Zulie­fe­rern. Wir kommen da nur raus, wenn wir Produkte anbieten, die sonst niemand hat.

Wie kann das gelingen?

Der Staat muss massiv Inno­va­ti­onen befördern. Wenn sich ein Wirt­schafts­mi­nis­te­rium nur mit Heizungen beschäf­tigt, dann geht nichts voran. Wir müssen endlich aufhören, immer neue Büro­kratie zu entwi­ckeln. Das Liefer­ket­ten­ge­setz ist so ein Beispiel. Menschen­rechts­ver­let­zungen und Kinder­a­r­beit werden dadurch nicht verhin­dert, aber es ist ein hoher büro­kra­ti­scher Aufwand.

Sie sagen ein Aus von Unter­nehmen voraus – und wollen sie trotzdem mit Steu­er­geld fördern?

Nein, wir müssen die Förderung in Inno­va­ti­ons­tech­no­lo­gien erhöhen. Wenn es ein Unter­nehmen versäumt hat, sich in neue Tech­no­lo­gien zu begeben, dann darf da auch kein Steu­er­geld rein­fließen.

Was kostet Sie das Liefer­ket­ten­ge­setz?

Bei Elring­Klinger wird es uns mehrere Hundert­tau­send Euro an Mehr­auf­wand kosten. Aber das ist ja nicht die erste regu­la­to­ri­sche Anfor­de­rung, die hinzu­kommt. Zur Umsetzung der Daten­schutz­grund­ver­ord­nung beispiels­weise mussten wir eine zusätz­liche Person einstellen. Entlas­tungen auf der anderen Seite bleiben aus.

Welche Rolle wird Künst­liche Intel­li­genz bei der Bekämp­fung des Fach­kräf­teman­gels spielen?

KI wird sicher manche Routi­ne­a­r­beit erledigen können. Aber so eindrucks­voll die eine oder Anwendung auch sein mag: ChatGPT stanzt mir keine Dich­tungen. Nein, wir werden unsere Arbeit auf absehbare Zeit auch selbst machen müssen.

Das Gespräch führte Tobias Kisling, Funke Medi­en­gruppe.