Der Leistungsgedanke, der ihn geprägt habe, unterscheide sich stark von dem jüngerer Generationen, sagt Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Interview mit t-online.
Herr Wolf, wann waren Sie das letzte Mal so richtig stolz darauf, etwas geschafft zu haben?
Stefan Wolf: Ich bin auf vieles in meinem Leben stolz. Besonders glücklich gemacht hat mich aber, ElringKlinger gut durch die Corona-Pandemie gebracht zu haben. Das war eine extrem schwierige Zeit und erfüllt mich schon mit Stolz.
Wie genau hat sich das für Sie angefühlt?
Ein großer Erfolg beflügelt mich und ich möchte diesen Erfolg mit allen beteiligten Menschen teilen, ihn groß feiern. Das ist auch ganz wichtig: Wenn wir Erfolge richtig feiern, spüren wir, dass sich Leistung lohnt. Egal ob im Sport, in der Schule oder bei der Arbeit.
Haben wir Deutsche das Erfolge-Feiern verlernt?
Ja. Wir feiern uns zu wenig für unsere Leistung. Auch unseren Kindern bringen wir es kaum mehr bei. Wie soll sich ein Schüler über eine gute Leistung freuen, wenn es keine Noten mehr gibt? Wie sollen Jugendspieler im Fußball einen Sieg feiern, wenn das Tore-Zählen abgeschafft wird? Ich bin überzeugt: Der Leistungsgedanke ist im Menschen angelegt, wir müssen ihn nur wieder wecken und fördern.
Mit welchem Leistungsbegriff sind Sie aufgewachsen?
Mir haben meine Eltern und Lehrer immer gesagt: Wenn Du was erreichen willst im Leben, dann musst Du Leistung bringen. Und diese Leistung hast Du selbst in der Hand. Das habe ich immer beherzigt, auch in Dingen, die mir nicht so gut lagen.
Zum Beispiel?
Ich war nie der größte Leichtathlet. Trotzdem habe ich mich im Sportunterricht immer angestrengt, auch bei den Bundesjugendspielen, über die dieses Jahr ja viel diskutiert wurde. Ich habe auch nie eine Siegerurkunde bekommen. Aber ich habe es im nächsten Jahr immer versucht, es war immer mein Ansporn.
Hat sich dieses Verständnis von Leistung bei Ihnen im Laufe des Lebens verändert?
Nein, nicht wirklich. Nach meiner Banklehre habe ich ein Jurastudium aufgenommen. Und das war davon geprägt, dass ich unbedingt ein Prädikatsexamen machen wollte, um in einer großen Anwaltskanzlei arbeiten zu können. Dafür habe ich mich sehr angestrengt und das ist mir dann im Gegensatz zur Siegerurkunde auch gelungen, auch darauf bin ich bis heute sehr stolz.
Deutschland macht 2023 nicht gerade den Eindruck ein Land von Leistungsträgern zu sein: Die Wirtschaft schwächelt, trotzdem wollen Umfragen zufolge immer mehr Menschen in Frührente gehen, Gewerkschaften fordern die Vier-Tage-Woche und beim Pisa-Test schneiden unsere Schüler schlechter ab denn je. Kann Deutschland noch Leistung?
Ich will und kann nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt durchaus auch heute noch viele junge Menschen, die anpacken, die etwas für sich erreichen wollen. Aber ich finde, dass der Leistungsgedanke weniger verbreitet ist als in meiner Generation. Sehr viele Jüngere setzen in ihrem Leben andere Schwerpunkte. Die leben in einer Freizeitgesellschaft, in der Arbeit etwas Schlechtes ist. Das ist nicht in Ordnung, finde ich.
Warum?
Weil viele dieser jüngeren Menschen nur deshalb so gut leben können, weil ihre Eltern und Großeltern viel Leistung erbracht haben. Viele leben in extrem großem Wohlstand und sind sich gar nicht bewusst, dass der nur durch harte Arbeit entstanden ist.
Sie haben selbst eine Tochter. Sehen Sie das bei ihr auch?
Ja, durchaus. Unsere Tochter ist jetzt 25 Jahre alt. Die erbringt schon ihre Leistung, aber ist natürlich trotzdem mit einem komplett anderen Leistungsverständnis aufgewachsen als ich.
Das heißt, auch Ihnen ist es nicht immer geglückt, den Leistungsbegriff, den Sie gerade einfordern, besser zu prägen.
Sagen wir es mal so: Ich blicke heute schon anders auf manche Entscheidung in der Vergangenheit, auch in der Kindererziehung. Vielleicht hätte ich meiner Tochter die eine oder andere Aufgabe lieber selbst überlassen sollen, statt sie ihr abzunehmen.
