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Tarifeinheit

Bei tarif­ge­bun­denen Unter­nehmen bestimmt der Tarif­ver­trag, wie die Arbeits­be­zie­hungen mit den Mita­r­bei­tern gestaltet sind. Der Tarif­ver­trag wird mit derje­nigen Gewerk­schaft geschlossen, die für die Branche zuständig ist: Das gilt für Flächen- wie für Haus­ta­rif­ver­träge. Dabei können grund­sätz­lich verschie­dene Gewerk­schaften zuständig sein, zum Beispiel weil es für die gesamte Branche mehrere Gewerk­schaften gibt oder weil sich eine Spar­ten­ge­werk­schaft gebildet hat, die einzelne Berufs­gruppen im Wett­be­werb mit der allge­meinen Bran­chen­ge­werk­schaft orga­ni­siert (so konkur­rieren ver.di als Bran­chen­ge­werk­schaft und der Marburger Bund als Spezi­a­lis­ten­ge­werk­schaft um die Kran­ken­hau­s­ärzte).

Foto: Frank Eppler

Als ein Gebot der Rechts­si­cher­heit und Klarheit galt bis 2010 nach der Recht­spre­chung des Bundes­a­r­beits­ge­richts (BAG) der gesetz­lich nicht fixierte Grundsatz der Tari­fein­heit:

Innerhalb eines Betriebes ist nur ein Tarif­ver­trag anzu­wenden, auch wenn mit konkur­rie­renden Gewerk­schaften für die gesamte Beleg­schaft oder Teile von ihr inhalt­lich von einander abwei­chende Tarif­ver­träge geschlossen wurden. Hierzu kann es vor allem kommen, wenn eine Spar­ten­ge­werk­schaft aufgrund der Schlüs­sel­stel­lung ihrer Mitglieder (zum Beispiel Lokführer) in hohem Maße streik­fähig ist. Zur Anwendung kam bisher der spezi­el­lere Tarif­ver­trag – also derjenige, der dem Betrieb aufgrund seines räum­li­chen, betrieb­li­chen, fach­li­chen und persön­li­chen Geltungs­be­reichs am nächsten steht.

Dadurch waren ein Haus­ta­rif­ver­trag vorrangig vor einem Bran­chen­ta­rif­ver­trag anzu­wenden – und ein Tarif­ver­trag, der die gesamte Beleg­schaft erfasst, vorrangig vor einem Tarif­ver­trag, der lediglich für eine bestimmte Beschäf­tig­ten­gruppe gilt.

Der Bundestag hat das Prinzip der Tari­fein­heit gesetz­lich wieder fest­ge­schrieben und zum 3. Juli 2015 das Tari­fein­heits­ge­setz in Kraft gesetzt. Nach § 4a Tarif­ver­trags­ge­setz ist bei Vorliegen kolli­die­render Tarif­ver­träge verschie­dener Gewerk­schaften nur derjenige Tarif­ver­trag im Betrieb anwendbar, dessen abschlie­ßende Gewerk­schaft die meisten Mitglieder im Betrieb hat. Sollte über diese Regelung ein Tarif­ver­trag verdrängt werden, hat die betrof­fene Gewerk­schaft ein Recht auf Nach­zeich­nung der verdrän­genden Bestim­mungen, so dass diese auch für die Mitglieder der „Minder­heits-Gewerk­schaft“ gelten. Die betei­ligten Tarif­ver­trags­par­teien haben außerdem weiterhin die Möglich­keit, eine solche Situation der Über­schnei­dung über den Geltungs­be­reich des Tarif­ver­trages zu vermeiden.

Mit Urteil vom 11. Juli 2017 hat das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt das Tari­fein­heits­ge­setz bestätigt und grund­sätz­lich für mit dem Grund­ge­setz vereinbar erklärt. Es hat damit für Klarheit gesorgt und das Prinzip ‚Ein Betrieb – ein Tarif­ver­trag‘ bestätigt. In der Begrün­dung verweist das Gericht u.a. darauf, dass es kein Recht auf unbe­schränkte tarif­po­li­ti­sche Verwert­bar­keit von Schlüs­sel­po­si­ti­onen und Blocka­de­macht zum eigenen Nutzen gibt. Es gebe auch keine generelle Bestands­ga­rantie für einzelne Koali­ti­onen. Die Herstel­lung und Sicherung der Funk­ti­ons­fä­hig­keit des Systems der Tarif­au­to­nomie sei ein legitimes Ziel des Gesetz­ge­bers. Dabei könne der Gesetz­geber auch Rege­lungen treffen, um struk­tu­relle Voraus­set­zungen zu schaffen, dass Tarif­ver­hand­lungen einen fairen Ausgleich ermög­li­chen.

Gesamt­me­tall begrüßt diese Entschei­dung. Ohne die Tari­fein­heit könnten kleine Spezi­a­lis­ten­ge­werk­schaften mit hohem Erpres­sungs­po­ten­tial zu einer Verschie­bung des Kräf­te­gleich­ge­wichts führen. Die part­ner­schaft­liche Tarif­po­litik zum Nutzen der gesamten Beleg­schaft würde erschwert werden. Insbe­son­dere beschäf­ti­gungs­si­chernde und -fördernde Tarifre­ge­lungen wären unmöglich, wenn einzelne Gruppen ihre Inter­essen ohne Rücksicht auf die Gesamt­heit durch­setzen könnten. Letzt­end­lich stand auch die frie­dens­si­chernde Funktion des Flächen­ta­rif­ver­trags auf dem Spiel, da während der Laufzeit des Flächen­ta­rif­ver­trags jederzeit Arbeits­kämpfe ohne Rücksicht auf die Gesamt­be­leg­schaft geführt hätten werden können.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat in seinem Urteil aber Vorkeh­rungen gefordert, dass Belange von Ange­hö­rigen einzelner Berufs­gruppen oder Branchen im Hinblick auf die Verdrän­gung von beste­henden Tarif­ver­trägen berück­sich­tigt werden. Zu diesem Punkt ist bis zum 31. Dezember 2018 eine gesetz­liche Regelung zu treffen.