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„Ideologie anstatt Anpacken“

Verlust der Wett­be­werbs­fä­hig­keit

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über den Abstieg der deutschen Wirtschaft und was die Ampel jetzt machen sollte:

Herr Wolf, gibt es die stolze deutsche Industrie noch?

Es gibt sie noch, aber sie schwä­chelt und ich kann dem Zitat von Friedrich Merz, das Sie gerade einge­spielt haben, nur zustimmen. Es ist eine ganz, ganz schwie­rige Lage in Deut­sch­land. Wir werden in die Rezession rutschen im zweiten Halbjahr. Deut­sch­land ist nicht mehr wett­be­werbs­fähig. Wir sind in der Tat wieder der kranke Mann Europas.

Aber ist es nur das Land, die Politik oder ist es nicht auch die Industrie selber, die Konzerne? Wo ist das Selbst­be­wusst­sein? Man hört so viel Wehklagen.

Es sind die Rahmen­be­din­gungen. Rahmen­be­din­gungen müssen stimmen, damit Industrie erfolg­reich ist. Dazu gehören natürlich bezahl­bare Ener­gie­preise. Wir sind hier an der absoluten Spitze mit 20 Cent pro Kilo­watt­stunde. Kein Land dieser Welt hat höhere Ener­gie­preise als Deut­sch­land. Wir haben Büro­kratie ohne Ende. Wir haben hohe Steuern. Wir haben hohe Abgaben. Wir haben viel verschlafen bei der Digi­ta­li­sie­rung. Wir haben Probleme bei der Bildung. 50.000 junge Menschen gehen ohne Abschluss jedes Jahr von den Schulen. Die Rahmen­be­din­gungen sind schwierig. Und nur, wenn gute Rahmen­be­din­gungen da sind, dann kann Industrie erfolg­reich sein.

Also, es sind nur die Rahmen­be­din­gungen? Die Industrie selber hat nichts falsch gemacht?

Also, ich denke nicht. Wir sind schon gut. Wir haben auch gute Tech­no­lo­gien. Wenn Sie alleine auch mal schauen, das Thema Elek­tro­mo­bi­lität. Wir haben hier gute Lösungen anzu­bieten. Wir haben auch im Bereich Maschi­nenbau uns gut entwi­ckelt. Die tech­ni­schen Lösungen sind da. Nur, es muss natürlich dann auch in einem Land inves­tiert werden. Und in einem Land wird nur dann inves­tiert, wenn die Rahmen­be­din­gungen stimmen. Und wenn diese Produkte, die wir haben in der Industrie, wenn die eben nicht in Deut­sch­land gebaut werden, sondern im Ausland gebaut werden, weil dort die Rahmen­be­din­gungen gut sind und die Inves­ti­ti­onen ins Ausland fließen, dann haben wir eben für den Wirt­schafts­s­tandort Deut­sch­land nichts getan. Und dafür ist die Politik zuständig.

Ich will gleich auch mit Ihnen auf die Lösungs­an­sätze, auf die Politik kommen, aber noch mal irgendwie fragen, weil ich viel­leicht irgendwie auch den Eindruck habe, dass es viel­leicht auch eine Art kultu­relles Problem ist. Man hat ja irgendwie den Eindruck, in Amerika, da wollen diese Tech-Milli­ar­däre das Weltall erobern, die Nr. 1 werden, fast egal wie. Und in Deut­sch­land geht es eher klein­teilig darum, den Besitz­stand zu vertei­digen.

Ja, viel­leicht sind wir manchmal ein bisschen zu zurück­hal­tend und zu bescheiden. Die Ameri­kaner sind da viel, sage ich mal, selbst­be­wusster und gehen oft auch an den Markt mit Themen, die sie noch gar nicht so beherr­schen. Also, wir sind, im Ansatz sind wir schon gut. Unsere Tech­no­lo­gien sind gut. Aber wie gesagt, die Rahmen­be­din­gungen sind einfach schlecht. Und, wenn nicht inves­tiert wird in einem Land, dann können wir auch kein Wachstum gene­rieren. Und USA macht das im Moment natürlich ganz gut. Also, der …

Inflation Reduction Act von Präsident Biden.

Inflation Reduction Act, genau, von Präsident Biden zieht natürlich Inves­ti­ti­onen ins Land. Und auch da hat bislang Europa und auch Deut­sch­land keine Antwort drauf.

Es gibt eine Antwort. Die Zeitungen sind heute voll. Hohe Subven­ti­onen für Schlüs­sel­in­dus­trien, die Chip-Industrie beispiels­weise. Ist das der neue Weg der deutschen Bundes­re­gie­rung?

Ja, das ist ein Weg, den die Bundes­re­gie­rung einschlägt, den ich aber ehrlich gesagt für falsch halte. Denn Subven­ti­onen helfen nie lang­fristig, einen Wirt­schafts­s­tandort zu stärken, sondern das muss aus der Industrie selbst heraus­kommen. Das heißt, die Inves­ti­ti­onen müssen aus der Industrie kommen. Dazu muss man entspre­chende Erträge erwirt­schaften, dass man inves­tieren kann. Dazu gehören nied­ri­gere Steuern, nied­ri­gere Unter­neh­mens­steuern. Dazu gehört weniger Büro­kratie. Dazu gehören natürlich auch günstige Ener­gie­preise. Wenn das alles stimmt, dann verdient die Industrie gut und dann wird auch an so einem Standort inves­tiert. Und natürlich, was dazu­ge­hört, ist Verfüg­bar­keit von Arbeits­kräften. Und da haben wir in Deut­sch­land ja auch ein großes Problem.

