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Bürokratieabbau

Gebur­ten­schwache Jahrgänge werden auch die Behörden in den kommenden Jahren schrumpfen lassen – bei gleich­blei­bend hohem Regu­lie­rungs­tempo auf allen föderalen Ebenen. Somit werden wir schon in wenigen Jahren an einen Punkt kommen, an dem die Verwal­tungen mit ihren beste­henden Struk­turen nicht mehr alle Regu­lie­rungen werden umsetzen können. Aktuelle Zahlen liefert die Bundes­re­gie­rung selber: „Galten am 1. Januar 2014 noch 1.671 Gesetze mit 44.216 Einzel­normen, so waren es zu Beginn dieses Jahres schon 1.792 Gesetze, die aus insgesamt 52.155 Einzel­normen bestanden. Dichter ist das Dickicht der Vorschriften aller­dings nicht nur auf der Ebene der vom Bundestag beschlos­senen Gesetze geworden, sondern auch bei den Rechts­ver­ord­nungen, mit denen die Exekutive die Details regelt. Am Stichtag 1. Januar 2014 gab es laut Bundes­re­gie­rung 2.720 bundes­recht­liche Verord­nungen mit 38.192 Einzel­normen. Zehn Jahre später bestanden die zum Stichtag 1. Januar geltenden 2.854 Rechts­ver­ord­nungen des Bundes aus 44.272 Einzel­normen.“

Bürokratieabbau / Fotos © AdobeStock/industry views, AdobeStock/PRILL

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand sind durch Bürokratie bedroht

Was im Privaten – bei der Anmeldung eines Autos oder der Bean­tra­gung eines Ausweises – nervig ist, kann in der Wirt­schaft schnell exis­tenz­be­dro­hend für die Unter­nehmen und den Wirt­schafts­s­tandort Deut­sch­land werden. Wenn ein Unter­nehmen einen neuen Standort aufbauen möchte und es die Wahl zwischen einem jahre­langen Behör­den­krieg mit unter­schied­lichsten Kommunal- und Landes­ver­wal­tungen und einem schnellen, digitalen Verfahren im EU-Ausland hat, ist die Entschei­dung in der Regel klar. Allein 45 Prozent aller Büro­kra­tie­kosten entfallen auf die Steu­er­ver­wal­tung.

Gerade für den Mittel­stand sind die immer zahl­rei­cher werdenden lähmenden Auflagen, von Berichts­pflichten bis zu statis­ti­schen Erhe­bungen, kaum noch zu bewäl­tigen. Hier bedeuten einzelne Verwal­tungs­stellen, die neu geschaffen werden müssen, bereits einen erheb­li­chen Kosten­faktor, der nicht durch Skalen­ef­fekte aufge­fangen werden kann. 65 Milli­arden Euro betragen die durch Büro­kratie des Bundes verur­sachten Kosten für die Wirt­schaft. Laut einer Gesamt­me­tall-Umfrage zur Wahr­neh­mung von Büro­kratie unter Unter­nehmen der M+E-Industrie gaben Drei­viertel an, schlechte Büro­kratie-Erfah­rungen gemacht zu haben.

Es muss endlich ein Büro­kra­tie­abbau-Ruck durch Deut­sch­land gehen und der muss disruptiv sein. Deut­sch­land muss zu detail­reiche Berichts­pflichten abschaffen, muss seine Verwal­tungen digi­ta­li­sieren und verknüpfen und Deut­sch­land muss vor allem bei neuen Regu­lie­rungen nicht immer das Maximum erreichen wollen, sondern das, was die Verwal­tung gemeinsam mit den Betrof­fenen auch umsetzen kann, und auch auf Regu­lie­rung verzichten. Deut­sch­land kann es sich schlicht nicht mehr leisten, bei jeder EU-Regu­lie­rung noch eine Schippe an Genau­ig­keit und Doku­men­ta­tion drauf­zu­legen. Nur mit weniger Formular- und Verfah­rens­wirr­warr wird „Made in Germany“ künftig nicht nur ein Quali­täts­ver­spre­chen auf Produkten sein, sondern auch eine Einladung, Indus­trie­pro­duk­tion in Deut­sch­land zu halten und auch wieder neu anzu­sie­deln. Nur mit schnellen, digitalen Verfahren ist Einwan­de­rung attraktiv und ohne die Einwan­de­rung von Fach­kräften werden bald noch mehr Stellen unbesetzt bleiben – auch in den Verwal­tungen.

Drei Bürokratieentlastungsgesetze seit 2015

Das Problem ist seit Jahr­zehnten bekannt, und alle poli­ti­schen Kräfte schreiben sich die Entbü­ro­kra­ti­sie­rung auf die Fahnen. Einen Aufschlag machte die Große Koalition 2006 mit ihrem Regie­rungs­pro­gramm „Büro­kra­tie­abbau und bessere Recht­set­zung“. Unter diesem Programm verfolgen seitdem alle Bundes­re­gie­rungen ein Ziel: verständ­liche, einfache und wirksame Rege­lungen.

