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Ohne Reformen wird die Wirtschaftskrise weitergehen

Erste Bilanz der Koalition

Im Interview mit der Rheinpfalz fordert Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander geringere Sozialversicherungsbeiträge und lehnt die Rentenpläne der Regierung ab:

Herr Zander, im Juni waren in der Metall- und Elektro-Industrie 14.000 Menschen weniger beschäf­tigt als im Vormonat, im Jahres­ver­gleich gingen 100.000 Arbeits­plätze verloren. Geht die Talfahrt weiter oder gibt es Anzeichen für eine Belebung?

Wir stecken weiter im Perso­na­l­abbau, für eine Belebung gibt es keine stabilen Signale. Wir haben seit 2019 bereits 240.000 Arbeits­plätze verloren, das entspricht einem Verlust an Wert­schöp­fung in Höhe von 25 Milli­arden Euro. Wenn wir die noch hätten, hätten wir Wachstum. Statt­dessen stecken wir in der längsten Wirt­schafts­krise und Rezession seit Gründung der Bundes­re­pu­blik.

Was bezie­hungs­weise wer ist schuld an dieser negativen Entwick­lung einer lange Jahre kraft­strot­zenden Branche?

Zunächst: Metall und Elektro steht immer noch für zwei Drittel der deutschen Industrie mit über 3,8 Millionen Beschäf­tigten. Die Metall- und Elektro-Industrie ist also unver­zichtbar für unseren Wohlstand. Aber nach der Finanz- und Wirt­schafts­krise vor einein­halb Jahr­zehnten wurde in Deut­sch­land nichts mehr oder sogar das Falsche für die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Standorts gemacht. Dieser Standort hat ein Kosten­pro­blem insbe­son­dere bei Ener­gie­kosten, Steuern und Sozi­a­l­ab­gaben. Das müssen wir repa­rieren.

Wie bewerten Sie dies­be­züg­lich das Agieren der Bundes­re­gie­rung?

Die neue Bundes­re­gie­rung hat erste Schritte unter­nommen. Die Körper­schaft­steuer wird gesenkt, das ist die erste Unter­neh­mens­steu­er­re­form seit 15 Jahren. Es gibt den soge­nannten Inves­ti­ti­ons­booster, der für bessere Abschrei­bungs­be­din­gungen sorgt. Ich hoffe, dass das zu mehr privaten Inves­ti­ti­onen führt. Denn 90 Prozent der Inves­ti­ti­onen, inklusive der Bauleis­tungen, sind privat. Wenn die privaten Inves­ti­ti­onen nicht anspringen, kommen wir nicht aus der Wirt­schafts­krise. Deshalb muss diese Regierung jeden Tag an der Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Standorts arbeiten. Wir sind mitten­drin in der Dein­dus­tri­a­li­sie­rung, und die müssen wir dringend stoppen.

Ihr Verband fordert eine mutige Refor­ma­genda. Wo und was soll refor­miert werden?

Im Moment liegen die Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­träge für Beitrags­zahler mit Kindern bei 41,9 Prozent, bei Kinder­losen schon bei 42,5 Prozent. Wir müssen wieder runter auf 40 Prozent. Erst einmal gilt es aber, die Beiträge stabil zu halten. Die drohenden höheren Beiträge in der Kranken-, Pflege- und Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung schon ab Januar 2026 wären absolutes Gift. Deshalb brauchen wir einen effi­zi­en­teren Sozi­al­staat. Wir müssen mehr Leute in Arbeit bringen. Es kann nicht sein, dass es auch im Helfer­be­reich offene Stellen gibt und wir zugleich so viele Bürger­gel­d­emp­fänger haben. Auch das Gesund­heits­wesen ist nicht effizient. Im Pfle­ge­be­reich sind die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen, das ist dauerhaft nicht mehr zu finan­zieren. Auch die Orga­ni­sa­tion der Sozi­a­l­ver­si­che­rung muss refor­miert und effi­zi­enter gemacht werden.

Das Thema Rente haben Sie ausge­spart…

Da muss auch etwas passieren. Jetzt gehen die stärksten Jahrgänge in Rente, und es werden nicht genügend Beitrags­zahler nach­rü­cken. In dieser Situation dürfen keine kontra­pro­duk­tiven Maßnahmen ergriffen werden. Das neue Renten­paket, durch das das Renten­ni­veau bis 2031 stabil gehalten werden soll, ist höchst kritisch, das können wir uns nicht leisten. Und die Mütter­rente, die allein fünf Milli­arden Euro pro Jahr kostet, ist Firlefanz ange­sichts des Drucks, unter dem das System steht.

