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„Firmen werden Personal abbauen“

Ausblick auf 2024

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Redaktionsgespräch mit dem Reutlinger General-Anzeiger über die Lage der M+E-Industrie, die Fehler der Ampel und die Zukunft der E-Mobilität:

Herr Wolf, fahren Sie bereits ein E-Auto oder sind Sie noch mit einem Verbrenner unterwegs?

Privat fahre ich ein E-Auto aus deutscher Produk­tion. Heute bin ich mit einem Mietwagen da, einem chine­si­schen E-Auto. Das ist gut.

Ein Nio ist unge­wöhn­lich für den Präsi­denten von Gesamt­me­tall?

Das ist ein zu nati­o­naler Blick für eine Export­na­tion. Die deutsche Zulie­fer­in­dus­trie macht sehr gute Geschäfte mit China. In den letzten Jahren hat China den deutschen Automarkt getragen. Viele Zulie­fer­un­ter­nehmen verdienen in Deut­sch­land wenig und gleichen das durch hohe Erträge der chine­si­schen Toch­ter­ge­sell­schaften aus. Davon abgesehen ist jeder Unter­nehmer gut beraten, die Konkur­renz zu kennen und ernst zu nehmen.

Bei Ihrem letzten Besuch haben Sie den Angriff der Chinesen auf den deutschen Automarkt mit günstigen E-Autos voraus­ge­sagt. Genau das ist einge­treten. Wie schätzen Sie die Chance der chine­si­schen Autobauer ein, hier dauerhaft Fuß zu fassen und die deutschen Firmen zu verdrängen?

Die chine­si­schen Firmen werden die deutschen Autobauer sicher­lich nicht verdrängen können. Doch sie werden eine Rolle spielen auf dem euro­pä­i­schen Automarkt. Denn sie haben mehrere Vorteile: zum einen der Preis. Diese Fahrzeuge sind deutlich günstiger als deutsche und euro­pä­i­sche Autos. Zudem sprechen sie junge Menschen an, weil sie nach dem Prinzip gefertigt sind: Software und ein bisschen Blech darum. Jungen Menschen ist Digi­ta­li­sie­rung und Software sehr wichtig. Viel Sonder­ausstat­tung und geringe Spaltmaße spielen eine unter­ge­ord­nete Rolle.

Was haben die deutschen Autobauer falsch gemacht? Haben sie die Entwick­lung hin zu Digi­ta­li­sie­rung und Elek­tro­mo­bi­lität verschlafen?

Verschlafen würde ich nicht sagen, aber man ist das Thema E-Mobilität zu spät ange­gangen. Die deutsche Fahrzeug- und Zulie­fer­in­dus­trie lief über Jahre sehr gut. Wir bauen die besten Verbren­ner­mo­toren der Welt und haben Autos in die ganze Welt expor­tiert. Das hat zu einer gewissen Trägheit geführt. Aus heutiger Sicht hätte man früher in den Struk­tur­wandel einsteigen müssen. Die deutsche Auto­in­dus­trie muss jetzt schnell aufholen. Was man von den chine­si­schen Auto­bauern lernen kann, ist die geringe Komple­xität bei der Herstel­lung. Ich habe es nie verstanden, dass man in der deutschen Auto­in­dus­trie so wahn­sinnig viele Varianten und Ausstat­tungs­mög­lich­keiten angeboten hat. Kein Mensch braucht ein rosa Fahrzeug mit türkisen Sitzen und einer Latte von Sonder­ausstat­tungen. Diese Vari­a­n­ten­viel­falt bedeutet eine hohe Komple­xität bei Logistik und Produk­tion. Das macht deutsche Fahrzeuge unnötig teuer.

Batterien sind ein wichtiger Punkt bei E-Autos. Auch da liegt Deut­sch­land hinten. Ist das noch aufzu­holen?

Ich halte es für ausge­schlossen, dass deutsche Unter­nehmen in großem Maßstab Batterien nach heutigem Standard für E-Autos bauen. Der Zug ist abge­fahren. Wenn wir in Deut­sch­land eine Batte­ri­e­tech­no­logie aufbauen wollen, dann muss es die nächste tech­ni­sche Gene­ra­tion sein. In diese Entwick­lung sollte man inves­tieren. Das Ziel muss sein, die Reich­weite zu erhöhen.

An was krankt es generell, dass der E-Auto-Markt in Deut­sch­land so langsam voran­kommt?

