Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf in der Stuttgarter Zeitung zu den Vorhaben der Ampelkoalition
Herr Wolf, haben Sie das 177-seitige Vertragswerk schon komplett studiert?
Dazu hatte ich noch nicht die Zeit, aber ich habe gute Geister, denen ich vertraue und die mir mit Zusammenfassungen einen guten Überblick verschaffen. Am Wochenende werde ich mir das mal in Gänze anschauen.
Vor der Bundestagswahl haben Sie sich um den Industriestandort, um Wohlstand und Arbeitsplätze gesorgt. Hat die "Ampel" Ihre Befürchtungen zerstreuen können?
Zum größten Teil. Da ist vieles drin, was absolut vernünftig ist. In Gänze ist dieser Koalitionsvertrag wirtschaftsfreundlicher als der der großen Koalition. Da werden wir im Detail sicher noch schauen müssen, wie es dann läuft. Aber es ist sicherlich deutlich anders gekommen, als wir es ursprünglich erwartet haben bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen. Da hat die FDP sicherlich vieles durchgebracht an ihren Positionen, die schon sehr deckungsgleich sind mit Positionen der Wirtschaft, sodass wir in der Summe nicht unzufrieden sind.
Vor der Wahl haben Sie das grüne Programm als "Sozialismus pur" bezeichnet. Demnach werden die linksorientierten Grünen von den Liberalen in Schach gehalten?
Das Wahlprogramm der Grünen halte ich heute noch für Sozialismus pur. Die Frage ist: Wie viel ist in den Koalitionsvertrag gewandert? Da haben die Grünen gegenüber SPD und FDP aus meiner Sicht am wenigsten aus ihrem Programm verwirklichen können.
Nun ist für das Geld künftig vor allem der FDP-Finanzminister zuständig. Und da fällt auf, dass all die großen Investitionsankündigungen nicht durch entsprechende Einnahmen hinterlegt sind, wenn etwa die Steuern nicht erhöht werden sollen. Wie seriös sind dann die Investitionsversprechen?
Ein Finanzminister Christian Lindner wird sich die Ausgaben der Ministerien genau ansehen. Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die sich wie ein Unternehmen begreift – mit einem Kanzler als CEO. Dann wird ein Effizienzsteigerungsprogramm aufgesetzt, so wie ich das in meiner Firma 2019 gemacht habe. Da findet man viele Bereiche, die "nice to have", aber nicht unbedingt nötig sind. So kann auch die Regierung nach Ausgaben schauen, bei denen man es gar nicht merkt, wenn die plötzlich wegfallen – und in Bereiche umschichten, wo Investitionen dringend gebraucht werden.
Was bringen die Ampelpläne der Automobil- und Zuliefererindustrie: Da gibt es im Vertrag etliche Versprechungen, aber nicht die befürchteten Zumutungen?
Wir haben kein Tempo 130 und kein Enddatum für den Verbrennungsmotor. Wir haben, wenn man zwischen den Zeilen liest, ein Bekenntnis zum Hybrid unter Bedingungen – und wir haben eine klare Technologieoffenheit in Bezug auf die Elektromobilität, also Batterie und Brennstoffzelle.
Auch E-Fuels werden weiterhin akzeptiert – alles nach Ihrem Geschmack also?
Absolut. Bei den synthetischen Kraftstoffen sind die Umweltverbände immer gleich auf 180. Es ist ja nicht Ziel unserer Industrie, den Verbrenner bis ins Unendliche zu bauen und dafür diese Kraftstoffe zu verwenden. In Deutschland haben wir 48 Millionen zugelassene Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Wenn wir es ernst meinen mit dem Klimaschutz, macht es Sinn, diese Altfahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen zu betreiben und so den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Womöglich kommen manche Härten zum Abbau klimaschädlicher Subventionen, etwa beim Diesel oder beim Dienstwagen-Privileg, später noch auf die Industrie zu?
