Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander warnt in der NOZ vor einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes

Herr Zander, Millionen von Beschäftigten profitieren in der Corona-Krise vom Kurzarbeitergeld. Sie behalten so ihren Job, müssen aber deutliche Einkommenseinbußen hinnehmen. Muss das Kurzarbeitergeld aufgestockt werden?
Wir halten das für den falschen Weg, weil das die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit, die vielleicht noch für einen längeren Krisenverlauf gebraucht wird, zu schnell aufzehren würde. Zudem sehen wir die Gefahr, dass nach einer Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auch ganz schnell eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes I gefordert würde. Gibt man dem Kurzarbeiter mehr Geld, müsste man das erst recht auch beim Arbeitslosen tun, der ja im Grund noch schlechter dasteht, weil er keinen Job mehr hat. Ansonsten würde man neue Ungerechtigkeit schaffen. Am Ende ginge es dann auch um die Höhe der Hartz-IV-Sätze und womöglich sogar um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Niemand sollte so tun, als würde die Forderung nach einem höheren Kurzarbeitergeld ohne politischen Hintergedanken erhoben.
Was ist Ihr Vorschlag?
Wir sollten die guten Regelungen der Agenda 2010 jetzt nicht in der Corona-Krise alle über Bord werfen und wir sollten es deshalb bei den bisherigen Regelungen belassen. Der Sozialstaat ist wichtig, aber er muss bezahlbar bleiben.
Was halten Sie denn von einer befristeten Anhebung? Arbeitsminister Hubertus Heil bezeichnet eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes von 60 auf 80 Prozent der Nettoeinbußen für Mai, Juni und Juli als plausibel…
Die Politik macht häufig den Fehler, dass sie Entscheidungen am grünen Tisch fällt, aber deren Umsetzbarkeit im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend bedenkt. Es handelt sich doch um ein Massenverfahren mit Hunderttausenden Unternehmen und Millionen Kurzarbeiten. Da gilt: Jede Rechts- oder Verfahrensänderung würde die Bundesagentur für Arbeit in einem Maße belasten, das nicht vertretbar ist. Wichtig ist, dass das Kurzarbeitergeld schnell an die Unternehmen gegeben wird. Ansonsten drohen Insolvenzen und Arbeitslosigkeit.
Was genau befürchten Sie?
Die Unternehmen müssen das Kurzarbeitergeld vorfinanzieren. Jeder Tag, der zwischen der Vorfinanzierung und der Erstattung durch die Bundesagentur vergeht, erhöht das Insolvenzrisiko für Betriebe. Deshalb fordern wir dringend: Bitte nicht unnötig die Modalitäten beim Kurzarbeitergeld verändern. Das führt nur zu gefährlicher Ineffizienz in den Verwaltungsabläufen. Wir lehnen das strikt ab.
Die Gewerkschaften argumentieren, die Arbeitgeber würden dadurch besonders entlastet, dass sie für Kurzarbeiter seit Neuestem keine Sozialbeiträge mehr zahlen müssen. Von dieser Entlastung, so heißt es, müssten auch die Arbeitnehmer profitieren…
Diese Argumentation ist unredlich. Die Arbeitgeber müssen den Sozialaufwand, den sie alleine vorstrecken und dann von der BA erstattet bekommen, zu 100 Prozent an die Sozialversicherungen weiterleiten. Eine auch nur teilweise Weitergabe dieser Beiträge an die Arbeitnehmer wäre eine zusätzliche Kostenbelastung und könnte letztendlich zur Insolvenz führen. Es geht darum, den Sozialschutz der Arbeitnehmer zu bezahlen. Und deshalb kann man nicht so tun, als wenn sich die Arbeitgeber einen Teil des Geldes in die eigene Tasche stecken würden.
In Teilen der Wirtschaft gibt es Tarifverträge zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Sehen Sie da noch Spielraum?
Das müssen die Tarifparteien vor Ort entscheiden. Wichtig ist jetzt aber vor allem, dass die Liquidität der Unternehmen geschützt wird. Wir haben teilweise keine Erlöse, keine Erträge. Trotzdem laufen die Kosten weiter, so dass die Liquidität der Unternehmen schwindet. Jede gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes entzieht den Unternehmen weitere Liquidität. Das führt ganz sicher zum vermehrten Verlust von Arbeitsplätzen.
Gibt es bereits vermehrte Insolvenzen in der Metall- und Elektro-Industrie? Schließlich befand sich die Branche ja schon vor der Corona-Krise in der Rezession…
Ja, leider ist die Zahl der Insolvenzen in der Metall- und Elektro-Industrie schon vor der Corona-Krise deutlich gestiegen. Im Januar gab es in unserer Branche 93 Insolvenzen, 55 Prozent mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Hintergrund ist, dass wir im gesamten vergangenen Jahr von einer Rezession betroffen waren, auch wegen des Strukturwandels. Und jetzt kommt noch die Corona-Pandemie hinzu.
Die Bundesagentur für Arbeit hat eine Reserve von 26 Milliarden Euro. Wie lange wird das Geld angesichts der Millionen von Kurzarbeitern schätzungsweise reichen?
Die erste offizielle Zahl der Kurzarbeiter wird Ende April vorliegen. Bisher wissen wir ja nur: Gut 750.000 Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet. Erst wenn diese Anträge bearbeitet sind, kennt man die genaue Zahl der Kurzarbeiter. Es gibt unterschiedliche Szenarien. Demnach müssen wir mit bis zu acht Millionen Kurzarbeiter rechnen, allein in unserer Branche könnten es mehr als 2,2 Millionen sein. Und dann reicht das Geld sicher nicht lange. Dann sind wir spätestens zu Beginn des nächsten Jahres in der Klemme und wird die BA Zuschüsse brauchen.
Bei Volkswagen laufen die Bänder langsam wieder an, zunächst in Zwickau, dann auch in Wolfsburg. Ist das Schlimmste schon überstanden?
Das ist natürlich ein Hoffnungszeichen. Wir haben die M+E-Unternehmen gefragt, warum sie nicht produzieren. Fast 60 Prozent haben uns gesagt, dass es an mangelnder Nachfrage liegt. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter infolge von Krankheit sowie wegen fehlender Kinderbetreuung fehlen, und dass es Probleme in der Lieferkette gibt. Den kleinsten Anteil hatten wir durch direkt gesundheitsbedingte Shutdowns in einzelnen Betrieben oder Betriebsteilen.
Es sind also mehrere Faktoren, die stimmen müssen…
Lieferketten, Personal und Nachfrage – diese Faktoren müssen stimmen. Deshalb war es auch so wichtig, dass die Autohäuser wieder geöffnet haben, damit überhaupt eine Nachfrage entsteht nach Fahrzeugen.
Volkswagen drängt auf die schnelle Einführung einer staatlichen Förderprämie, um den Corona-bedingten Nachfrageausfall bei Neuwagen auszugleichen. Ist das wirklich notwendig?
Da muss man jetzt mal die nächsten Wochen nach der Wiederöffnung der Autohäuser abwarten. Es gibt ja viele Vorschläge zur Unterstützung der Wirtschaft. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, welche Maßnahme den größten Effekt hätte. Und man darf nicht vergessen, dass alle Wohltaten am Ende finanziert werden müssen. Es darf am Ende nicht so sein, dass nach dem Neustart der Wirtschaft die Steuern- und Beitragskeule auf die Arbeitnehmer und Unternehmen niedergeht.
Das Gespräch führte Uwe Westdörp, NOZ. Erschienen am 22. April 2020.