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„Ohne Ideologie und Dogmatik kann man zu vernünftigen Kompromissen kommen“

Tari­f­ei­ni­gung und Stand­ort­po­litik

Im Interview mit der FAZ spricht Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf über den Tarifabschluss und was er jetzt von der Politik in Berlin erwartet:

In der Politik geht es turbulent zu, aber in der Metall­branche wird für Verläss­lich­keit gesorgt: nach 18 Stunden Verhand­lung haben sich Arbeit­geber und IG Metall auf einen Tarif­ver­trag geeinigt. Sind Sie als Präsident des Arbeit­ge­ber­ver­bands Gesamt­me­tall denn rundum zufrieden?

Rundum zufrieden nicht. Aber wir sind sehr zufrieden mit der Laufzeit des Tarif­ver­trags: wir hatten 27 Monate gefordert und 25 sind es geworden. Die IG Metall hätte ja sogar nur 12 Monate gewollt und dafür 7 Prozent mehr Lohn, um danach gleich wieder verhan­deln zu können. Jetzt sind es in zwei Schritten 5,1 Prozent als Tabel­len­er­hö­hung und 0,4 Prozent als eine höhere Sonder­zah­lung. Die IG Metall hat schon Federn lassen müssen, wir auch – ein klas­si­scher Kompro­miss also.

Es muss ja viele Punkte gegeben haben, wo es geklemmt hat – sonst hätte es nicht die ganze Nacht gedauert. Wo war es am schwie­rigsten?

Also erstmal: am einfachsten war die Einigung mit Blick auf die Azubis, die künftig 140 Euro mehr pro Monat bekommen. Azubis sind wichtig. Wir haben in Deut­sch­land 2,7 Millionen junge Leute ohne Ausbil­dung. Das sollte sich ein hoch entwi­ckeltes Land nicht leisten. Am schwie­rigsten war die Diffe­ren­zie­rung, also die Möglich­keit, bestimmte Sonder­zah­lungen zu verschieben oder sogar zu streichen, wenn es einem Betrieb schlecht geht. Da tut sich die IG Metall schwer. Für uns war das aber wichtig, auch dass wir das Volumen dieser Diffe­ren­zie­rungs­mög­lich­keit noch einmal erhöhen. Das war lange, lange sehr umkämpft.

Der Abschluss ist von den Tarif­part­nern aus Bayern und von der Küste ausge­han­delt worden und gilt zunächst auch nur in diesen Bezirken. Ist dieser Tarif­ver­trag aus Ihrer Sicht für die Branche in ganz Deut­sch­land tauglich?

Ja. Wir haben einen Über­nah­me­be­schluss unseres Tarif­po­li­ti­schen Vorstands und der war auch einstimmig. Alle Verbände waren daran beteiligt.

Wo könnte es denn am ehesten Probleme geben, das Ergebnis zu verdauen?

Der Automobil- und Zulie­fe­rer­in­dus­trie geht es aktuell gerade im Vergleich zu früher besonders schlecht. Da werden womöglich einzelne Unter­nehmen sagen: Das verkraften wir nicht. Deshalb gibt es die soge­nannte Diffe­ren­zie­rung.

Was bedeutet der Tari­f­ab­schluss für den Standort Deut­sch­land?

Dieser Abschluss ist ein Signal dafür, dass die Sozi­al­partner ein gemein­sames Verständnis für die wirt­schaft­liche Lage haben und über die notwen­digen Bedin­gungen vernünf­tige Kompro­misse finden können. Es war lang, zäh und mühsam – aber das ist rich­tungs­wei­send.

Hört sich so an, als würden Sie der Politik Nachhilfe in Sachen Verhand­lungen anbieten?

Wenn man sich massiv anstrengt und Ideologie und Dogmatik ablegt, kann man zu vernünf­tigen Kompro­missen kommen. Ich finde, was in Berlin gerade abläuft, ist blamabel. Die Regierung funk­tio­niert nicht mehr. Aber das Parlament hat eine große Macht­fülle und sollte sie nutzen. Ich verstehe nicht, wenn man nicht versucht, drängende Probleme zu lösen. Nehmen wir zum Beispiel das Liefer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz, wo doch alle einig sind, dass es schlecht ist – das könnte der Bundestag jetzt aussetzen. Für weitere Maßnahmen müsste man sich einfach zusam­men­raufen.

Was fordern Sie denn von einer künftigen Regierung mit Blick auf den Standort?

Nied­ri­gere Ener­gie­kosten, die Deckelung der Sozi­a­l­ab­gaben auf maximal 40 Prozent, nied­ri­gere Unter­neh­mens­steuern, Büro­kra­tie­ent­las­tung. Schnel­lere Geneh­mi­gungs­ver­fahren für unsere Inves­ti­ti­onen. Und wir müssen das Land attrak­tiver machen für junge Leute, die zu uns kommen wollen.

Das Land soll attrak­tiver werden. Was meinen Sie damit konkret?

Da gehört eine Einkom­mens­steu­er­re­form dazu. Wenn ein junger indischer IT-Spezi­a­list die Wahl hat, in der Schweiz zu arbeiten mit einem Spit­zen­steu­er­satz von 36 Prozent oder bei uns mit 48 Prozent, stellt sich doch natürlich die Frage, warum er zu uns kommen sollte. Es geht auch um auslän­der­recht­liche Bedin­gungen, man kann noch nicht einmal einen Visums­an­trag für Deut­sch­land digital stellen. Warum aber sollte sich eine hoch­qua­li­fi­zierte Fachkraft in unseren Auslands­ver­tre­tungen in die Schlange stellen und um ein Visum betteln? Da ist viel versäumt worden, lange schon. Das ist nicht nur eine Sache der Ampel­re­gie­rung.

Blicken wir noch einmal auf die Tarif­runde. Da war erstmals ein Tandem zugange, Verhand­lungs­führer von der Küste und aus Bayern haben gemeinsam gerungen. Das wird nun allseits gelobt. Man fragt sich, ob man die Tarif­ver­hand­lungen nicht ohnehin gründlich reno­vieren könnte.

Das Regi­o­na­li­täts­prinzip werden wir nicht aufgeben, auch die Gewerk­schaft nicht. Aber es zeigt sich jetzt, dass man das Verfahren auch grund­sätz­lich verbes­sern kann. Die Welt verändert sich auch stetig. Jede Tarif­runde ist anders. Das Verfahren und das Ergebnis dieser Tarif­runde über­zeugen mich.