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„Union und SPD haben eine große Verpflichtung“

Koali­ti­ons­ver­hand­lungen

Was die Politik von Tarifrunden lernen kann, erklärt Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf im Interview mit der FAZ:

Herr Wolf, als Tarif­po­li­tiker, Manager und Mana­ge­ment­be­rater sind Sie ein Profi für komplexe Verhand­lungs­si­tua­ti­onen. Was würden Sie Union und SPD raten – wie sollten sie den Prozess der Koali­ti­ons­ver­hand­lungen aufsetzen, damit er gut funk­tio­niert?

Ganz wichtig ist, solche Prozesse im Voraus gut zu struk­tu­rieren und einen klaren, straffen Zeitplan vorzu­geben. Bestimmte Themen­blöcke in kleinere Fach­a­r­beits­gruppen auszu­la­gern und da vorzu­klären, ist ebenfalls ratsam. Aller­dings dürfen diese nicht zu viel Eigen­leben entwi­ckeln. Sie arbeiten im vorab fest­ge­legten Rahmen den Verhand­lungs­füh­rern zu. Die wiederum müssen die fachliche Arbeit gut mode­rieren und auf das Ziel der ange­strebten Gesamt­lö­sung hinsteuern.

Was gibt es noch zu beachten?

Außerdem, auch das zeigt die Erfahrung aus vielen Tarif­ver­hand­lungen, ist es hilfreich, wenn beide Seiten zu Beginn gewisse rote Linien markieren. Die dürfen natürlich nicht will­kür­lich sein, sonst droht Total­blo­ckade. Aber wenn die jeweils andere Seite ein Bild davon hat, wo die eigenen Tabuzonen beginnen, dann entsteht ein Verhand­lungs­kor­ridor. Der ist am Anfang sehr weit. Begibt man sich dann hinein, rückt man sich Stück für Stück näher und steuert irgend­wann auf das gemein­same Ergebnis zu.

Tarif­par­teien sind letzten Endes zu einer Einigung verdammt. Poli­ti­sche Parteien können auch sagen: Soll doch jemand anders die Kompro­misse schließen.

Wenn sich Tarif­par­teien einer Einigung komplett verwei­gern, gibt es am Ende keinen Tarif­ver­trag mehr. Unter den gegebenen Umständen würde ich sagen: Sollten Union und SPD jetzt keine Einigung hinkriegen, geht auch für sie mehr verloren als eine Chance auf gemein­sames Regieren. Arbeit­geber und Gewerk­schaften sehen es, bei allen Konflikten, als ihre Verpflich­tung an, die Tarif­au­to­nomie zu wahren. Jetzt haben Union und SPD eine große Verpflich­tung für unser demo­kra­ti­sches Gemein­wesen.

Roten Linien für den Verhand­lungs­pro­zess – welche schweben ihnen da vor?

Die erste liegt auf der Hand: Die Menschen erwarten eine schnelle, wirksame Regelung, um irre­gu­läre Migration zu begrenzen und eine Befrie­dung dieses gesell­schaft­li­chen Konflikts zu ermög­li­chen. Eine Regierung, die da nichts liefert, hätte versagt. Wir brauchen, zweitens, klare Schritte – nicht nur Worte – zum Rückbau über­bor­dender Büro­kratie. Digi­ta­li­sie­rung und künst­liche Intel­li­genz müssen endlich Chefsache werden, die Moder­ni­sie­rung unseres Staates darf kein poli­ti­sches Anhängsel von irgendwas mehr sein, sondern das Thema ist ganz zentral. Drittens brauchen wir Steu­er­er­leich­te­rungen für Unter­nehmen, aber auch für die Beschäf­tigten. Ebenso nötig ist die Rückkehr zu einer Begren­zung der Sozi­al­bei­träge auf 40 Prozent des Brut­to­lohns. Viertens muss die Bildungs­po­litik endlich liefern, was nur mit einer starken Rolle des Bundes gehen wird. Und, nicht zuletzt: Wir brauchen wieder eine vernünf­tige Ener­gie­po­litik und wett­be­werbs­fä­hige Strom­preise.

Wie detail­liert sollte ein Koali­ti­ons­ver­trag sein, damit er der Regierung eine stabile Grundlage bietet?

Ich empfehle einen Koali­ti­ons­ver­trag, der zu den wich­tigsten Aufgaben klare, belast­bare Grund­aus­sagen trifft, sich aber nicht in Details verliert. Als Tarif­par­teien haben wir da einen Lern­pro­zess hinter uns. Über Jahre wurden unsere Tarif­ver­träge immer klein­tei­liger. Aber das hat uns Kritik und Frust unserer Mitglieder einge­bracht. Was nützt ein fein­zi­se­lierter Kompro­miss, wenn sich damit im Alltag nichts anfangen lässt, weil er zu kompli­ziert ist? Ich bin froh, dass wir uns in der Tarif­runde 2024 daran gemacht haben, Sach­ver­halte wieder möglichst klar und einfach zu regeln, und das in sehr gutem Einver­nehmen mit der IG-Metall-Vorsit­zenden Chris­tiane Benner.

Ihre Vorschläge für rote Linien haben Sie gemacht. Glauben Sie, dass Friedrich Merz die ähnlich zieht?