Es sind jetzt Grundsätze festgelegt für die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre. Aber die Dinge sind dynamisch. Da kann in zwei Jahren was hochkommen, was heute noch nicht bedacht wird. Mir ist wichtig, vernünftige Rahmenbedingungen zu erhalten, damit die Industrie erfolgreich bleiben kann. Wenn dann neue Themen aufkommen, sprechen wir darüber und finden Lösungen.
Klima und Wirtschaft in einem Ministerium zu vereinen, ist ein guter Schachzug?
Ich finde das okay. Ich frage mich nur, wie man hier die Abgrenzung zum Umweltministerium finden will. Schnittstellen halte ich prinzipiell nicht für gut, denn da kommen schnell Befindlichkeiten und inhaltliche Abgrenzungsprobleme auf. Da hätte man vielleicht was schaffen müssen, um alles zusammenzufassen. So hoffe ich, dass es keine Zwistigkeiten und Reibungsverluste gibt.
Günstig ist für Sie, dass ein FDP-Minister die Verkehrswende zu verantworten hat?
Ich bin ich nicht unfroh darüber, dass Anton Hofreiter kein Verkehrsminister geworden ist und das Ressort in der Hand der FDP ist. So erhalten wir einen klaren strukturierten Gesprächspartner und eine vernünftigere Diskussionsbasis.
Sie haben auch Grünen-Chefin Baerbock das Zeug zur Kanzlerin abgesprochen. Nun wird sie wohl als Außenministerin einen Schwerpunkt auf Menschenrechte legen. Dies dürfte die Wirtschaftsbeziehungen mit China berühren. Könnte das boomende Geschäft darunter leiden?
Das glaube ich nicht. Dieses Thema wird eher über das Wirtschaftsministerium laufen. Ich baue auf Robert Habeck, der pragmatisch ist und weiß, dass die Handelsbeziehungen mit China extrem wichtig sind für die deutsche Wirtschaft. Oder aber es greift die Richtlinienkompetenz des Kanzlers, so dass sich Olaf Scholz selbst darum kümmert.
Im Bereich Arbeit und Soziales sehen Sie auch keine besonderen Einschränkungen?
Die extrem wichtige Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge müssen und werden wir hoffentlich auch mit dieser Koalition gut im Griff haben. Wir haben ja immer eine Deckelung bei 40 Prozent gefordert, und ich glaube auch nicht, dass wir diese in dieser neuen Konstellation überschreiten werden. Der Mindestlohn von zwölf Euro ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie, keine Frage – aber er tangiert unsere Industrie nicht so sehr. In allen anderen Bereichen wie der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen oder der Zeitarbeit sehe ich die Flexibilität der Betriebe nicht eingeschränkt. Insofern denke ich, dass der Koalitionsvertrag die Arbeitskosten nicht weiter erhöht. Es kann sein, dass die IG Metall mit dem einen oder anderen Thema beim Bundesarbeitsminister aufläuft und sagt: Wir hätten es gerne so oder so. Dann werden wir uns natürlich auch positionieren.
Hilft es Ihnen, dass Olaf Scholz als erster Kanzler schon mal Arbeitsminister war?
Es kommt bei einem Bundeskanzler nicht auf Detailkenntnisse in bestimmten Politikfeldern an. In der Situation, in der wir gerade sind, muss ein Kanzler führen und Zukunftsvisionen entwickeln. Auf zu vielen Feldern – wie der Digitalisierung – sind wir zu weit hinten. Ob Olaf Scholz da der Richtige ist, wird sich zeigen. Er war vor der Wahl still, er war während der Koalitionsverhandlungen eher still, und er ist auch jetzt noch hanseatisch zurückhaltend. Viele meiner Mitarbeiter in der Produktion fühlen sich noch nicht so richtig aufgerufen. Ein Regierungschef muss die Menschen mitnehmen und begeistern. Da bin ich mal gespannt, was da kommt.
Zu begeistern dürfte schwierig werden in der Coronakrise?
Wir haben noch ganz schwierige Wochen vor uns. Da ist von einem Regierungschef vor allem Ehrlichkeit und Offenheit gefordert, zu sagen, was jetzt notwendig ist.
Das Gespräch führte Matthias Schiermeyer, Stuttgarter Zeitung. Erschienen am 27. November 2021.