Laut einer kürzlich veröf­fent­lichten Umfrage sieht die Mehrheit der Bürger zwar die Notwen­dig­keit von Reformen. Spürbare Einschnitte werden aber abgelehnt. Wie soll die Regierung da Reformen durch­setzen, ohne bei der nächsten Wahl gleich abge­straft zu werden?

Wenn die Regierung nicht refor­miert, wird die Wirt­schafts­krise weiter­gehen. Es gibt keine stabile Regierung ohne eine stabile Wirt­schaft. Ich verlange keine Riesen­kür­zungen bei den Sozi­al­leis­tungen, deren Umfang sich übrigens auf 1,3 Billionen Euro summiert. Wir reden darüber, den Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­trag bei 40 Prozent zu stabi­li­sieren, das wären umge­rechnet etwa 30 bis 35 Milli­arden Euro. Die sind einspa­rbar. Ansonsten büßen wir weiter an Wett­be­werbs­fä­hig­keit ein – mit entspre­chenden Folgen auch für die Wähler, die ihre Arbeits­plätze verlieren.

Als vor einigen Tagen Bilanz nach 100 Tagen Schwarz-Rot gezogen wurde, waren viele kritische Stimmen zu hören. Ist die Arbeit der Koalition wirklich so schlecht?

Ich finde, das Mindset stimmt. Bei Energie und Steuern ist etwas passiert. Jetzt geht es um die Sozi­al­re­form. Da muss die SPD mitziehen. Wir haben – wie gesagt – 10, 15 Jahre nichts oder das Falsche für die Wett­be­werbs­fä­hig­keit getan. Da kann man nicht erwarten, dass die neue Bundes­re­gie­rung das innerhalb von 100 Tagen dreht und wir plötzlich wieder im Wirt­schafts­boom aufwachen.

Aber auch diese Koalition verhakt sich in dauernden Strei­te­reien…

Die Koalition muss kompro­miss­fähig sein, und das setzt voraus, dass man bereit ist, auch mal die eigenen Leute zu enttäu­schen. Die Union hat Mitglieder und Wähler beim Thema Schul­den­bremse enttäuscht, jetzt muss die SPD dieje­nigen enttäu­schen, die erwartet haben, dass der Sozi­al­staat ohne Reformen auskommt.

Im Juli begann der soge­nannte Sozi­al­part­ner­di­alog zur Arbeits­zeit. Ist schon erkennbar, in welche Richtung das geht? Die Gewerk­schaften lehnen ja die von Ihnen gefor­derte Umstel­lung von der täglichen auf eine wöchent­liche Höchst­a­r­beits­zeit vehement ab.

Auch da muss es einen Kompro­miss geben. Die Union hat sich lange gegen ein Bunde­s­t­a­rift­reu­e­ge­setz gesperrt. Das wird jetzt kommen. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Koali­ti­ons­ver­trag bei den Themen Wochen­a­r­beits­zeit und Vertrau­ens­a­r­beits­zeit auch einge­halten wird. Da ist die SPD gefordert.

Worum geht es Ihnen konkret, was ist das Ziel? Wollen Sie den Acht-Stunden-Tag abschaffen?

Wir brauchen mehr Flexi­bi­lität bei der Vertei­lung der wöchent­li­chen Arbeits­zeit. Wir wollen die Arbeits­zeit insgesamt nicht erhöhen, sondern die Vertei­lungs­mög­lich­keiten verbes­sern, indem zum Beispiel dort, wo das möglich ist, statt acht auch mal neun oder zehn Stunden gear­beitet werden kann. Dann lässt sich die verein­barte Arbeits­zeit mögli­cher­weise auch besser auf vier Tage aufteilen. Wir wollen einfach ein weiteres Flexi­bi­li­sie­rungs­in­stru­ment. Und bei der Vertrau­ens­a­r­beits­zeit sollen Arbeits­zeiten nicht minu­ten­genau aufge­schrieben werden. Auch das steht so im Koali­ti­ons­ver­trag, und wir erwarten, dass das umgesetzt wird. Es geht nicht darum, in die Zeit der 48-Stunden-Woche zurück­zu­fallen. Aber wir sollten die Spiel­räume, die die EU-Arbeits­zeit-Richt­linie bietet, voll­ständig nutzen.