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„Ich würde heute nicht noch mal einen Metallbetrieb gründen“

Standort Deut­sch­land in der Krise

Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf sorgt sich im Handelsblatt wegen der Schwäche des Standorts Deutschland. Die Bundesregierung verzettele sich derweil in ideologischen Grabenkämpfen oder versuche, China Vorschriften zu machen.

Herr Wolf, ange­nommen, Sie wären noch einmal jung und wollten einen Metall­be­trieb gründen: Würden Sie es in Deut­sch­land tun?

Zu den jetzigen Rahmen­be­din­gungen sage ich: ein klares Nein. Man sieht ja auch, dass die Zahl der Grün­dungen deutlich zurück­geht. In anderen Ländern habe ich in der Regel geringere Personal- und Ener­gie­kosten, weniger Büro­kratie, schnel­lere Geneh­mi­gungs­ver­fahren. Und wenn Sie hier ein Unter­nehmen gründen, soll das ja auch wachsen. Das wird schwierig bei dem Fach­kräf­temangel. Und wenn junge Leute aus dem Ausland sehen, was wir hier für Steu­er­sätze haben, gehen sie lieber woanders hin.

Sehen Sie denn noch Faktoren, die für den Standort Deut­sch­land sprechen?

Wir haben immer noch viele gut ausge­bil­dete und auch moti­vierte Beschäf­tigte und auch sehr viele gute Inge­ni­eure in Deut­sch­land, das muss man klar sagen. Und wir sind technisch auf einem sehr guten Niveau, besser als in vielen anderen Ländern. Aber im Moment über­wiegen die negativen Aspekte.

„Die Klage ist des Kaufmanns Gruß“ sagt ein Sprich­wort. Jammert die Wirt­schaft nicht auf einem hohen Niveau?

Der Grad an Freiheit ist bei uns mitt­ler­weile zu stark einge­schränkt, das gilt für die Gesell­schaft im Allge­meinen und für die Unter­nehmen im Beson­deren. Manche meinen, den Menschen ihre Ideologie aufzwingen zu müssen, so als wüssten sie allein, wie man zu leben hat.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen Sie zum Beispiel das Liefer­ket­ten­ge­setz. Ich bin gegen Kinder­a­r­beit und gegen Menschen­rechts­ver­let­zungen. Aber das deutsche Liefer­ket­ten­ge­setz wird daran nichts ändern. Es führt eher dazu, dass Unter­nehmen sich beispiels­weise von Liefe­ranten aus Pakistan trennen und die Menschen dort ihren Arbeits­platz verlieren. Das ist kontra­pro­duktiv.

Wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck von den Grünen hat vorge­schlagen, beim Liefer­ket­ten­ge­setz ein paar Berichts­pflichten zu streichen …

Das ist dann Augen­wi­scherei, solange die Bundes­re­gie­rung nicht auf euro­pä­i­scher Ebene die geplante noch strengere Liefer­ket­ten­richt­linie verhin­dert.

Da dürfte es Habeck in seiner Partei, der ja gerade die Menschen­rechte besonders wichtig sind, schwer haben.

Da muss er über seinen Schatten springen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Welt als Ganzes sehen müssen, dass wir inter­na­ti­o­nale Verflech­tungen haben und auf Liefer­ketten ange­wiesen sind. Und dann kommt Außen­mi­nis­terin Annalena Baerbock und meint, den Chinesen vorschreiben zu können, was sie zu tun und zu lassen haben. Das ist total naiv.

Sie prügeln stark auf die Ampel-Koalition ein. Wäre nicht auch ein wenig unter­neh­me­ri­sche Selbst­kritik ange­bracht?

Ich kriti­siere aber nicht nur die Ampel, die viele Probleme geerbt hat. Dass wir so schlecht bei der Digi­ta­li­sie­rung dastehen, haben wir auch schon den Vorgän­ger­re­gie­rungen zu verdanken. Wir haben uns zu sehr auf billiges Gas aus Russland verlassen und über unsere Sicher­heit haben wir uns auch nie Gedanken gemacht, dafür waren ja die Ameri­kaner da.

Jetzt sind sie wieder bei der Politik. Was ist mit den Unter­nehmen?

