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„Ich mache mir wirklich große Sorgen um die Zukunftsfähigkeit des Standorts“

Ampel­streit und Tarif­ver­hand­lungen

Bei der Ampel geht nichts voran, die wirtschaftliche Lage wird immer schlechter, aber die IG Metall scheint verstanden zu haben, was auf dem Spiel steht, meint Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Interview bei t-online:

Herr Wolf, wir wollen beginnen mit einem Heinrich-Heine-Zitat, bei dem wir Sie um Vervoll­stän­di­gung bitten. Den Satz kennt jeder: „Denk ich an Deut­sch­land in der Nacht, …“

… bin ich um den Schlaf gebracht.

So schlimm?

Ja und Spaß beiseite: Denke ich an Deut­sch­land, mache ich mir wirklich große Sorgen um die Zukunfts­fä­hig­keit des Standorts. Und ich befürchte, dass wir, wenn nicht schnell was passiert, in noch eine stärkere Dein­dus­tri­a­li­sie­rung hinein­laufen.

Sie klingen sehr pessi­mis­tisch. Warum?

Die Rahmen­be­din­gungen in Deut­sch­land sind einfach schlecht. Und es verändert sich nichts zum Besseren. Die Regierung ist zerrissen, es geht nichts vor und nichts zurück. Beispiel Büro­kra­tie­abbau: Ich höre seit bald zwei Jahren, dass die Politik da endlich liefern will, auch der Kanzler hat gerade gesagt, dass das Liefer­ket­ten­ge­setz weg muss. Aber es tut sich einfach nichts. Das frus­triert mich enorm. Beispiel Sozi­al­bei­träge: Die steigen nächstes Jahr voraus­sicht­lich auf über 42 Prozent – obwohl wir schon lange fordern, dass sie bei 40 Prozent gedeckelt werden müssen.

Gesund­heits­mi­nister Karl Lauter­bach hat immerhin gerade eine Kran­ken­haus­re­form ange­schoben, die das Gesund­heits­system effi­zi­enter machen, Kosten einsparen soll.

Ja, das ist auch gut und richtig. Aber das reicht nicht aus. Insgesamt muss die gesamte Sozi­a­l­ver­si­che­rung mit allein 24 Milli­arden Euro Verwal­tungs­kosten effi­zi­enter werden. Sie muss besser struk­tu­riert und noch digitaler werden. Wir brauchen eine große Orga­ni­sa­ti­ons­re­form der deutschen Sozi­a­l­ver­si­che­rung.

Wenn Sie so schimpfen: Wären vorge­zo­gene Neuwahlen besser fürs Land?

Im Grunde bin ich Optimist. Unser wirt­schaft­li­ches Fundament ist gut, wir haben gute Grund­be­din­gungen, damit wir zur alten Stärke zurück­kehren können. Aber wenn es keinen Befrei­ungs­schlag hin zu besseren Rahmen­be­din­gungen gibt, will ich das nicht ausschließen.

Verstanden, trotzdem noch einmal die Frage: Neuwahlen jetzt?

Wenn es keinen Poli­tik­wechsel gibt, wären vorge­zo­gene Neuwahlen gut fürs Land. Deut­sch­land braucht ein Signal des Aufbruchs: Den aktuellen Still­stand können wir uns nicht leisten, jeder Monat zählt.

Nach derzei­tigem Stand der Umfragen würde die CDU die Wahl gewinnen. Wäre Friedrich Merz der bessere Kanzler?

Ja. Friedrich Merz hat besser verstanden, was die Politik für einen wirt­schaft­li­chen Aufschwung tun kann. Besten­falls regiert er nach der Wahl gemeinsam in einer bürger­li­chen Koalition zusammen mit der FDP, die das ebenso weiß.

Danach sieht es nicht aus. Wahr­schein­li­cher wäre eher eine Große Koalition von Union und SPD. Früher stand genau solch ein Bündnis für Still­stand.

Meine Erwartung ist, dass Herr Merz und die Union auch in diesem zweit­besten Fall die wirklich wichtigen Punkte im Koali­ti­ons­ver­trag durch­setzen – und dass die SPD andere Minister ins Kabinett schickt. Um es ganz klar zu sagen: Bundes­a­r­beits­mi­nister Hubertus Heil ist in meinen Augen eine echte Problem­figur im Kabinett. Er will immer mehr Sozi­al­leis­tungen und immer weniger freie Markt­wirt­schaft. Das können wir echt nicht gebrau­chen, wenn wir wieder eine starke Wirt­schafts­na­tion werden wollen.

Wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck schlägt einen neuen „Deut­sch­land­fonds“ vor, der Inves­ti­ti­onen in Firmen fördern soll. Eine gute Idee?

