Die M+E-Industrie befindet sich in einer Rezession. Ist das nur eine kurzfristige Delle oder ein langfristiges Problem?
Das weiß ich nicht. Nach neun Jahren des Wachstums ist es normal, wenn es auch mal etwas runtergeht. Problematisch wird es, wenn das der Beginn eines längeren Abschwungs ist. Ich fürchte, dass unser Land darauf nicht vorbereitet ist. Politik und Gesellschaft, und vielleicht auch manches Unternehmen, haben sich an dauerhaftes Wachstum gewöhnt.
Was halten Sie für wahrscheinlicher?
Ich bin Unternehmer, nicht Hellseher. Ich hoffe natürlich, dass es nur eine Delle ist.
Sind die Unternehmen denn gut vorbereitet auf magere Zeiten?
Das schon – aber das Problem liegt woanders. Nahezu jedes Unternehmen wird sich durch die Digitalisierung verändern müssen. Wir verdienen unser Geld in Zukunft anders als bisher und müssen dafür neue Produkte und neue Dienstleistungen entwickeln. Das bedeutet, dass sich vieles ändern wird: vom Produkt über die Art und Weise, wie wir es herstellen, über die Frage, wo die Fertigung erfolgt und wer die notwendigen Teile liefert, bis zur Qualifikation unserer Mitarbeiter.
Wer im Bereich Automobilbau unterwegs ist, hat auch noch den Strukturwandel dieser Branche zu bewältigen. Da wird klar, dass wir viel Arbeit vor uns haben! Aber die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt: Wenn einer den Strukturwandel schaffen kann, dann ist es die deutsche M+E-Industrie. Wenn wir gemeinsam anpacken, wird auch dieses Mal der Standort Deutschland die Nase vorn haben können. Dabei kostet die Neuausrichtung viel Geld, das die Unternehmen investieren müssen. Das Geld dafür müssen wir erst einmal verdienen und dann im Unternehmen halten dürfen. Das ist in einer Rezession doppelt schwer.
Im kommenden Jahr steht die nächste Tarifrunde in der Metall- und Elektro-Industrie an. Was erhoffen Sie sich von der Gewerkschaftsseite, also der IG Metall?
Das wird keine Routine-Tarifrunde. Entsprechend müssen wir gemeinsam weiterdenken. So wie es aussieht, stecken wir nicht nur in einer Rezession, wir müssen auch die Weichen so stellen, dass die Unternehmen am Standort Deutschland weiter investieren können.
Die vergangene Tarifrunde brachte für die M+E-Arbeitnehmer viele Möglichkeiten, flexibler zu arbeiten oder mehr Freizeit statt mehr Geld zu wählen. Kamen die Betriebe damit zurecht?
Sehr unterschiedlich. Viele Betriebe haben sich damit arrangiert – notgedrungen. "Zähneknirschend" ist mir aber zu wenig für die Tarifpolitik. Ich will Tarifverträge, die Beschäftigte und Unternehmen gerne anwenden, weil sie beide darin für sich einen Vorteil sehen.
Vor allem beim Thema Arbeitszeit macht die Politik viele Vorgaben. Sind sie zu eng für eine flexible Arbeitswelt?
Eindeutig ja. So ziemlich alle Regelungen – ob tariflich oder gesetzlich – entstammen doch der Arbeitswelt des vorigen Jahrhunderts. Aber dass die Regeln, die für den Fließbandarbeiter 1920 gut und richtig waren, nicht so wirklich auf den Alltag der Kundenbetreuerin auf Social Media 2019 übertragbar sind, ist doch klar. Auch hier gilt: Wir müssen gemeinsam neue Regeln entwickeln, also zusammen weiterdenken, statt auf allen Seiten immer nur reflexartig doof zu finden, was anders ist als bisher.
Das Interview führte Jork Herrmann, iwd. Erschienen am 27. November 2019.