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Arbeitszeit

Die Arbeits­welt befindet sich im Wandel: Digi­ta­li­sie­rung, Fach­kräf­temangel, inter­na­ti­o­nale Zusam­me­n­a­r­beit und der Wunsch nach mehr Selbst­be­stim­mung erfordern neue arbeits­zeit­po­li­ti­sche Antworten. Die geltenden Rege­lungen zur Arbeits­zei­t­er­fas­sung und Höchst­a­r­beits­zeit sind nicht mehr zeitgemäß und stehen einer modernen Arbeits­or­ga­ni­sa­tion zunehmend im Weg.

Wissenschaftliche Expertise: Flexibilisierung ist rechtlich möglich

Präsentation der Arbeitszeitgutachten auf der BPK / Foto © Gesamtmetall
Foto: Gesamtmetall; Präsentation der Arbeitszeitgutachten auf der BPK

Spätes­tens seit den Entschei­dungen des Euro­pä­i­schen Gerichts­hofs vom 14. Mai 2019 und des Bundes­a­r­beits­ge­richts vom 13. September 2022 ist klar: Der gesetz­liche Rahmen muss refor­miert werden. Doch statt diesen Wandel aktiv zu gestalten, setzt das Bundes­mi­nis­te­rium für Arbeit und Soziales bisher auf mehr Kontrolle und Büro­kratie – und ignoriert dabei zentrale Erkennt­nisse aus Wissen­schaft und Praxis. Gesamt­me­tall hat daher drei renom­mierte Profes­soren beauf­tragt, die recht­li­chen und perso­nal­wirt­schaft­li­chen Spiel­räume für eine moderne Arbeits­zeit­ge­stal­tung zu analy­sieren:

  • Prof. Dr. Stowasser (ifaa Düsseldorf) zeigt in seinem Gutachten, wie wichtig flexible Arbeitszeitmodelle für Motivation, Produktivität und Vereinbarkeit sind – und welche Risiken mit einer pauschalen Pflicht zur minutengenauen Zeiterfassung verbunden sind.
  • Prof. Dr. Thüsing (Universität Bonn) legt dar, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung europäischer Vorgaben erhebliche Spielräume hat – und keineswegs zu einer flächendeckenden Erfassung verpflichtet ist.
  • Prof. Dr. Höpfner (Universität zu Köln) analysiert die unionsrechtlichen Mindestvorgaben und kommt zu dem Schluss, dass eine differenzierte, praxisnahe Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung möglich und geboten ist.

Die Gutachten belegen: Eine Flexi­bi­li­sie­rung des Arbeits­zeit­rechts ist rechtlich möglich und wirt­schaft­lich notwendig. Eine umfas­sende Arbeits­zei­t­er­fas­sung für alle Beschäf­tigten ist dabei weder euro­pa­recht­lich zwingend noch arbeits­or­ga­ni­sa­to­risch sinnvoll.

Eine filmische Zusam­men­fas­sung der Vorstel­lung der Gutachten finden Sie hier:

Politische Verantwortung: Koalitionsvertrag muss eingelöst werden

Der im April 2023 veröf­fent­lichte Refe­ren­ten­ent­wurf des Bundes­mi­nis­te­riums für Arbeit und Soziales zur Arbeits­zeitauf­zeich­nung war ein deut­li­cher Rück­schritt. Statt moderner und praxis­ge­rechter Lösungen enthielt er ein büro­kra­ti­sches Regelwerk, das die Vertrau­ens­a­r­beits­zeit faktisch abschaffen und die tägliche Arbeits­or­ga­ni­sa­tion erheblich erschweren würde. Die Kritik aus Wirt­schaft, Wissen­schaft und Praxis war entspre­chend eindeutig: Der Entwurf war geprägt von Wider­sprüch­lich­keit, Fort­s­chritts­ver­wei­ge­rung und einem grund­sätz­li­chen Miss­trauen gegenüber den Beschäf­tigten.