Positiv daran ist allein die Erkenntnis des Wirt­schafts­mi­nis­ters, dass die Stand­ort­be­din­gungen offen­sicht­lich so schlecht sind, dass die Unter­nehmen nicht mehr bereit sind in Deut­sch­land zu inves­tieren und die Politik dringend handeln muss. Wir brauchen tief­grei­fende Struk­tur­re­formen. Zur Finan­zie­rung dieser Pläne braucht es Einspa­rungen und Prio­ri­sie­rungen im Haushalt.

Ebenso heiß disku­tiert wurden zuletzt die 1.000 Euro Prämie, die Lang­zeit­a­r­beits­lose erhalten sollen, die ein Jahr lang wieder gear­beitet haben. Zahl­reiche Ökonomen halten das für eine gute Idee, weil es den Staat poten­ziell viel Geld spart. Was denken Sie darüber?

Als ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Das ist doch ein Witz – das können die doch nicht ernst meinen. Wo bleibt denn da der Leis­tungs­ge­danke?

Man könnte auch sagen: Damit wird Leistung belohnt – und zugleich ein Anreiz fürs Arbeiten gesetzt. Ist das ange­sichts des Arbeits­kräf­teman­gels in vielen Branchen denn nicht richtig?

Wir müssen alle wieder mehr leisten. Prämien für Selbst­ver­ständ­lich­keiten aber – und um nichts anderes geht es hier – sind das falsche Instru­ment. Arbeits­an­reize setzen wir durchs Gegenteil: Das Bürger­geld muss sinken, und zwar auf das Minimum, das das Verfas­sungs­ge­richt für zulässig erklärt. Auch bei den Zusatz­leis­tungen vom Staat, die den Bürger­geld­bezug für manchen im Nied­rig­lohn­sektor attraktiv machen, sind noch Korrek­turen möglich. Kurzum: Der Lohn­ab­stand muss wieder größer werden. Wer arbeitet, sollte mindes­tens 30 Prozent mehr Netto in der Tasche haben als jemand, der nicht arbeitet. Sonst lohnt sich das für viele einfach nicht.

Gewerk­schafter wenden an diesem Punkt ein: Dann müssen die Löhne einfach nur steigen.

So einfach ist das nicht. Die Lohn­kosten sind ohnehin schon ein Stand­ortri­siko. Die deutsche Wirt­schaft steckt im zweiten Rezes­si­ons­jahr in Folge. Hohe Lohn­ab­sch­lüsse sind da einfach nicht drin.

Stark umstritten ist derzeit das Renten­paket II. Wie ist Ihr Blick darauf?

Das Renten­paket ist eine Blamage für die Ampel. Es ist eine der größten Unge­rech­tig­keiten dieser Koalition und es kann uns alle teuer zu stehen kommen. Denn künftige Gene­ra­ti­onen werden so stark belastet. Viele junge Leute, gerade die Hoch­qua­li­fi­zierten, sind heute sehr mobil. Sie beherr­schen Sprachen und können praktisch überall im Ausland arbeiten. Wenn sie dort weniger Steuern und Abgaben an den Staat abführen müssen, werden sich viele überlegen, warum sie eigent­lich noch in Deut­sch­land bleiben sollen. Mein Appell an die Ampel ist darum: Stoppen Sie das Renten­paket II, bevor es zu spät ist.

Blicken auf die Metall- und Elektro-Industrie. Dort schwankte die Auftrags­lage zuletzt stark. Müssen wir uns auf eine noch deut­li­chere Rezession einstellen?

Das befürchte ich leider. Die Entwick­lung in der Metall- und Elektro-Industrie ist die letzten 18 Monate konti­nu­ier­lich nach unten gegangen. Besonders deutlich wird das, wenn wir den Vergleich mit dem starken Jahr 2018 ziehen. Schon 2019 gab es eine Rezession und dann folgte der große Einbruch durch die Corona-Pandemie. Heute liegen wir bei der Produk­tion in der Metall- und Elektro-Industrie noch 15 Prozent unter 2018. Die Produk­tion und die Umsätze stagnieren, die Kosten für Material, Energie und Personal steigen aber. Das ist ein Problem.

Am Beispiel VW wird deutlich: Deut­sch­land kann nicht mehr bei allen tech­ni­schen Entwick­lungen vorne mitspielen. Hat die deutsche Wirt­schaft ihre Vorrei­ter­rolle verspielt?

Autos mit Verbren­ner­mo­toren haben sich sehr lange sehr gut verkauft. Dann wurde sicher­lich auch die ein oder andere Fehl­ent­schei­dung getroffen. Aktuell sind die E-Autos einfach zu teuer und für diese Fahrzeuge fehlt der Markt.

Tatsäch­lich? Viele Deutsche sind durchaus bereit, viel Geld für ein Auto auszu­geben, entscheiden sich dennoch selten für ein E-Auto. Woran liegt das?