Zu diesem Zweck wurde der Nationale Normen­kon­trollrat (NKR) 2006 ins Leben gerufen. Zusätz­lich hat die Bundes­re­gie­rung 2012 den Büro­kra­tie­kos­ten­index (BKI) einge­führt. Er zeigt, wie sich die Kosten der Unter­nehmen aus Infor­ma­ti­ons­pflichten in Deut­sch­land verändern. Beschlüsse der Bundes­re­gie­rung, die Auswir­kungen auf die Büro­kra­tie­kosten der Wirt­schaft haben, beein­flussen die Höhe des BKI.

Auf Vorschlag des Nati­o­nalen Normen­kon­troll­rats und nach dem Vorbild Groß­bri­tan­niens wurde 2015 mit der „One in, one out“-Regel eine Büro­kra­tieb­remse einge­führt.

Ebenfalls 2015 kam das erste von drei Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setzen auf Bundes­ebene. Hiermit wurden insbe­son­dere Start-ups von Berichts­pflichten befreit. Das zweite Gesetz trat dann 2017 in Kraft und nahm kleine Unter­nehmen wie Hand­werks­be­triebe in den Fokus. Es wurden unter anderem büro­kra­ti­sche Vorschriften im Steu­er­recht abgebaut und die Digi­ta­li­sie­rung der Verwal­tung voran­ge­trieben. Außerdem wurde die Berech­nung der Beiträge zur Sozi­a­l­ver­si­che­rung verein­facht.

Im Rahmen der Mittel­standss­tra­tegie wurde 2019 das dritte Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setz auf den Weg gebracht. Dieses bein­hal­tete diverse Digi­ta­li­sie­rungs­pro­jekte, wie die Einfüh­rung der elek­tro­ni­schen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung. Zentral war auch die Anhebung der umsatz­steu­er­li­chen Klein­un­ter­neh­mer­grenze, die Anhebung der Grenze zur Lohn­steu­er­pau­scha­lie­rung bei kurz­fris­tiger Beschäf­ti­gung und die Pauscha­lie­rung der Lohn­steuer für beschränkt steu­er­pflich­tige Arbeit­nehmer. Das vierte Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setz wird zeigen, ob die Bundes­re­gie­rung es mit dem Büro­kra­tie­abbau ernst meint.

Gesamtmetall setzt sich für Bürokratieabbau ein

Das Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium hat in der Bundes­re­gie­rung die Feder­füh­rung beim Büro­kra­tie­abbau. Derzeit arbeitet es an einem vierten Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setz und hat dafür Anfang 2023 eine Verbän­de­be­fra­gung durch­ge­führt. Es wurden 57 Verbände befragt und es sind insgesamt 442 Vorschläge einge­reicht worden. Gesamt­me­tall hat trotz kurzer Frist auch seine Mitglieds­ver­bände befragt und zusätz­lich zu den offiziell zehn möglichen Vorschlägen auch die komplette Liste aller Vorschläge zum Büro­kra­tie­abbau einge­reicht. Anschlie­ßend hat das Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium die komplette Liste aller Vorschläge veröf­fent­licht, um damit für Trans­pa­renz im Verfahren zu sorgen. Sieben der zehn von Gesamt­me­tall über das Portal einge­reichten Vorschläge wurden bei fünf Prio­ri­tä­ten­gruppen der Priorität 1 zuge­ordnet, die drei anderen der Priorität 2. Damit hätten alle zehn Vorschläge nach Ansicht des Statis­ti­schen Bundes­amtes das Potenzial gehabt, ins vierte Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setz aufge­nommen zu werden.

Die sieben Vorschläge von Gesamt­me­tall als Priorität 1:

  • Aufwandsreduzierung Lieferkettengesetz
  • Leistungsverweigerungsrecht in Verbindung mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
  • Entschädigungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz bei Quarantäne und Kinderbetreuung
  • Textform statt Schriftform im Nachweisgesetz
  • Rechtssicherheit bei Massenentlassungsanzeige schaffen
  • Einführung einer Umlage als Künstlersozialabgabe
  • Mutterschutzspezifische Gefährdungsbeurteilung

Der vorge­legte Refe­ren­ten­ent­wurf des Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setzes IV bleibt jedoch deutlich hinter den Erwar­tungen zurück. Von den 442 einge­reichten Vorschlägen der im vergangen Jahr von der Bundes­re­gie­rung durch­ge­führten Verbän­de­be­fra­gung zum Büro­kra­tie­abbau hat es nur ein Bruchteil in den Refe­ren­ten­ent­wurf geschafft. Äußerst bedau­e­r­lich ist, dass alle Vorschläge von Gesamt­me­tall mit zum Teil äußerst schwacher Begrün­dung abgelehnt wurden. Dies zeigt den offen­sicht­lich fehlenden Willen von Teilen der Bundes­re­gie­rung beim Büro­kra­tie­abbau. Dies gilt insbe­son­dere für das Bundes­a­r­beits- und das Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­rium.