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Nur die Wirtschaftswende rettet den Standort

Lage der Wirt­schaft

Das wünscht sich die Wirtschaft. Interview von Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf mit der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft über Mobilität, Freihandel und die Neuwahlen:

Herr Wolf, kaum ein Unter­nehmen steht für die deutsche Wirt­schaft wie VW – doch die Lage dort ist ernst, Warn­streiks, Streit, Tausende Jobs in Gefahr. Wie blicken Sie von außen darauf?

Es ist sympto­ma­tisch für die Branche, was da gerade abläuft. Ich habe in meinen 26 Jahren in der Automobil- und Zulie­fe­rer­in­dus­trie so massive Probleme noch nicht erlebt. Natürlich ist ein Grund, dass, politisch gewollt, stark auf Elek­tro­mo­bi­lität gesetzt wurde – und das fliegt jetzt aber nicht, weil die Kunden nicht überzeugt sind. Am Ende zählt: Kauft jemand das neue Produkt und ist er bereit, den Preis dafür zu zahlen, der das Produkt für mich profi­tabel macht. Ich bin nicht gegen Elek­tro­mo­bi­lität, aber ich glaube, man hat das zu verklärt gesehen. Und jetzt plötzlich merkt man auch, dass die Chinesen viel weiter sind.

Ist der Zug für Deut­sch­land abge­fahren?

Nein. Ich bin zuver­sicht­lich! Wir haben gute Inge­ni­eure, wir haben gute Tech­no­lo­gien. Wir können da raus­kommen und diese Industrie wieder richtig stark machen, auch inter­na­ti­onal.

Und wie genau?

Wir müssen wieder ein Allein­stel­lungs­merkmal haben, führend in einer Tech­no­logie sein. Idea­le­r­weise Produkte entwi­ckeln, die CO2 redu­zieren. Deut­sch­land hat dann eine gute Zukunft, wenn wir es schaffen, zum Beispiel ein Elek­tro­fahr­zeug zu entwi­ckeln, das sich in Indien, China und den USA verkauft. Denn die drei sind für über die Hälfte des CO2-Ausstoßes weltweit verant­wort­lich – Deut­sch­land dagegen nur für weniger als zwei Prozent. Selbst wenn wir hier alle elek­trisch fahren, bleibt der Effekt begrenzt.

Und dieses Wunder-Produkt, das wäre trotz der güns­ti­geren Konkur­renz-Produkte in diesen Ländern machbar?

Ich glaube schon. Aber wir werden auch im Ausland produ­zieren müssen. Wir müssen uns davon verab­schieden, dass wir die absolute Anzahl von Arbeits­plätzen in der Produk­tion in Deut­sch­land ganz sicher halten können. Die hohen Arbeits­kosten sind da leider Teil des Problems. Um im inter­na­ti­o­nalen Wett­be­werb zu bestehen, brauchen wir andere Rahmen­be­din­gungen. Das scheint die Politik aber immer noch nicht verstanden zu haben. In den USA ist es attraktiv zu inves­tieren durch den Inflation Reduction Act. Und hier? Hier wollte der Wirt­schafts­mi­nister 10 Milli­arden Euro an einen einzigen Konzern geben, der in Magdeburg eine Chip­fa­brik bauen wollte. Anstatt dass man versucht, in der Breite Rahmen­be­din­gungen zu verbes­sern, um auch kleinere, mittel­stän­di­sche Unter­nehmen zu fördern.

Sie sind für staat­liche Subven­ti­onen?

Das kann in manchen Fällen sinnvoll sein, aber nicht als will­kür­liche Subven­tion einzelner Projekte. Besser und nach­hal­tiger ist es aber immer, die Rahmen­be­din­gungen für alle zu verbes­sern.

Was wäre denn vernünftig?

Wir brauchen ganz schnell Büro­kra­tie­ent­las­tung. Das Liefer­ket­ten­ge­setz muss sofort abge­schafft werden. Genau wie die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung über­a­r­beitet werden muss. Das ist für mich das Grotes­keste überhaupt. Wir betreiben im Unter­nehmen einen Aufwand ohne Ende, um die Daten von Mita­r­bei­tenden zu schützen – gleich­zeitig sind die dann in den sozialen Netz­werken mitein­ander befreundet. Dann brauchen wir eine Unter­neh­mens­steu­er­re­form, Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­ab­gaben bei 40 Prozent gedeckelt, die Netzent­gelte gesenkt, Geneh­mi­gungen beschleu­nigt. Ich könnte ewig so weiter machen… Klar ist aber: Nur mit einer Wirt­schafts­wende wird es uns gelingen, den Standort zu retten!