Wir hätten wahr­schein­lich manche Dinge klarer anspre­chen müssen, auf die wir uns einfach verlassen haben – etwa die starke Ener­gie­ab­hän­gig­keit von Russland. Es gab schon eine gewisse Selbst­zu­frie­den­heit, die aber mensch­lich ist.

Jetzt haben wir den Schla­massel, dass russi­sches Gas ausfällt und Energie sehr teuer ist. Die Indus­trie­ge­werk­schaften, die SPD-Fraktion, die Bundes­länder sind für einen Indus­tri­e­strom­preis, nur der Kanzler und der Finanz­mi­nister sträuben sich. Was sagen Sie dazu?

Wir brauchen auf jeden Fall einen Brücken­strom­preis, das ist keine Frage. Aber wir müssen für alle etwas tun, nicht nur für die Groß­in­dus­trie, sondern auch für den Bäcker, den Metzger oder den kleinen metall­ver­a­r­bei­tenden Betrieb auf der Schwä­bi­schen Alb oder in Bayern. Der Brücken­strom­preis ließe sich kombi­nieren mit einer Absenkung der Strom­steuer bis auf das Mindestmaß der EU – oder einer gänz­li­chen Abschaf­fung. Man muss nur schauen, dass das mit dem euro­pä­i­schen Beihil­fe­recht vereinbar ist, sonst droht die Gefahr, dass die Unter­nehmen die Subven­tion in ein paar Jahren zurück­zahlen müssen.

Verdi-Chef Frank Wernecke warnt vor enormer sozialer Spreng­kraft, wenn die ener­gi­e­in­ten­sive Industrie fünf oder sechs Cent pro Kilo­watt­stunde Strom zahlt und Gering­ver­diener 35 Cent …

Das sehe ich genauso. Deshalb müssen wir die Strom­steuer, Umlagen und Entgelte senken oder abschaffen, damit auch etwas beim Verbrau­cher ankommt. Wir müssen den Menschen aber auch klar­ma­chen, dass sie auch etwas davon haben, wenn die ener­gi­e­in­ten­sive Industrie mit ihren gut bezahlten Arbeits­plätzen hier­zu­lande erhalten bleibt.

Glauben Sie an eine erfolg­reiche Trans­for­ma­tion der Industrie hin zur Klima­neu­tra­lität im ange­peilten Zeit­rahmen?

Ich glaube, dass wir das hinbe­kommen, wir haben den Struk­tur­wandel und Krisen schon immer gemeis­tert. Ich finde aber, dass wir den Zeitdruck raus­nehmen müssen. Ich glaube nicht, dass diese Trans­for­ma­tion in der jetzt vorge­se­henen Zeit machbar und möglich ist. Wir müssen Tech­no­lo­gien entwi­ckeln, die auch großen Emit­tenten wie Indien, China oder den USA helfen, Treib­h­aus­ga­s­e­mis­si­onen zu senken. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Wenn jedes zweite Auto in Indien irgend­wann mit Brenn­stoff­zelle und grünem Wasser­stoff fährt, ist mehr gewonnen, als wenn wir in Deut­sch­land krampf­haft noch ein paar Zehn­tel­pro­zent­punkte Emis­si­onen einsparen.

Deut­sch­land ist aber doch inter­na­ti­o­nale Verpflich­tungen zum Klima­schutz einge­gangen …

Es ist manchmal so im Leben, dass man irgend­wann heraus­findet, zu ambi­tio­niert gewesen zu sein. Auch das Wirt­schafts­leben ist nie statisch, sondern dynamisch. Es gab mal den Plan einer Bundes­re­gie­rung, dass im Jahr 2020 eine Million Elek­tro­fahr­zeuge auf Deut­sch­lands Straßen fahren sollen. Auch das war auch deutlich zu ambi­tio­niert.

Was folgt für Sie draus?

Die Politik darf nicht versuchen, unre­a­lis­ti­sche Ziele mit Verboten und Einschrän­kungen herbei­zu­zwingen, weil sie den Unter­nehmen dann die Luft zum Atmen nimmt. Die Auto­her­steller beispiels­weise brauchen im Augen­blick noch die Erträge aus der Verbren­ner­tech­no­logie, um in klimaf­reund­liche Antriebe inves­tieren zu können. Aus meiner Sicht ist es besser, Klima­ziele um zwei oder drei Jahre zu strecken, statt mit einer Verbots­po­litik unseren Wohlstand aufs Spiel zu setzen.

