Die Zeichen in der Metall- und Elektro-Industrie stehen auf Abschwung. Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger im Interview mit dem Mannheimer Morgen über die anstehende Tarifrunde und bessere politische Rahmenbedingungen

Herr Dulger, wählen Sie noch die FDP?
Wann ist denn die nächste Wahl?
Das wird man sehen… regulär im Herbst 2021.
Fragen Sie mich dann nochmal. Es ist kein Geheimnis, dass ich den liberalen Gedanken in der politischen Landschaft im Moment für den sinnvollsten halte. Da sprechen Sie jetzt aber mit dem Bürger und Unternehmer Rainer Dulger, nicht mit dem Metallpräsidenten. Die Union ist mir in den letzten Jahren zu sehr in die Mitte gerückt und hat zu große Lücken auf der rechten Seite gelassen. Zudem bin ich ein sehr liberaler Mensch, man sollte jedem seine Freiheit lassen. Es gibt aber immer mehr Verbotspolitik - nicht nur von den Grünen, sondern auch von Unionspolitikern. Das widerstrebt mir zutiefst. Die FDP ist da ein wichtiges Gegengewicht.
Wie groß ist nach Thüringen der Schaden für die FDP als Wirtschaftspartei?
Das kann ich nicht beurteilen. Parteichef Christian Lindner hat nach der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen klar gesagt, dass man weder mit der AfD noch mit den Linken kooperieren will. Das halte ich für gut und richtig.
Wer ist Ihr Wunschkandidat für die AKK-Nachfolge an der CDU-Spitze?
Das soll die CDU entscheiden.
Die Parteien sind die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt. Wie sehr beschädigt das den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Das macht mir große Sorgen. Denn dadurch bleibt kaum genug Raum, um wieder mehr Wirtschaft zu wagen. Es sind grobe Fehler gemacht worden in der Vergangenheit. Vor allem bei der Infrastruktur gibt es enormen Nachholbedarf: Das betrifft Straßen, Schiene und Wasser, vor allem aber Energie, Tele- und Datenkommunikation. Die Stromtrassen von Nord nach Süd müssen endlich entschlossen in Angriff genommen werden. Der Wohlstand, den wir genießen, ist nicht selbstverständlich.
Die Politik ist eine Sache, konjunkturell lief es zuletzt aber auch nicht rund. Wie dramatisch ist die Lage?
Wir sind in einer Rezession. In der Metall- und Elektro-Industrie hatten wir 2019 einen Produktionsrückgang von minus fünf Prozent. In der Autoindustrie waren es sogar minus elf Prozent. Das Problem ist dieses Mal, dass ein Ende nicht absehbar ist. Die Konjunkturkrise mischt sich mit strukturellen Herausforderungen Dekarbonisierung und Digitalisierung - und das vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung. Um das zu meistern, brauchen wir jetzt politische Instrumente. Der Dialog mit der Politik ist da aber ganz gut.
An was denken Sie konkret?
Wir brauchen in der Konjunkturkrise einen leichteren Zugang zu Kurzarbeit. Normalerweise muss ein Unternehmen erst Überstunden und Urlaube abbauen, bis Kurzarbeit möglich ist. Das ist Unfug, der Betrieb muss sofort in Kurzarbeit gehen können - sonst muss er die Mitarbeiter entlassen. Und Kurzarbeit muss künftig 24 Monate statt nur zwölf Monate lang möglich sein. Da stoßen wir bei der Koalition auf offene Ohren. Jetzt müssen die Gesetzentwürfe auf den Tisch, und es muss zügig vorangehen.
Wie stark ist Kurzarbeit schon Thema in den Betrieben?
Im vierten Quartal wurde in der Metall- und Elektro-Industrie für 100.000 Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet - Tendenz stark steigend. Ich gehe davon aus, dass das im ersten Quartal noch einmal 30 bis 40 Prozent mehr werden.
Und die strukturellen Hilfen?
Wir fordern besser geförderte Transfergesellschaften. Dort sollen Beschäftigte unterkommen und weiterqualifiziert werden, deren Tätigkeiten durch neue Technologien wegfallen. Die Betriebe werden so entlastet, weil sie diese Mitarbeiter nicht weiter bezahlen müssen.
Ist es nicht Aufgabe der Unternehmen, ihre Belegschaft so weiterzubilden, dass sie auf den Wandel vorbereitet ist?
Das tun sie schon sehr gewissenhaft. Die Unternehmen unserer Branche geben jedes Jahr acht Milliarden Euro für die Aus- und Weiterbildung aus. Aber Sie können nicht verhindern, dass Tätigkeiten in Betrieben wegfallen und die entsprechenden Mitarbeiter dort nicht weiterbeschäftigt werden können.
Die nächste Tarifrunde steht unmittelbar bevor. Wie ist die Stimmung zwischen den Parteien?
Ich denke, beide Seiten sind sich in der schwierigen Situation ihrer Verantwortung bewusst. Im Moment laufen die Sondierungen. Bis Ende Februar werden wir klarer sehen, wie weit die Positionen auseinanderliegen.
Wo sind Ihre roten Linien?
Dazu will ich mich im Moment noch nicht äußern. Wir müssen schauen, was geht, statt uns gegenseitig öffentlich zu erklären, was nicht geht.
Nach dem letzten Abschluss haben Sie gewarnt, dass mehr und mehr Mittelständler aus dem Flächentarif aussteigen, weil sie die Belastungen nicht stemmen können. Leisten Sie zu wenig Überzeugungsarbeit bei ihren Mitgliedern?
