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„Europa muss sich stärker aufstellen“

US-Präsi­dent­schafts­wahl 2024

Wir dokumentieren in verkürzter Form das Interview der Stuttgarter Zeitung mit Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf und seinem Ehemann, dem US-amerikanischen Opernsänger und Musicaldarsteller Kevin Tarte, zur US-Wahl 2024:

Herr Tarte, Herr Wolf, Sie waren gerade wieder in den USA, in New York. Wie haben Sie die Stimmung vor der Wahl empfunden?

Wolf: Ich fand die Stimmung sehr pola­ri­siert. Es gibt totale Donald-Trump-Fans, und es gibt totale Kamala-Harris-Fans. Das geht bis ins Privat­leben hinein.

Tarte: Definitiv. Die New Yorker mögen Trump nicht. Was mich aber echt über­rascht hat: Wir waren in Manhattan und Brooklyn unterwegs. Vor den Privat­häu­sern haben wir nirgends Wahl­wer­bung gesehen, weder für Trump noch für Harris. Von meiner Familie in Seattle höre ich: Diese Thematik, wer ins Weiße Haus kommt, ist so heiß umkämpft im Moment und spaltet das Land so sehr. Da hätten Anhänger der Demo­kraten Bedenken, ihre Haltung zu äußern – aus Sorge, sie könnten nach der Wahl Gewalt gegen sich erleben.

Insgesamt steht die US-Wirt­schaft gut da. Trotzdem gibt es Abstieg­s­ängste. Welchen Einfluss hat die Wirt­schafts­po­litik auf die Wahl­ent­schei­dung der Ameri­kaner?

Wolf: Sie ist ein ganz wesent­li­cher Faktor. Der Inflation Reduction Act (IRA) war natürlich ein bemer­kens­werter Schritt, den Präsident Joe Biden da gemacht hat. Er hat dadurch Unmengen von Inves­ti­ti­onen in die USA gezogen – auch dadurch begüns­tigt, dass es bei uns in Europa und vor allem in Deut­sch­land eine sehr inves­ti­ti­ons­feind­liche Situation gibt. Da haben viele Unter­nehmen gesagt: Wir inves­tieren nicht hier, sondern gehen in die USA. Dadurch hat Biden auch viele hoch­qua­li­fi­zierte Jobs geschaffen. Die USA haben vor mehr als einem Jahrzehnt erlebt, was wir im Moment in Deut­sch­land durch­ma­chen, nämlich eine Dein­dus­tri­a­li­sie­rung in der Stahl­in­dus­trie oder im Auto­mo­bil­be­reich. Da hat Biden den Menschen Zuver­sicht und Hoffnung gegeben.

Tarte: Die Trump-Anhänger sind stark beein­flusst von seinen aktuellen Botschaften. Ich habe dreimal von Uber-Fahrern gehört: Mir ging es besser in der Zeit von Trump. Die Inflation hat sie alle schwer belastet, das ist ein großes Thema für die Leute. Ein Fahrer sagte: Seine Frau und er arbeiten jeweils in drei Jobs, um über die Runden zu kommen.

Wolf: Dass die Wirt­schaft gut dasteht, kommt bei den geringer Verdie­nenden nicht wirklich an. Die klas­si­schen Fabrik­a­r­beiter fühlen sich immer noch als die Verlo­renen. Sie glauben, dass Trump ihnen wieder Chancen eröffnet.

Herr Tarte, wissen Sie schon, wie und wann Sie wählen werden?

Tarte: Ich bin gemeldet bei meiner Schwester in Seattle, bekomme aber alle meine Wahl­zettel hier nach Bad Urach geschickt. Das ist möglich.

Sie sind in Seattle aufge­wachsen. Waren Sie immer ein Anhänger der Demo­kraten?

Tarte: Definitiv. Das muss ich zugeben, obwohl unter meinen Vorfahren auf väter­li­cher Seite sehr viele Repu­bli­kaner waren – die mütte­r­liche Seite war stark demo­kra­tisch geprägt. Da gab es schon ziemlich heftige poli­ti­sche Diskus­si­onen in unserem Haus.

Kennen Sie deutsche Wirt­schafts­führer, die sich als Trum­pisten outen?

Wolf: Es gibt schon welche. Bei uns in der Wirt­schaft ist das gespalten, würde ich sagen. Da erwarten einige, dass Trump eine auch für uns günstige Wirt­schafts­po­litik macht. Ich glaube hingegen, er wird noch mehr protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen einführen. Er wird die USA extrem in den Vorder­grund stellen. Wir werden als Euro­pä­i­sche Union nicht nur politisch, sondern auch wirt­schaft­lich Probleme bekommen.

Können sich die deutschen Unter­nehmen auf Trump II vorbe­reiten?

Wolf: Ich glaube, dass man sich darauf nicht voll­ständig vorbe­reiten kann. Wir wissen nicht wirklich, was er plant und welche Entschei­dungen er und seine Admi­nis­tra­tion treffen werden.

Die deutschen Unter­nehmen könnten ihre Liefer­wege verändern – etwa mehr aus dem NAFTA-Raum in die USA liefern?

Wolf: Daran hängen ja auch hohe Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen, die man auch nicht nur auf vier Jahre trifft. Jetzt irgend­welche Entschei­dungen zu treffen nur für den Fall, dass er gewählt wird, ist schwierig.