Gilt Ludwig Erhards Wohlstand-für-alle-Verspre­chen denn überhaupt noch?

Wenn wir wieder zurück­kommen zu einer wirk­li­chen Sozialen Markt­wirt­schaft, dann ja. Aber mit den ganzen Verboten, Regu­lie­rungen und der Büro­kratie steuern wir momentan eher in Richtung Plan­wirt­schaft. Und beim Sozialen leisten wir uns mehr, als über die Markt­wirt­schaft erwirt­schaftet werden kann.

Die AfD kommt in Ostdeut­sch­land auf Umfra­ge­werte von mehr als 30 Prozent. Ist da sozialer Ausgleich nicht mindes­tens ebenso wichtig wie die unter­neh­me­ri­sche Freiheit?

Ich finde die Umfra­ge­werte erschre­ckend. Als Oppo­si­tion kann die Partei immer viel fordern und schreien, aber wenn sie mal in poli­ti­sche Verant­wor­tung käme und etwas umsetzen müsste, würde sie sehr schnell entzau­bert.

Sie plädieren dafür, die AfD einfach mal regieren zu lassen?

Nein.

Spiegelt sich in den Umfra­ge­er­geb­nissen nicht vor allem Unzu­frie­den­heit mit der Ampel-Koalition?

Viele Menschen sind einfach unzu­frieden damit, wie die Ampel-Koalition dieses Land regiert. Wir haben einen Kanzler, der sanft und ruhig und leise führt, anstatt sich vorne hinzu­stellen und zu sagen: Da wollen wir hin und so machen wir es gemeinsam. Statt­dessen erleben wir ideo­lo­gi­sche Kämpfe der drei Regie­rungs­par­teien, bei denen am Ende immer nur ein fauler Kompro­miss heraus­kommt.

Noch einmal zurück zur Markt­wirt­schaft. Weil Arbeits­kraft knapp ist, steigt ihr Wert. Viele Beschäf­tigte können sich heute erlauben zu sagen, sie wollen mehr Flexi­bi­lität bei der Arbeits­zeit – Stichwort Vier-Tage-Woche …

Größere Flexi­bi­lität bei der Arbeits­zeit, da bin ich sofort dabei. Und die haben wir in vielen Unter­nehmen auch bereits. Und ich würde mir wünschen, dass die Politik das total anti­quierte Arbeits­zeit­ge­setz endlich so anpasst, dass da noch mehr möglich wird. Was wir aber strikt ablehnen, ist eine Arbeits­zeit­re­du­zie­rung bei vollem Lohn­aus­gleich. Das wird nicht funk­tio­nieren, weil dadurch die Perso­nal­kosten noch einmal deutlich in die Höhe getrieben würden. Und die sind heute ja schon extrem hoch in Deut­sch­land, womit wir wieder beim Standort wären.

Was ist das größere Risiko für den Standort Deut­sch­land: China, oder dass Donald Trump erneut zum US-Präsi­denten gewählt wird?

Die USA sind ja schon unter Joe Biden zu einem extrem attrak­tiven Standort geworden. Der Inflation Reduction Act war ein genialer Schachzug und der EU fällt darauf leider keine Antwort ein. Also werden viele Inves­ti­ti­onen in die USA gezogen.

Und China?

Aktuell merken vor allem die Fahr­zeug­her­steller und Zulie­ferer, wie selbst­be­wusst die Chinesen geworden sind. Sollten wir den chine­si­schen Markt verlieren oder mit Baerbock-Äuße­rungen leicht­fertig aufs Spiel setzen, wäre das sehr gefähr­lich. Denn viele hiesige Unter­nehmen gene­rieren nach wie vor hohe Erträge in China und subven­tio­nieren damit zum Teil Standorte in Deut­sch­land und anderen euro­pä­i­schen Ländern. Auch viele deutsche Arbeits­plätze hängen an Geschäften in China.

Erschienen am 21. September 2023.