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„Je länger die Laufzeit ist, desto mehr Spielraum gibt es.“

Tarif­runde in der M+E-Industrie

Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf in der SZ über das Angebot der Metallarbeitgeber in der Tarifrunde, die Energiekrise und warum Unternehmer zu Unrecht oft als Monster ohne Gefühle dargestellt werden:

Während sich die Chemi­eb­ranche vor dem Krisen-Winter zügig auf höhere Löhne geeinigt hat, steht Ihre Tarif­runde seit vielen Wochen still. Warum haben Sie der IG Metall nicht längst ein Angebot gemacht?

Unsere Bera­tungen dauern einfach. Die Zeiten sind sehr, sehr unsicher. Laufen wir in einen Gasmangel? Gibt es einen Gaspreis­de­ckel, der wirklich hilft? Außerdem ist die Lage der Firmen sehr unter­schied­lich. In der Elek­tro­in­dus­trie sieht es noch passabel aus, aber bei den Auto­zu­lie­fe­rern – so wie bei meiner Firma – ist es schwierig. Nicht nur Energie verteuert sich, auch Stahl oder Aluminium. Kunst­stoff­gra­nulat, was meine Firma viel vera­r­beitet, ist sechs Mal so teuer. Wir sehen erste Pleiten und erwarten weitere. Aber trotz dieser Schwie­rig­keiten haben wir ja nun ein Angebot gemacht.

Wird das Angebot der hohen Inflation gerecht?

Infla­ti­ons­be­kämp­fung ist Sache der Noten­banken. Davon abgesehen: Im nächsten Jahr gibt es eine Rezession. Die Infla­ti­ons­aus­gleich­s­prämie hilft den Beschäf­tigten aber unmit­telbar. Und wenn die aktuellen Krisen bewältigt sind, kann es wieder Wachstum geben. Dann ist auch eine Tabel­len­er­hö­hung möglich.

Muss sich die IG Metall von diesem Angebot nicht provo­ziert fühlen?

Ich wüsste nicht, warum. Die Einma­l­zah­lung ist für alle ein satter Betrag, und für die unteren Lohn­gruppen wirkt sie besonders stark. Das hat eine sehr starke soziale Kompo­nente. Und wir sind ja bereit, einen Vorschuss auf bessere Zeiten zu zahlen. Natürlich mit einer Regelung für den Fall, dass es doch nicht besser wird.

Sie winken mit einer Tabel­len­er­hö­hung, wollen diese aber nicht beziffern?

Je länger die Laufzeit ist, desto mehr Spielraum gibt es bei den weiteren Verhand­lungen. Wir haben nun deutlich gemacht, in welchem Rahmen wir uns eine Lösung vorstellen können – und nun ist es an der IG Metall, diesen Rahmen in den weiteren Verhand­lungen mit uns auszu­füllen.

Da sind Sie noch weit von der Chemie entfernt, wo die Arbeit­geber für knapp zwei Jahre 6,5 Prozent mehr Lohn und 3.000 Euro zahlen. Wäre das nicht ein gutes Vorbild für Sie?

Wir brauchen keine Vorbilder. Wir werden eine Einigung finden, die der schwie­rigen Lage unserer Firmen gerecht wird und den Mita­r­bei­tern hilft. Dabei brauchen wir klare Regeln, nach welchen Firmen, in denen es schlecht läuft, vom Tarif­ver­trag abweichen können.

Den Mita­r­bei­tern hilft? Warn­streiks in den Betrieben sind so gut wie sicher, weil Sie seit Juni nicht auf die Forderung der IG Metall nach acht Prozent mehr Lohn reagiert haben?

Die Verhand­lungen haben erst im September begonnen, und wir müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das uns die IG Metall hinhält.

Die Sozi­al­part­ner­schaft zwischen Arbeit­ge­bern und Gewerk­schaften gilt als hohes Gut in der Bundes­re­pu­blik. Jetzt in der Krise scheint sie in der Metall­branche schlecht zu funk­tio­nieren – Sie gehen öffent­lich aufein­ander los. Was läuft da schief?

Wir stehen zu 100 Prozent zur Sozi­al­part­ner­schaft, sie wird auch in Zukunft funk­tio­nieren. Es läuft auch nix schief. Es ist nur dieses Mal schwie­riger. Wenn ich einkaufen gehe, zahle ich gefühlt das Doppelte wie vor einein­halb Jahren. Wäre ich IG-Metall-Mitglied, würde ich auch sagen: Bei so einer Inflation müsst ihr was rausholen, warum zahle ich sonst den Gewerk­schafts­bei­trag? Aber genauso müssen wir für unsere Mitglieds­firmen einstehen. Wir Unter­nehmer werden oft als Monster ohne Gefühle darge­stellt, aber jeder von uns kümmert sich um seine Beleg­schaften. Und natürlich gibt es auch bei den Unter­neh­mern Ängste und Unsi­cher­heiten.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Wir wissen einfach nicht, was passiert. Wenn Herr Putin nochmal stärker zuschlägt, wäre das vor allem für die Menschen in der Ukraine furchtbar. Aber es wäre auch ein hohes Risiko für die M+E-Industrie, wir arbeiten dort mit 2.000 Firmen zusammen. Oder wenn China in Taiwan einmar­schieren würde, von wo die Hälfte aller Halb­leiter weltweit kommen. Das wäre drama­tisch, es gibt ja jetzt schon Liefe­r­eng­pässe. So eine Lage wie jetzt habe ich in 25 Jahren bei der Firma noch nicht erlebt.