Führt diese Entwicklung gesamtgesellschaftlich zu dem, was der frühere Außenminister Guido Westerwelle einst als „spätrömischen Dekadenz“ bezeichnete?
Wohlstand macht nachlässig. Wer viel hat, womöglich zu viel, ist weniger fokussiert, auch auf das, was nötig ist, um diesen Wohlstand zu erhalten. Unser sehr üppiger Wohlstand ist für viele zur Selbstverständlichkeit geworden. Er ist einfach da. Wir leben gut, wir fliegen dreimal im Jahr in den Urlaub, und wir halten all das für ganz normal. Ich glaube Guido Westerwelle meinte, in der Vergangenheit sind zahlreiche hochentwickelte Zivilisationen daran zugrunde gegangen, dass sie über ihren Reichtum vergessen haben, diesen Wohlstand zu erhalten, durch eigene Anstrengung, durch Leistung.
Droht uns das auch?
Es hängt absolut von uns ab. Es ist also vermeidbar.
Und wie gelingt uns das?
Erstens: Wir brauchen in Deutschland wieder mehr Mut und zweitens einen größeren Willen Entscheidungen zu treffen. In vielen Unternehmen, noch öfter aber in den Behörden arbeiten Menschen, die nur ungern Dinge entscheiden, obwohl sie es müssten. Die Sachen lieber liegen lassen, aus Angst etwas falsch zu machen. Das lähmt unser Land, da verlieren wir Tempo. Deshalb brauchen wir drittens auch eine bessere Fehlerkultur, die zulässt, dass man auch mal daneben liegen kann. Die Politik hat da übrigens eine ganz wichtige Vorbildfunktion.
Wie könnte die Politik darüber hinaus Leistung wieder sexy machen?
Ich könnte mir da zum Beispiel monetäre Anreize vorstellen, die die Politik ermöglichen müsste. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat beispielsweise vorgeschlagen, dass der Lohn für Stunden, die mehr gearbeitet werden als die Regel, steuerfrei sein sollte. Das finde ich eine gute Idee. Wir brauchen Modelle, in denen sich Leistung auszahlt.
Die Gewerkschaften wollen aber lieber mehr Geld für weniger Arbeit.
Das ist eine brandgefährliche Entwicklung. Deutschland ist ein Land, in dem im Vergleich zu anderen Ländern schon sehr wenig gearbeitet wird. Noch weniger Arbeit können wir uns nicht leisten. Wir konkurrieren mit Ländern, in denen noch ein ganz anderer Leistungsgedanke vorherrscht. In Indien sind die jungen Leute heiß, die sind hungrig, die wollen was erreichen. Die arbeiten gerne viel. So wie die Deutschen einst in den 1960er-Jahren.
Leistet denn nur derjenige viel, der auch viel arbeitet?
Nein, so meine ich das nicht. Auch im gesellschaftlichen Bereich, im Ehrenamt und im Vereinswesen zum Beispiel, ist Leistung extrem wichtig – und die müssen wir genauso honorieren. Aber auch dort geht der Leistungsgedanke meines Erachtens zurück.
Woran machen Sie das fest?
Dafür reicht ein Blick in die Lokalzeitung. Bei mir im Schwarzwald macht alle paar Monate ein Verein zu, zuletzt etwa der Schwäbische Albverein in meinem Heimatkreis Rottweil. Oft liegt das daran, dass sich einfach keiner findet, der den Vorsitz übernehmen will. Das Vereinsregister hat da klare Regeln: Wird innerhalb von sechs Monaten kein neuer Vorstand bestimmt, wird der Verein gelöscht. Das ist tragisch. Dadurch wird unsere Gesellschaft ärmer.
Was lässt sich dem entgegensetzen?
Wir müssen die Helden des Alltags, die Ehrenämtler stärker sichtbar machen, zeigen, dass ideelle Leistung auch sehr erfüllend sein kann.
Blicken wir zum Abschluss noch auf eine sportliche Leistung, die der deutschen Nationalmannschaft. Nächstes Jahr ist Heim-EM. Was erwarten Sie vom deutschen Team?
Beim Sport ist es wie in der Politik und wie in jedem Unternehmen. Sie brauchen einen, der vorne steht und drei Dinge gut kann: Leistung fordern, fördern – und am Ende belohnen. Dann funktioniert das System, auch im Fußball. Ich denke, da ist die Nationalelf mit Julian Nagelsmann inzwischen ganz gut aufgestellt. Ichwünsche mir natürlich, dass wir ins Endspiel kommen und das auch gewinnen. Dann hätten unsere Jungs tatsächlich die größtmögliche Leistung erbracht. Am Ende geht es aber nicht nur ums Gewinnen, sondern darum, dass man sein Potential ausschöpft. Wie überall im Leben.
Herr Wolf, vielen Dank für dieses Gespräch.