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Tarifbindung

Gewerk­schaften und Arbeit­geber beschäf­tigt seit Langem intensiv die Frage, wie Flächen­ta­rif­ver­trag und Tarif­bin­dung gestärkt bzw. stabi­li­siert werden können. Diese Frage war auch zentrales Thema der IW-Studie „Einstel­lung zur Tarif­bin­dung in der Metall- und Elektro-Industrie heute“ aus 2017. Die Studie ergab als Haupt­gründe für den Ausstieg aus einer Flächen­ta­rif­ver­trags­bin­dung eine „schlechte Ertrags­lage“, „die Tarif­er­hö­hungen waren damals zu hoch“ und „die Tarif­er­hö­hungen waren zu unfle­xibel“. Da lag die Über­le­gung nahe, wie Tari­f­ab­sch­lüsse die zunehmend hete­ro­gene wirt­schaft­liche Lage der M+E-Unter­nehmen abbilden könnten, um Verbands­austritte und den Ausstieg aus der Flächen­ta­rif­bin­dung zu vermeiden.

Gesamtmetall zum Thema Tarifbindung / Foto © AdobeStock/domoskanonos
Foto © AdobeStock/domoskanonos

Automatische Differenzierung und Variabilisierung stabilisieren die Tarifbindung

Mit dem M+E-Tari­f­ab­schluss 2021 gelang es, ein funk­ti­o­na­bles, einfaches Instru­ment zu schaffen, das erstmals die Verein­ba­rung einer auto­ma­ti­schen, krite­ri­en­ba­sierten Diffe­ren­zie­rung bein­hal­tete. Dies bedeutet, bei Erfüllen eines Krite­riums – hier eine Netto­um­satz­ren­dite von unter 2,3 Prozent – entfällt die Zahlung des T-ZUG (B) durch einfache Erklärung des Arbeit­ge­bers. Eine solche Diffe­ren­zie­rung innerhalb der tarif­ver­trag­li­chen Rege­lungen ist notwendig, um die hete­ro­gene Lage der Industrie abzu­bilden und ihr gerecht zu werden. Die Mitglieds­un­ter­nehmen haben das Instru­ment dankbar ange­nommen und es vertrau­ens­voll und umsichtig ange­wendet.

In Baden-Würt­tem­berg wurde in der M+E-Tarif­runde 2021 zudem die Vari­a­bi­li­sie­rung der betrieb­li­chen Sonder­zah­lung verein­bart. Dort kann nunmehr durch frei­wil­lige Betriebs­ver­ein­ba­rung in Abhän­gig­keit von betrieb­lich verein­barten Kenn­zahlen die betrieb­liche Sonder­zah­lung um bis zu 50 Prozent erhöht oder gekürzt werden.

Ein Gegen­bei­spiel ist das Thema Arbeits­zeit. In der Metall- und Elektro-Industrie sind zwar fast zwei Drittel der flächen­ta­rif­ge­bun­denen Unter­nehmen mit ihrem Arbeits­zeit­vo­lumen und ihren Möglich­keiten zur flexiblen Arbeits­zeit­ge­stal­tung zufrieden oder eher zufrieden. Die mit dem Tari­f­ab­schluss 2018 einge­führten neuen arbeits­zeit­po­li­ti­schen Instru­mente „verkürzte Vollzeit“ und das Wahlm­odell „T-ZUG“ werden jedoch weniger positiv aufge­nommen. Das zeigt eine weitere IW-Studie. Aller­dings können die Unter­nehmen ihren betrieb­li­chen Spielraum zur Auswei­tung der regulären Wochen­a­r­beits­zeit durch die Nutzung neuer Quoten­re­ge­lungen erweitern. Insgesamt finden die Unter­nehmen die Arbeits­zeit­re­ge­lungen weniger prak­ti­kabel. Zudem sinkt durch die neuen Arbeits­zeit­re­ge­lungen bei gut einem Drittel der Unter­nehmen die Verbun­den­heit zum Flächen­tarif. Dabei bestehen zwischen kleinen und mittleren sowie größeren Unter­nehmen keine Unter­schiede.

Auch die bereits ganz oben erwähnte Studie zeigte, dass die Höhe der Entgelte und das tarif­liche Arbeits­zeit­vo­lumen für M+E-Unter­nehmen ohne Tarif­ver­trag am stärksten gegen eine Tarif­bin­dung sprechen.

Tarifbindungspflicht könnte die Produktion vieler Betriebe am Standort Deutschland gefährden

Der Tarif­ver­trag in der Metall- und Elektro-Industrie garan­tiert einheit­liche, hoch­wer­tige Arbeits­be­din­gungen für die Beschäf­tigten der tarif­ge­bun­denen Unter­nehmen der M+E-Industrie. Durch die mit dem Tarif­ver­trag verbun­dene Frie­dens­pflicht können die Unter­nehmen im Gegenzug streik- und störungs­frei produ­zieren. Der Tarif­ver­trag soll hierbei eine zuver­läs­sige Planungs­grund­lage für Beschäf­tigte und Unter­nehmen bieten und wett­be­werbs­fä­hige Bedin­gungen für den Standort Deut­sch­land garan­tieren. Die rück­läu­fige Entwick­lung der Tarif­bin­dung im Mittel­stand zeigt aber, dass die im Tarif­ver­trag ausge­han­delten Kondi­ti­onen für Lohn- und Arbeits­zeit­re­ge­lungen von einer stei­genden Anzahl von mittel­stän­di­schen Unter­nehmen nicht mehr garan­tiert werden können, um im inter­na­ti­o­nalen Wett­be­werb bestehen zu können.

Trotzdem wird politisch darüber disku­tiert, tarif­liche Rege­lungen auf Tarifau­ßen­seiter zu erstre­cken, um auf diese Weise die Tarif­bin­dung zu stärken. Solche Forde­rungen nach einer voll­stän­digen Tarif­bin­dung von 100 Prozent lassen außer Acht, dass es sich bei den Firmen, die sich an die Tarif­ver­trags­re­ge­lungen binden, um eine Posi­tivs­e­lek­tion wirt­schaft­lich besonders erfolg­rei­cher Firmen handelt. Vor allem große Firmen aus kapi­tal­in­ten­siven Branchen binden sich aktuell an den ausge­han­delten Tarif­ver­trag, während viele kleine und mittlere Unter­nehmen es sich zu den beste­henden Tarif­kon­di­ti­onen nicht leisten können, ihr Lohn­ge­füge auf eine solch hohe Ebene zu stellen.

Die Effekte der Einfüh­rung einer solchen Tarif­bin­dungs­pflicht sind mit großen Unsi­cher­heiten verbunden. Als Primär­ef­fekt würden die Arbeits­kosten in den heute nicht tarif­ge­bun­denen Betrieben stark steigen. Dies könnte die Produk­tion vieler Betriebe am Standort Deut­sch­land gefährden, so eine IW-Studie. Wie groß diese Effekte in der Praxis ausfallen würden, kann auf Basis der heutigen Erkennt­nisse nicht exakt bestimmt werden. Sicher kann aber gesagt werden, eine Stärkung von Tarif­au­to­nomie und Tarif­bin­dung gelingt zuvor­derst durch wett­be­werbs­fä­hige Tarif­ver­träge.