Auch die mangelnde Ladein­fra­s­truktur schreckt zum Beispiel poten­zi­elle Käufer ab.

Die meisten Auto­fahrer über­schätzen ihren Reich­wei­ten­be­darf. Die Sorge, dass die Ladung des Autos nicht für den Weg zum Einkaufen oder zur Arbeit ausreicht, ist in den meisten Fällen unbe­gründet. Woher kommt diese Angst?

Wer mit seinem eigenen Auto auch in den Urlaub fahren will, dem hilft der Verweis auf die durch­schnitt­liche Entfer­nung zur Arbeit herzlich wenig. Spontan übers Wochen­ende in die Berge oder ans Meer zu fahren, ist auch schwie­riger. Und es hat auch etwas mit der Menta­lität zu tun. Es gibt in Deut­sch­land im Vergleich zu anderen Ländern oftmals eine höhere Scheu vor neuen Tech­no­lo­gien. Hinzu kommt aber auch: Bei den teuren Strom­preisen ist ein E-Auto auch im Betrieb nicht unbedingt günstiger als ein Diesel­fahr­zeug und wenn der Strom aus Kohle gewonnen wird, ist es auch nicht nach­hal­tiger.

Kürzlich haben Sie aber vor dem Verlust von rund 300.000 Stellen in der gesamten Metall- und Elektro-Industrie gewarnt. Wie kommen Sie auf eine solch hohe Zahl?

Es handelt sich um eine Schätzung, ergibt sich aber auch alleine aus der aktuellen Unter­aus­las­tung der Kapa­zi­täten der Unter­nehmen. Hinzu kommt: Die Anzahl der Beschäf­tigten in der Metall- und Elektro-Industrie sinkt seit Monaten. Und Pläne, die Produk­tion ins Ausland zu verlagern, haben einige Unter­nehmen bereits in der Schublade. Wenn jetzt tradi­ti­ons­reiche Fami­li­en­un­ter­nehmen wie zuletzt leider Miele aber tatsäch­lich Hunderte Stellen in Deut­sch­land abbauen wollen und im Ausland produ­zieren, dann ist es bereits 15 Minuten nach 12.

Gleich­zeitig klagen fast alle Unter­nehmen über Fach­kräf­temangel. Warum ist Stel­le­n­abbau dann überhaupt ein Problem?

Wir stehen vor einer welt­weiten Heraus­for­de­rung: Länder mit hohem Bildungs­ni­veau haben zu wenig Nachwuchs und Länder mit nied­ri­gerem Bildungs­ni­veau haben ein starkes Bevöl­ke­rungs­wachstum. Das heißt, es fehlen insgesamt Fach­kräfte. Wenn Unter­nehmen ihre Produk­tion ins Ausland verlagern, ist das zwar günstiger, aber auch in Ungarn und Rumänien fehlen mitt­ler­weile quali­fi­zierte Arbeits­kräfte. Viele Produk­ti­ons­ab­läufe sind heute sehr komplex, da braucht es – egal wo auf der Welt – Menschen mit der richtigen Ausbil­dung.

Es laufen derzeit Tarif­ver­hand­lungen mit der Gewerk­schaft IG Metall. Geben Sie’s zu, in Ihrer Warnung steckt eine große Portion Verhand­lungs­taktik.

Nein, das hat mit Verhand­lungs­taktik nichts zu tun. Es ist einfach Fakt, dass viele Unter­nehmen dabei sind, ihre Produk­tion ins Ausland zu verlagern.

Am Montag endet die Frie­den­spe­riode der IG Metall. Rechnen Sie mit baldigen Streiks?

Ich habe den Eindruck, die IG Metall hat verstanden, was auf dem Spiel steht. Da sich die wirt­schaft­liche Lage quasi wöchent­lich verschlech­tert, dürfte sie auch ein Interesse an einem schnellen Abschluss haben. Zudem haben wir bereits in der 2. Verhand­lungs­runde ein Angebot von 3,6 Prozent über 27 Monate vorgelegt, was für die Beschäf­tigten nach jetzigem Stand Real­lohn­si­che­rung bedeutet. Daher sehe ich eine gute Grundlage für weitere faire Verhand­lungen.

Also keine Streiks?

Doch, Warn­streiks wird es bestimmt geben, fürchte ich. Aber die machen es ja nicht besser, denn die Lage ist, wie sie ist. Und Warn­streiks machen eine Einigung nicht leichter. Es hilft doch überhaupt nichts, die Erwar­tungs­hal­tung weiter anzu­heizen. Am Ende gilt wie immer: Durch ist das Ding erst, wenn die Tinte unter einem neuen Tarif­ver­trag trocken ist.