Die Ladein­fra­s­truktur ist noch nicht weit genug ausgebaut. Zudem macht die Trans­for­ma­tion in Richtung Elek­tro­mo­bi­lität nur Sinn, wenn ein E-Auto mit grünem Strom betrieben wird. Da hinken wir auch hinterher. Zudem hat die Bundes­re­gie­rung keine schlüs­sige Antwort, wie das erreicht werden soll. Wenn ein Indus­trie­land die Ener­gie­wende schaffen will, aber zugleich aus der Kohle­kraft und der Atom­energie aussteigt, obwohl die Nuklea­r­energie von der EU als umwelt­freund­lich einge­stuft wird, stellt uns das vor riesige Probleme. Denn der Strom­bedarf der Industrie wird auch in Zukunft nicht sinken. Wenn dann aber künftig noch viel mehr Menschen elek­trisch fahren, dann wird das das Stromnetz über­lasten. Die Politik macht es sich bei der Ener­gie­wende zu einfach. Sie hat den Bezug zur Realität und zu den Problemen der Bürger verloren.

Ist die Verkehrs­wende in Deut­sch­land zu einseitig auf das E-Auto fokus­siert?

Ja, das ist der große Fehler. Wir müssen tech­no­lo­gie­offen sein. Wir werden auch in Zukunft in Fahr­zeugen unterwegs sein, die mit Wasser­stoff oder synthe­ti­schen Kraft­stoffen betrieben werden. Bei Lastwagen wird sich die Elek­tro­mo­bi­lität nicht durch­setzen. Da sind die erfor­der­li­chen Batterien viel zu schwer und teuer. Es ist ein riesiger Fehler der Ampel-Regierung, bei der Indus­trie­po­litik nicht auf Tech­no­lo­gie­of­fen­heit zu setzen. Überhaupt kommt die Freiheit bei uns viel zu kurz. Die Bundes­re­gie­rung will den Menschen viel zu viel vorschreiben und ist zu ideo­lo­gisch.

Freiheit ist ein gutes Stichwort. Wie frei muss eine Gesell­schaft sein, damit Fach­kräfte nach Deut­sch­land kommen? Der Chef von Jenoptik hat gesagt, dass sein Unter­nehmen Schwie­rig­keiten habe, auslän­di­sche Mita­r­beiter zu rekru­tieren, weil die deutsche Gesell­schaft zu into­le­rant sei. Müssten die Unter­nehmen nicht öfter ihre Stimme erheben und stärker für Welt­of­fen­heit und Toleranz werben?

Ich bedauere es, dass sich viel zu wenig Unter­nehmer öffent­lich zu Wort melden und in der Presse ihre Stand­punkte darlegen. Denn die Wirt­schaft hat ja was zu sagen. Nur wenn wir die Probleme anspre­chen, kann sich was ändern. Natürlich hängt der Fach­kräf­temangel mit dem Thema Freiheit und Will­kom­mens­kultur zusammen. Wir haben in Deut­sch­land keine echte Will­kom­mens­kultur. Das liegt auch daran, dass wir zu viel illegale Migration haben. Doch Deut­sch­land ist auch aus steu­er­li­chen Gründen kein attrak­tives Einwan­de­rungs­land. Den IT-Fachmann aus Indien zieht es wegen der geringen Steu­er­sätze eher in die Schweiz oder die USA. Zudem sind die Anfor­de­rungen an die deutsche Sprache zu hoch. Es reicht, wenn jemand gut Englisch kann und Deutsch dann hier lernt, das muss man doch nicht schon vorher konver­sa­ti­ons­si­cher können. Wenn wir die Rahmen­be­din­gungen nicht verbes­sern, werden wir nie ein beliebtes Einwan­de­rungs­land für gut ausge­bil­dete Fach­kräfte werden.

Der Ampel­re­gie­rung fehlen nach dem Haus­halts­ur­teil 60 Milli­arden Euro. Wie wirkt sich das Urteil auf die Metall- und Elektro-Industrie aus?

Wir sorgen uns um die zuge­sagten Entlas­tungen für Unter­nehmen. Sollten diese ausbleiben, werden viele Betriebe ihre geplanten Inves­ti­ti­onen in Deut­sch­land über­denken. Dabei kann uns die Ampel­re­gie­rung ganz einfach helfen und müsste dafür nicht mal Geld ausgeben. Dafür muss sie beispiels­weise nur das Liefer­ket­ten­ge­setz abschaffen. Die Büro­kratie kostet die deutschen Unter­nehmen Milli­arden.

Wie ist die Lage der deutschen Metall- und Elektro-Industrie im Herbst 2023?