Schnel­lere Geneh­mi­gungs­ver­fahren gibt es ja jetzt.

Ja, aber das reicht doch immer noch nicht. Wenn wir diese Ener­gie­wende wirklich wollen, dann müssen wir sie auch zu 100 Prozent wollen. Dann muss der Staat auch mal den Rechtsweg einschränken, wenn ein Windrad-Bau nicht weiter Jahre dauern soll.

Zu den heimi­schen Problemen kommt jetzt auch noch ein Donald Trump, der Straf­zölle androht.

Ich blicke mit Sorge darauf. Handels­be­schrän­kungen haben lang­fristig noch nie etwas gebracht. Kurz­fristig – und so denkt Trump ja – natürlich schon. Für uns ist das ein großes Problem. Die USA waren immer, nach China, der zweit­größte Markt für unsere Luxus­fahr­zeuge. Und jetzt sind die Ameri­kaner preis­be­wusster geworden, das habe ich auch gemerkt, als ich kürzlich in Seattle war. Vor zehn Jahren hätte dort viel­leicht noch jemand für ein gutes Auto aus dem Ausland mehr bezahlt – jetzt eher nicht.

Also auf andere Märkte setzen?

Auf jeden Fall. Südame­rika ist ein attrak­tiver Markt – aber kompen­sieren wird es das Wegbre­chen anderer wichtiger Märkte nicht. Im Moment haben wir in der Metall- und Elektro-Industrie ein Export­vo­lumen von 9 Milli­arden Euro in die Mercosur-Staaten – in die USA von 100 Milli­arden. Auch bei anderen Ländern sieht es nicht so gut aus: An Indien hatten wir hohe Erwar­tungen, aber da tut sich recht wenig, auch weil das Land büro­kra­tisch ist. Afrika ist inter­es­sant – aber auch da gibt es Probleme wie Korrup­tion und fehlende Berück­sich­ti­gung von Menschen­rechten. Bis wir dort eine entspre­chende Markt­größe erreichen, wird es Jahre dauern.

Wie ist es dort mit dem Aufbau von Produk­tion?

Das ist schwierig, auch weil dort Fach­kräfte fehlen.

Also doch den Fokus auf Fach­kräfte hier­zu­lande setzen? Aber warum wurden dann vor allem in der M+E-Branche über­durch­schnitt­lich viel weniger Ausbil­dungs­ver­träge geschlossen?

Da muss ich wider­spre­chen! Erstens steigt die Nachfrage nach Ausbil­dungs­plätzen seit der Corona-Krise wieder, besonders in der Metall- und Elektro-Industrie. Bei uns liegt das Durch­schnitts­jah­res­ein­kommen bundes­weit bei rund 70.000 Euro – das kriegen sie woanders kaum. Unsere Unter­nehmen wollen und müssen den zukünf­tigen demo­gra­fisch bedingten Fach­kräf­te­be­darf durch Ausbil­dung decken. Und sie inves­tieren viel Zeit und Ressourcen, um Auszu­bil­dende zu finden und gut auszu­bilden. Trotzdem konnte unsere Branche nicht alle Ausbil­dungs­plätze besetzen, obwohl wir sehr hohe Ausbil­dungs­ver­gü­tungen haben. Und Zweitens gibt es heute schlicht weniger junge Menschen als früher. Ein anderes Problem ist meiner Meinung nach, dass sich junge Leute bewerben und viel­leicht nicht direkt zum Zug kommen, und dann erst einmal jobben. Und dann merken, dass man mit dem Mindest­lohn gar nicht so schlecht verdient. Ich bin überzeugt, dass wir deswegen so viele junge Menschen, immerhin 2,6 Millionen, ohne Berufs­aus­bil­dung haben. Aber: Ich bin nicht gegen den Mindest­lohn. Ich bin dafür, ihn erst ab 27 Jahren zu zahlen. Damit es für Jüngere unat­traktiv ist, irgend­einen Gele­gen­heitsjob zu machen, statt sich zu quali­fi­zieren.

Das wäre also auch auf Ihrer Wunsch­liste an die neue Regierung?

Genau.