Das ist der Fach­kräf­temangel, wenn ich den ersten Teil Ihrer Antwort gerade nehme. Es zeichnen sich ja in der Bundes­re­gie­rung da zwei verschie­dene Wege ab, so nenne ich es mal. Es gibt auf der einen Seite Bundes­fi­nanz­mi­nister Christian Lindner, FDP, mit diesem Wachs­tums­chan­cen­ge­setz, das haben Sie auch ange­spro­chen, weniger Büro­kratie, Steuern runter. Und auf der anderen Seite gibt es den Wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck mit seinem Indus­tri­e­strom­preis, also eine Subven­tio­nie­rung des Strom­preises. Wenn Sie wählen könnten, was ist der richtige Weg?

Na, auf jeden Fall der von Christian Lindner. Und das ist genau das, was ich ja sage, dass wir aus der Industrie heraus Wachstum gene­rieren müssen und auch Inves­ti­ti­onen gene­rieren müssen. Und das funk­tio­niert eben dann, wenn die Industrie gut verdient, wenn sie gut floriert, wenn sie ihre Produkte gut verkaufen kann weltweit. Subven­ti­onen haben noch nie geholfen, lang­fristig. Die mögen viel­leicht kurz­fristig eine Problem­stel­lung über­de­cken und eine Problem­stel­lung kurz­fristig viel­leicht beheben, aber sie können niemals in dem Maße Subven­ti­onen verteilen, dass sie einen gesamten Wirt­schafts­s­tandort wieder wett­be­werbs­fähig machen.

Warum klammert sich Robert Habeck dann so an diesen Indus­tri­e­strom­preis?

Ich glaube, er hat zu sehr den Klima­schutz im Sinn und möchte ja gerne auch Indus­trien fördern, die eben letzt­end­lich zum Klima­schutz beitragen. Klima­schutz ist wichtig, ist auch uns, den Arbeit­ge­ber­ver­bänden, wichtig. Aber Klima­schutz ist ein globales Thema und ist kein deutsches Thema. Wir haben zwei Prozent des welt­weiten CO2-Ausstoßes. Wenn wir in Ländern wie USA hingehen oder China Produkte anbieten, die dem Klima­schutz helfen, dann hilft das unserer Wirt­schaft, denn wir verkaufen unsere guten Produkte, und wir tun was in den Ländern. Also, er ist aus meiner Sicht einfach viel zu engstirnig und sieht nicht das große Ganze. Das große Ganze heißt, den Wirt­schafts­s­tandort Deut­sch­land wieder fitmachen, so, wie er einmal war.

Gehört da auch der Atomausstieg dazu?

Absolut. Halte ich für falsch. Halte ich für absolut falsch. Das ist eben günstige Energie. Und wir in Deut­sch­land, wir sind total abhängig von auslän­di­scher Energie. Und ich stelle mir die Frage, das ist aus meiner Sicht reine Ideologie. Wenn wir in Deut­sch­land keine Atom­kraft­werke betreiben, aber in anderen Ländern Atomstrom zukaufen, ist das aus meiner Sicht ein völlig falscher Weg.

Halten Sie das, so, wie Sie es verstehen, noch für korri­gierbar?

Es ist sicher­lich korri­gierbar, natürlich. Aber da muss der poli­ti­sche Wille da sein. Da muss man ideo­lo­gi­sche Themen über Bord werfen. Es gibt viele Länder, wie zum Beispiel Schweden, die bauen kleine, moderne Atom­kraft­werke, die billige Energie liefern. Das wäre in Deut­sch­land natürlich auch möglich, solche Inves­ti­ti­onen zu tätigen. Also, die alten jetzt wieder anzu­schalten, das halte ich für falsch. Aber ein neuer poli­ti­scher Weg, wo wir sagen, wie andere Länder auch, wir inves­tieren in moderne, heute ja auch sichere und ganz andere Atom­energie als dieje­nigen, die bei uns vor 30, 40 Jahren gebaut wurden, das würde ich für den richtigen Weg halten, weil wir uns dadurch in der Ener­gie­po­litik auch unab­hängig machen.

Sie setzen also in der Politik, in der Bundes­re­gie­rung auf Christian Lindner, auf die FDP? Das habe ich, glaube ich, richtig verstanden?

Ja, absolut.

Haben Sie denn nicht große Sorgen, dass sich die Ampel­ko­a­li­tion, so, wie auch bei anderen Vorhaben in der Vergan­gen­heit dann wieder zerstreitet und am Ende, wie beim Heizungs­ge­setz, bisher zumindest nichts rauskommt?

Da habe ich sehr, sehr große Sorgen, weil es einfach so eine Zerris­sen­heit ist in dieser Bundes­re­gie­rung und man oft auch nicht mal zu dem kleinsten gemein­samen Nenner kommt, zu irgend­wel­chen Kompro­missen kommt, die sowieso immer schlecht sind. Es fehlt hier aus meiner Sicht der einheit­liche Wille von allen drei Koali­ti­ons­part­nern, was zu tun und Deut­sch­land wieder wett­be­werbs­fähig zu machen in vielen Bereichen. Dazu gehört natürlich auch Digi­ta­li­sie­rung. Dazu gehört natürlich auch ein vernünf­tiges Mobil­fun­knetz, was wir nicht haben. Diese ganzen Dinge, die werden einfach nicht angepackt, weil hier zu sehr ideo­lo­gi­sche Themen im Vorder­grund stehen.

Sagt heute Morgen hier live im Deut­sch­land­funk Stefan Wolf, der Präsident des Gesamt­ver­bandes der Arbeit­ge­ber­ver­bände der Metall- und Elektro-Industrie. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Sehr gerne, vielen Dank.

Gesendet am 9. August 2023.