Die Gewerk­schafter ärgern sich, dass Sie eine Nullrunde gefordert und den Beschäf­tigten empfohlen haben, im Winter dicke Pullover anzu­ziehen. Warum gießen Sie unnötig Öl ins Feuer?

Ich habe immer gesagt, eine Nullrunde brauchen wir, wenn es eine drama­ti­sche Verschär­fung der Situation gibt, etwa wenn uns das Gas ausgeht. Auch die IG Metall sieht, dass man dann handeln müsste. Die Aussage war nie: ‚Wir brauchen sowieso eine Nullrunde.‘ Und das mit dem zweiten Pullover, okay, das war viel­leicht ein bisschen flapsig. Wir müssen halt Energie sparen. Ich zieh’ dann auch im Büro zwei Pullover an.

Es wird kriti­siert, dass Sie bei den Löhnen auf die Bremse treten, aber jahrelang eine Haus­häl­terin beschäf­tigt haben sollen, ohne Steuern und Abgaben zu bezahlen. Was sagen Sie dazu?

Ich sage zu privaten Themen in der Öffent­lich­keit nichts. Es ist schade, wenn jemand nach einer Beziehung solche Vorwürfe erhebt.

China und die USA haben keine Ener­gie­krise. Verliert die deutsche Industrie nun den Wett­be­werb mit diesen Ländern?

Ich hoffe nicht, aber ich habe Befürch­tungen. Die deutsche Industrie fällt durch die teure Energie inter­na­ti­onal zurück. Die einzige Lösung ist ein vernünf­tiger Gas- und Strom­preis­de­ckel. Was bisher auf dem Tisch liegt, reicht nicht. Die Firmen sind Verträge einge­gangen, in denen sie mit Ener­gie­preisen kalku­lieren, die sich dann teils verzehn­facht haben. Das können Sie nicht an den Kunden weiter­geben. Die Regierung sollte den Strom­preis für die Firmen halbieren. Und es braucht mehr Angebot an Strom und Gas, dann sinken die Preise. Das lernt man im ersten Semester BWL…

…aber Sie haben doch Jura studiert?

Als CEO von Elring­Klinger hab‘ ich mir schon ein gewisses Wissen erworben. Gehört zur Stel­len­be­schrei­bung.

Die Firmen fürchten, dass im Winter das Gas ausgeht. Warum haben sie sich so naiv von Russland abhängig gemacht?

Es war nicht naiv, aber viel­leicht nicht zu Ende gedacht. Wir haben nicht einkal­ku­liert, dass Putin das Sowjet­reich wieder­her­stellen will. Die russische Seele ist empfind­lich, der Zerfall der Sowje­t­u­nion schmerzte viele. Auch wir Unter­nehmer müssen daraus lernen. Die Betriebe müssen geopo­li­ti­sche Risiken mehr einbe­ziehen. Wir sind vor allem in Länder gegangen, in denen wir günstiger produ­zieren konnten.

Bietet die Krise nicht die Chance, schneller auf erneu­er­bare Energien und Sparen umzu­steigen und führend in Umwelt­tech­no­lo­gien zu werden, die der Weltmarkt wegen des Klima­schutzes bald haben will?

Ja! Und wir sind auch nicht schlecht bei erneu­er­baren Energien und Umwelt­technik. Aber es gibt in Deut­sch­land insgesamt zu viel Büro­kratie. Es dauert ab dem Antrag acht Jahre, bis eine Wind­kraft­an­lage gebaut wird. Kein Wunder, dass deren Anzahl rück­läufig ist. Neulich war ich in einem Hotel im Schwa­rz­wald, das gegenüber einen schönen Hang hat. Ich sagte, da könnten viele Windräder stehen. Der Hotelier antwor­tete: Nur über meine Leiche. Aber wir können nicht gleich­zeitig ökolo­gi­scher werden und Windkraft verdammen. Irgend­einen Tod müssen wir sterben. Ich wohne auch an einem schönen Hang, wenn da mal 20 Windräder stehen, dann ist es eben so.

Deut­sch­land ist auf dem Weg in eine Rezession. Was fordern Sie von der Politik?

Die Firmen sollten steu­er­lich entlastet werden. Und ich sag nochmal: Insgesamt weniger Büro­kratie! Als die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung kam, musste ich alleine dafür zwei Leute einstellen. Politiker brüsten sich ja gerne damit, Arbeits­plätze zu schaffen – aber so war das hoffent­lich nie gemeint.

Das Gespräch führten Alexander Hagelüken und Benedikt Peters, SZ.