Umso wichtiger ist es, dass die aktuelle Bundes­re­gie­rung ihren eigenen Koali­ti­ons­ver­trag ernst nimmt. Darin ist klar verein­bart, die gesetz­liche Einfüh­rung einer Wochen­a­r­beits­zeit umzu­setzen und die Vertrau­ens­a­r­beits­zeit rechts­si­cher abzu­si­chern. Beide Maßnahmen sind zentrale Bausteine für eine moderne Arbeits­zeit­ge­stal­tung, die Flexi­bi­lität und Selbst­be­stim­mung ermög­licht, ohne den Schutz der Beschäf­tigten zu gefährden. Werden diese Zusagen nicht eingelöst, verliert die Bundes­re­gie­rung massiv an Glaub­wür­dig­keit – nicht nur in Bezug auf ihre wirt­schafts­po­li­ti­schen Verspre­chen, sondern auch hinsicht­lich ihrer gene­rellen Reform­fä­hig­keit. Unter­nehmen und Beschäf­tigte brauchen Verläss­lich­keit und Vertrauen in die poli­ti­sche Gestal­tungs­kraft – gerade in Zeiten des Wandels. Gesamt­me­tall fordert die Bundes­re­gie­rung auf, ihre Zusagen einzu­halten und die Wirt­schafts­wende glaub­würdig umzu­setzen. Die Einfüh­rung einer gesetz­li­chen Wochen­a­r­beits­zeit und die rechts­si­chere Absi­che­rung der Vertrau­ens­a­r­beits­zeit sind zentrale Bausteine einer modernen Arbeits­zeit­po­litik.

Reform nur als umfassendes Gesamtkonzept

Die Reform des Arbeits­zeit­rechts darf nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Erfor­der­lich ist ein umfas­sendes Konzept, das die Spiel­räume der EU-Arbeits­zei­tricht­linie nutzt und gleich­zeitig den Schutz der Beschäf­tigten wahrt:

  • Gesetzliche Einführung einer Wochenarbeitszeit
    Die starre Tageshöchstarbeitszeit muss durch eine Wochenhöchstarbeitszeit ersetzt werden. Das schafft Flexibilität für Unternehmen und Beschäftigte – ohne längere Arbeitszeiten zu erzwingen. Die Wochenarbeitszeit muss unmittelbar gesetzlich verankert werden – nicht nur über Tarifverträge. Millionen Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Betrieben dürfen nicht von der Flexibilisierung ausgeschlossen werden.
  • Rechtssichere Ausnahme für Vertrauensarbeitszeit
    Eine freiwillige Vereinbarungslösung muss gesetzlich verankert werden. Sie erlaubt es Arbeitgebern und Beschäftigten, Vertrauensarbeitszeit zu vereinbaren – mit der Möglichkeit, jederzeit zur Zeiterfassung zurückzukehren. Das stärkt Eigenverantwortung und schützt gleichzeitig die Beschäftigten.
  • Flexibilisierung der Ruhezeitregelung durch Sozialpartner
    Die geltende Ruhezeitregelung muss durch eine unbeschränkte Öffnungsklausel für die Sozialpartner ergänzt werden. So können branchenspezifische und bedarfsgerechte Lösungen rechtssicher umgesetzt werden.
  • Richtlinienkonforme Ausnahmen für autonom arbeitende Angestellte
    Flankierend hierzu ist die derzeit restriktive Bereichsausnahme für leitende Angestellte im Einklang mit dem europäischen Recht zu erweitern.

Jetzt handeln – für ein modernes Arbeitszeitrecht

Die Reform des Arbeits­zeit­rechts ist eine Chance für mehr Flexi­bi­lität, Eigen­ver­ant­wor­tung und Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Gesamt­me­tall setzt sich dafür ein, dass diese Chance genutzt wird – mit einem modernen, rechts­si­cheren und praxi­s­taug­li­chen Gesamt­kon­zept, das den Anfor­de­rungen der heutigen Arbeits­welt gerecht wird.