Überzeugen kann ich nur, wenn der Flächentarif attraktiver ist als andere Lösungen. Faktisch ist er in den vergangenen 20 Jahren aber so komplex geworden - das sind Verträge so dick wie ein altes Telefonbuch. Gerade für kleinere Betriebe ist das zuviel. Das Problem ist: Viele Firmen haben zum Beispiel 80, 90 Prozent des Flächentarifs übernommen. Weil es aber keine 100 Prozent sind, gelten sie für den Gesetzgeber als gar nicht tarifgebunden.
Was könnte die Lösung sein?
Wir müssen von der Schwarz-Weiß-Betrachtung wegkommen. Ein Unternehmen, das von 30 Modulen, die der Flächentarif enthält, zum Beispiel 20 anwendet, sollte genauso als tarifgebunden gelten wie Firmen, die alle Module übernehmen. So könnte eine Zukunft aussehen.
Sie wollen den klassischen Acht-Stunden-Tag streichen und dafür eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einführen. Wie wollen Sie das den Belegschaften schmackhaft machen?
Das brauche ich gar nicht: die meisten wollen das selbst. In meinem Unternehmen gibt es Mitarbeiter, etwa in meinem Alter, die kommen wie ich morgens um neun und gehen irgendwann um sechs. Das ist unser Ding. Es gibt aber auch junge Leute, die ticken völlig anders. Mein Sohn macht zum Beispiel Praktikum bei einem Start-up in Berlin. Die Mitarbeiter mieten sich per Smartphone in ein Büro ein, arbeiten am Laptop, machen Videokonferenzen, kommen und gehen, wann sie wollen. Geregelte Arbeitszeiten will dort keiner. Auch Eltern werden durch die aktuelle Gesetzgebung ausgebremst.
Inwiefern?
Nehmen wir an, Sie wollen Ihr Kind um 14 Uhr aus der Kita holen - das ist recht realistisch, weil viele Kitas in Deutschland zu einer Uhrzeit den Rolladen runterlassen, die nicht gerade arbeitsfreundlich ist. Dann wollen Sie den Nachmittag mit Ihrem Kind verbringen und sich abends um 21 Uhr nochmal für eine halbe Stunde oder Stunde an den Rechner setzen. Wenn Sie dann am nächsten Morgen wieder früh anfangen wollen, damit Sie um 15 Uhr gehen können, dürfen Sie das nach heutigem Recht nicht, weil sie die elfstündige Ruhezeit nicht einhalten. Unser Arbeitszeitgesetz stammt aus der Zeit von Wählscheibe und Telex.
Ohne Regelung passiert es aber leicht, dass von morgens bis abends durchgearbeitet wird - nicht gerade gesund.
Das ist eine Frage der gesetzlichen Ruhezeiten und der Selbstkontrolle. Ich persönlich habe großes Vertrauen in den Willen zu einer vernünftigen Work-Life-Balance bei den jungen Leuten. Wir fordern ja nicht, dass jemand rund um die Uhr arbeitet - sondern einfach flexibler.
Die Metall- und Elektrobranche ist stark von Männern geprägt. Wie wollen Sie mehr Frauen als Fach- und Führungskräfte gewinnen?
Wir haben einen Anteil von 20 Prozent in der Branche, und hätten gerne mehr. Von uns gibt es dazu zwei Forderungen: Erstens eine flächendeckende Kinderbetreuung bis mindestens 18 Uhr und zweitens ein lockereres Arbeitszeitgesetz, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert.
Wie schwierig ist es für Ihre Firma ProMinent, Fachkräfte zu finden?
Bei uns in der Region ist es noch nicht so schwierig, da wir tolle Hochschulen und Universitäten haben. Viel dramatischer ist das in Regionen, die nicht so zentral liegen. Für Technologie-Unternehmen, die dort sitzen, ist es richtig hart - vor allem auch, gute Leute vom Umzug dahin zu überzeugen.
Vor dem Arbeitsgericht Heidelberg laufen Klagen gegen ein Unternehmen Ihrer Gruppe, das nicht tarifgebunden ist. Warum nicht?
Das Unternehmen ist aus einer Servicegesellschaft entstanden. Die Mitarbeiter fahren zu Kunden, die Produkte von uns haben und Hilfe brauchen. Entsprechend verbringen sie oft viel Zeit auf der Autobahn. Das ist ein völlig anderes Geschäft als die Metallindustrie, entsprechend passen deren Regelungen auch nicht. Wir haben diese Firma deshalb schon vor vielen Jahren außerhalb des Metalltarifvertrags gegründet.
Arbeitnehmervertreter kritisieren, dass dort ein Teil der Mitarbeiter zu deutlich schlechteren Konditionen arbeitet als andere - daher die Klage vor dem Arbeitsgericht.
Wir werden sehen, wie das Gericht entscheidet, weiter will ich das nicht kommentieren. Mein Eindruck ist aber, dass der Betriebsrat mit der Klage vor allem eigene organisationspolitische Ziele und weniger die Interessen der Mitarbeiter verfolgt.
Sie wollten eigentlich Pilot werden - Ihr Traumberuf.
Ja, aber der Traum vom Berufspilot scheiterte dann daran, dass ich nach den damaligen Bestimmungen ein paar Zentimeter zu groß für das Cockpit war. Aber als Ingenieur, Unternehmer und Hobbypilot fühle ich mich heute sehr wohl.
Das Interview führten Karsten Kammholz, Alexander Jungert und Tatjana Junker. Erschienen am 14. Februar 2020 im Mannheimer Morgen.