Das erste Halbjahr ist noch getragen worden durch die Auftrags­be­stände. Doch die sind mitt­ler­weile abge­ar­beitet. Das vierte Quartal und auch das nächste Jahr werden schwierig. Die Auftrag­s­ein­gänge gehen zurück. Deshalb ist die Perso­nal­pla­nung für 2024 deutlich reduziert worden. Die Bundes­re­gie­rung hat das Wirt­schafts­wachstum für dieses Jahr bereits auf minus 0,4 Prozent reduziert. Auch für nächstes Jahr werden die Prognosen abwärts korri­giert. Ich befürchte, dass wir 2024 ebenfalls eine Stag­na­tion haben.

Sie haben das Thema Perso­nal­pla­nung ange­spro­chen. Gibt es Über­le­gungen, in der Metall- und Elektro-Industrie Personal abzubauen?

Was wir sehen ist, dass in den Mitglieds­be­trieben in diesem Jahr die Zahl der Kurz­a­r­beits­an­träge stark ange­stiegen ist. Ich rechne damit, dass die Firmen 2024 Personal abbauen werden.

Wie sieht es mit Insol­venzen aus?

Die gehen deutlich nach oben. Das wird größere und kleinere Unter­nehmen treffen. Es ist eine Frage der Struktur. Wer sich nicht auf die Trans­for­ma­tion vorbe­reitet hat, ist stärker gefährdet.

Im nächsten Jahr stehen Tarif­ver­hand­lungen an. Wie ist da Ihre Position?

Der letzte Abschluss, der bis Oktober 2024 gilt, war hoch, da sich die Lage nicht so positiv entwi­ckelt hat wie erhofft, viel­leicht zu hoch. Wir werden in Zukunft in der Metall- und Elektro-Industrie kürzer­treten müssen. In der Metall­in­dus­trie wird sehr gut verdient. Es gibt aber viele Branchen, in denen keine so hohen Löhne gezahlt werden, die aber auch wichtig sind wie etwa Pflege, Bildung oder Kran­ken­be­treuung. Wir sehen einen Trend, dass viele Beschäf­tigte in die Metall­in­dus­trie drängen. Während der Corona-Pandemie waren das Menschen, die vorher in der Gastro­nomie tätig waren. Sie werden wegen der guten Vergütung und den gere­gelten Arbeits­zeiten nie mehr in ihrem alten Beruf tätig sein. Deshalb appel­liere ich an die gesamt­ge­sell­schaft­liche Verant­wor­tung der Gewerk­schaften. Wenn wir auf unser hohes Niveau noch mehr drauf­pa­cken, wird der Abstand zu anderen Branchen noch größer. Zudem wird der Tarif für die Unter­nehmen dadurch nicht attrak­tiver.

Wenn wir schon so in die Zukunft blicken: Wollen Sie im nächsten Jahr erneut für das Amt des Gesamt­me­tall-Präsi­denten kandi­dieren?

Ich bin seit 12 Jahren in diesem Bereich tätig. Mein Herz hängt daran. Aber heute kann ich noch nicht sagen, ob ich erneut kandi­diere.

Seit dem 1. Juli sind Sie nicht mehr Vorstands­vor­sit­zender von Elring Klinger. Damit hat für Sie eine neue Zeit­rech­nung begonnen. Wie geht es Ihnen? Sie haben einen völlig anderen Alltag?

Das ist ein Einschnitt. Der Alltag hat sich radikal verändert. Seit dem Juli habe ich viele Dinge gemacht, für die vorher keine Zeit war. Jetzt bin ich dabei, das eine oder andere beruf­liche Thema, das an mich heran­ge­tragen wird, zu prüfen.

Streben Sie einen neuen Einstieg in den Beruf oder eine Vorstand­s­tä­tig­keit an?

Eine Vorstand­s­tä­tig­keit sicher nicht. Eher im Bereich Beratung oder eine Funktion als Aufsichtsrat ist auch denkbar. Zudem verfüge ich noch über eine Zulassung als Anwalt.

Sie sind ehren­amt­li­cher Vize-Präsident der Industrie- und Handels­kammer Reut­lingen (IHK), obwohl sie nicht mehr bei Elring Klinger tätig sind. Mit welchem Ticket sind Sie noch in der Voll­ver­samm­lung?

Ich habe 2020 eine kleine Gesell­schaft gegründet, die beispiels­weise Konzerte orga­ni­siert. Die Gesell­schaft ist IHK-Mitglied.