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Bürokratie-Schizophrenie der EU-Politik

„Business as usual“. So lässt sich die EU-Politik des vergan­genen Jahres wohl am besten beschreiben. Die EU-Insti­tu­ti­onen arbei­teten stur ihr Arbeits­pro­gramm ab und treiben die Büro­kra­tie­kosten für die Indus­trie­un­ter­nehmen in neue, ungeahnte Höhen. Statt die Wirt­schaft zu entlasten, die durch den Ukraine-Krieg extreme Heraus­for­de­rungen bewäl­tigen muss,setzt die EU leider überall noch einen drauf. Gesamt­me­tall hat immer wieder ein Belas­tungs­mo­ra­to­rium für die M+E-Unter­nehmen gefordert, doch bislang bleibt Brüssel weitest­ge­hend stur. Dabei steht die Euro­pa­wahl vor der Tür.

Bürokratie-Schizophrenie der EU-Politik / Foto © generative KI by AdobeFirefly

Also, was will die EU? Mehr oder weniger Büro­kratie? Eine wort­reiche Erklärung der EU-Kommis­sion, nach der sie die Büro­kra­tie­lasten für die Unter­nehmen auf EU-Ebene abbauen wolle, zeigt wieder mal, Papier ist geduldig.

Bürokratie in der EU

„Die weitere Straffung der Berichtspflichten und die Verringerung des Verwaltungsaufwands sind eine Priorität der Kommission. Eignungsprüfungen, die bereits in mehreren Politikbereichen durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass das Potenzial besteht, die Anforderungen zu vereinfachen und die Berichterstattungskosten zu senken. Die Kommission wird neue Anstrengungen unternehmen, um die Berichtspflichten für Unternehmen und Verwaltungen zu rationalisieren und zu vereinfachen, und vor dem Herbst für jeden der Themenbereiche Umwelt, Digitalisierung und Wirtschaft erste Vorschläge vorlegen. Ziel sollte eine Verringerung solcher Lasten um 25 Prozent sein.“

Mitteilung der Europäischen Kommission vom 16.03.2023 zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der EU, S. 18

Die Realität sieht leider völlig anders aus. Drei Beispiele:

Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung

Die neue Richt­linie der EU zur Nach­hal­tig­keits­be­richt­er­stat­tung (CSRD) verschärft die Berichts­pflichten und weitet sie darüber hinaus auch auf den Mittel­stand aus. Hinsicht­lich der geplanten Bericht­er­stat­tungs­stan­dards, an die sich die Unter­nehmen künftig halten sollen, hat die Kommis­sion mitt­ler­weile zwölf (!) Entwürfe vorgelegt, die zusammen 339 Seiten umfassen. Hinzu kommen sechs Anhänge mit nochmals 134 Seiten.

Lieferketten-Regulierung

Während das deutsche Liefer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz (LkSG) zehn inter­na­ti­o­nale Menschen­rechts- und drei Umwelt­schutz­ab­kommen enthält, die bei den Sorg­falts­pflichten berück­sich­tigt werden müssen, umfasst der Kommis­si­ons­vor­schlag der Richt­linie bereits 22 Menschen­rechts- und sieben Umwelt­schutz­ab­kommen. Aus dem Euro­pä­i­schen Parlament werden Forde­rungen laut, diesen Katalog auf über 80 Dokumente auszu­weiten – darunter neben inter­na­ti­o­nalen Abkommen auch zahl­reiche völker­recht­lich völlig unver­bind­liche Erklä­rungen.

Das LkSG sieht vor, dass die Unter­nehmen jährlich einen umfang­rei­chen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorg­falts­pflichten vorlegen müssen. Diese Berichts­pflicht ist nicht
mit den Berichts­pflichten der Nach­hal­tig­keits­be­richt­er­stat­tungs-Richt­linie koor­di­niert und führt deshalb zu voll­kommen unnötiger Doppel­be­las­tung der Unter­nehmen. Das Bundesamt für Wirt­schaft und Ausfuhr­kon­trolle (BAFA) hat einen Berichts­fra­ge­bogen erar­beitet, anhand dessen die Unter­nehmen ihrer Berichts­pflicht nach dem LkSG nach­kommen sollen. Der Frage­bogen enthielt zunächst 437 Fragen!

Hinzu kommt: Im Dezember 2022 – nur zwei Monate nach der Einigung auf ein Belas­tungs­mo­ra­to­rium – hat die Bundes­re­gie­rung einer Posi­tio­nie­rung der Mitglied­s­taaten zur EU-Liefer­ketten-Richt­linie zuge­stimmt, die weit über das deutsche Liefer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz hinaus­geht. Die Regeln, die die Unter­nehmen gerade unter großen Mühen umsetzen, werden also bald – mit Unter­stüt­zung der Bundes­re­gie­rung – abge­än­dert und noch einmal erheblich verschärft. Damit müssen die Unter­nehmen die Prozesse, die sie aktuell aufbauen, bald schon wieder umstellen.

EU-Entgelttransparenz-Richtlinie

Die EU-Entgelt­trans­pa­renz-Richt­linie sieht vor, dass Unter­nehmen mit mehr als 250 Arbeit­neh­mern künftig jährlich unter anderem über folgende Aspekte berichten müssen:

  • das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle – auch bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen,
  • das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle – auch bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen,
  • den Anteil der Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten.

Stand: Juni 2023