Trump will die ameri­ka­ni­sche Wirt­schaft mit Steu­er­er­leich­te­rungen, niedrigen Ener­gie­preisen, der Besei­ti­gung von Umwelt­auf­lagen massiv beglücken?

Wolf: Wenn er das umsetzen könnte, würde es sich positiv auf die US-Wirt­schaft auswirken. Wobei auch Harris jetzt ange­kün­digt, Familien oder kleinere Unter­nehmen steu­er­lich zu entlasten. Viel Neues entsteht ja in Startups und kleinen Firmen. Im Endeffekt werden die US-Firmen davon profi­tieren, was aber für mich als Europäer nicht gut ist, weil das unsere Wett­be­werbs­fä­hig­keit noch mal weiter verschlech­tert, mit der wir im inter­na­ti­o­nalen Vergleich ohnehin abge­stürzt sind. Dann wird noch mehr in den USA inves­tiert.

Die Pläne von Kamala Harris sind noch recht vage. Aller­dings hat sie diverse staat­liche Programme ange­kün­digt, sodass Trump versucht, sie als Kommu­nistin darzu­stellen?

Wolf: Seine Aussagen sind krude und pola­ri­sieren weiter.

Tarte: Auch Donald Trump hat nicht wirklich viel gesagt, was er machen will – außer dass er Steu­er­er­leich­te­rungen anstrebt. Meiner Ansicht nach nehmen ihn viele zu ernst.

Wenn ein Kanz­ler­kan­didat so viel Staat propa­gieren würde, dann würde der Gesamt­me­tall-Präsident auf die Barri­kaden gehen?

Wolf: Der Staat muss vernünf­tige Rahmen­be­din­gungen setzen. Ich glaube nicht, dass unter Harris eine solche Über­re­gu­lie­rung statt­finden wird wie bei uns. Statt­dessen versucht sie zum Beispiel, mit der Förderung von Fracking günstige Ener­gie­preise zu reali­sieren.

Beide Kandi­daten würden die schon horrende Staats­ver­schul­dung weiter anheben. Macht das den Ameri­ka­nern keine Angst?

Tarte: Ich glaube schon, aber der normale Mensch auf der Straße weiß zu wenig von Politik. Das ist ganz eindeutig mein Eindruck auch beim jüngsten Besuch wieder. Die sehen Trump noch immer in seinen goldenen Zeiten in den achtziger Jahren, obwohl diese lange vorbei sind.

Wolf: Die wachsende Staats­ver­schul­dung, die wir ja weltweit haben, halte ich schon für proble­ma­tisch. Aber die meisten Staaten haben ja kein Einnahme-, sondern ein Ausga­ben­pro­blem. Das würde ich schon als Aufgabe auch einer Präsi­dentin Kamala Harris sehen, dass sie sich das genau anguckt: Wo gehen Gelder des Staates hin, wo sie nicht hingehen müssen? Hier in Deut­sch­land hatte der Staat vergan­genes Jahr mehr als doppelt so viel Geld wie vor 20 Jahren zur Verfügung. Trotzdem wird behauptet, das Geld reiche nicht.

Eine Präsi­dentin Harris würde sich wahr­schein­lich eher gen Asien ausrichten. Wäre es das Ende des trans­at­lan­ti­schen Verhält­nisses in der heutigen Form?

Wolf: Das ist ja sowieso schon ange­kratzt, und ich bin ja der Meinung, dass Europa sich viel stärker aufstellen muss. Es muss aufpassen, nicht zwischen den beiden starken Blöcken Nord­ame­rika China zerrieben zu werden. Da fehlt mir bei den hier handelnden Personen der Glaube, dass das funk­tio­nieren wird. Wirt­schaft­lich kommen wir an China nicht mehr vorbei. China hat sich als Wirt­schafts­macht super aufge­stellt, sie haben gute Rahmen­be­din­gungen. Die poli­ti­sche Situation ändert nichts daran, dass China für uns ein wahn­sinnig wichtiger Markt und wichtiger Lieferant ist.

Auch Harris punktet mit einem Anti-China-Kurs. Wie lassen sich die chine­si­sche und die ameri­ka­ni­sche Wirt­schaft entkop­peln?

Wolf: Die lassen sich null Komma null entkop­peln. Wenn Kamala Harris im Amt ist, wird sie das auch sehen. Für die USA ist es völlig illu­so­risch, einen völlig anti­chi­ne­si­schen Kurs zu fahren. Die USA impor­tieren massiv aus China. Trump hatte ja schon in seiner ersten Amtszeit gemerkt, dass es nicht funk­tio­niert. Das würde stark zu Lasten von Wohlstand und Arbeits­plätzen in den USA gehen. Wir sind inter­na­ti­onal so verflochten in der Wirt­schaft, dass Protek­tio­nismus einfach gar keinen Sinn mehr macht. Sie werden diese wirt­schaft­li­chen Bezie­hungen, die sie über viele Jahre aufgebaut haben, nicht kappen können, ohne massive Schäden in Wirt­schaft, in der Bevöl­ke­rung und für den Wohlstand anzu­richten.

Ein völliger Konfron­ta­ti­ons­kurs Trumps gegenüber China wäre desaströs für uns?

Wolf: Absolut. Für uns, aber auch für die USA. Für Deut­sch­land und Europa, aber auch die USA ist China einfach ein Riesen­markt. Wenn sich die Welt­wirt­schaft in zwei Teile spaltet, ist das ein Super-GAU.