Wenn ich mich an seinen Aussagen der Union im Wahlkampf orien­tiere, gibt es da viele Über­ein­stim­mungen. Natürlich gehört beim Thema Sozi­al­staat auch eine Korrektur des Bürger­gelds dazu. Das Gefühl, dass sich Arbeiten nicht mehr richtig lohnt, hat sich ja nicht zufällig gerade im Arbei­ter­mi­lieu verbreitet, einer früheren SPD-Klientel. Das ist ähnlich wie mit der Migra­ti­ons­frage: Eine Regierung, die diesem Gefühl nicht die Grundlage entzieht, kann nicht erfolg­reich sein.

Glauben Sie, dass man beim Bürger­geld sechs Milli­arden Euro im Jahr einsparen kann, wie es Merz ange­kün­digt hat? 

Ja, das halte ich für realis­tisch. Und mit einer wirk­sa­meren Migra­ti­ons­po­litik gäbe es weniger Menschen, die vom Sozi­al­staat versorgt werden müssen, obwohl sie kein Blei­be­recht haben. Und genauso halte ich es für plausibel, dass unter den heute vier Millionen arbeits­fä­higen Menschen im Bürger­geld einige Prozent sind, die künftig arbeiten oder sich aus der Grund­si­che­rung abmelden, wenn wieder klar ist, dass diese eine Hilfe für Menschen in Notlagen ist.

Wie finden Sie die poli­ti­sche Idee, der neuen Regierung noch schnell mit der alten Bundes­tags­mehr­heit eine Grund­ge­set­z­än­de­rung auf den Weg zu geben, damit sie mehr Schulden für Bundes­wehr und Infra­s­truktur machen kann?

Das kommt mir nicht richtig vor. Wenn in einer Firma schon ein neuer Geschäfts­führer oder CEO bestellt ist, dann würde ein Vorgänger niemals kurz vor seinem Ausscheiden so weit­rei­chende Entschei­dungen treffen, jeden­falls nicht ohne dessen Zustim­mung. 

Der künftige CEO im Bundestag ist aber – so gesehen – die Links­partei. Bei ihr liegt faktisch die Entschei­dung, ob eine Zwei­drit­tel­mehr­heit für Grund­ge­set­z­än­de­rungen zustande kommt…

Okay, natürlich gibt’s an der Unter­neh­mens­spitze keine Links­partei. Da stößt der Vergleich an Grenzen. Aber über­zeu­gend finde ich diese Idee grund­sätz­lich trotzdem nicht, auch wenn ich den Finan­zie­rungs­be­darf der Bundes­wehr voll und ganz anerkenne.

Sie hätte viel­leicht den Vorzug, dass die Regierung nicht gleich Steuern erhöhen muss, um ihren ersten Etat zusam­men­zu­kriegen. Hat das nichts für sich?

Steu­er­er­hö­hungen? Entschul­di­gung, wir brauchen Steu­er­ent­las­tungen, sonst geht es mit unserer Industrie und dem Standort Deut­sch­land weiter abwärts. Schauen Sie sich die Unter­neh­mens­steuern in anderen Ländern an: Wo sie niedriger sind als bei uns, wird mehr inves­tiert. Oder nehmen Sie die Einkom­men­steuer: Wie entscheidet sich wohl ein gesuchter IT-Spezi­a­list aus Bangalore, wenn er zwischen 35 Prozent Steu­er­satz in der Schweiz, 30 Prozent in Amerika und 48 Prozent inklusive Soli in Deut­sch­land wählen kann?

Aber woher kommt der Spielraum für Entlas­tungen, wenn nicht aus Schulden?

Mag sein, dass man mit zeitlich gestaf­felten Reform­schritten arbeiten muss. Auf jeden Fall müssen die Belas­tungen sinken und nicht steigen. Außerdem gibt es zum Beispiel beim Staat und seinen Behörden riesiges Einspa­r­po­ten­tial. Es kann doch etwas nicht stimmen: Der öffent­liche Dienst hat in den vergan­genen Jahren hundert­tau­sende Stellen aufgebaut, aber von besserer Leistung merken Bürger und Unter­nehmen wenig – sie erleben vor allem noch mehr Büro­kratie. Immerhin lässt sich das jetzt gut ändern. Es erreichen so viele öffent­lich Bediens­tete das Ruhe­stands­alter, dass sich allein durch Verzicht auf Nach­be­set­zungen ein spürbarer Stel­le­n­abbau reali­sieren lässt.

Wer in Verhand­lungen seine wich­tigsten Punkte durch­setzen will, muss an anderer Stelle nachgeben. Was kann die Union der SPD aus Ihrer Sicht zuge­stehen – viel­leicht 15 Euro Mindest­lohn?

Auf keinen Fall! Und ich sage das, obwohl in unseren Tarif­ver­trägen für die Metall- und Elektro-Industrie die untersten Lohn­gruppen über 15 Euro liegen. Aber was wäre die Folge? Es würde besonders Einzel­handel, Gast­ge­werbe, Handwerk und Dienst­leis­tungen treffen. Ladensterben und Verödung der Innen­städte würden beschleu­nigt. Außerdem haben wir mehr als eine Million Lang­zeit­a­r­beits­lose, die dringend Einstiegs­chancen brauchen. 15 Euro Mindest­lohn wären das Gegenteil einer Politik für Wirt­schafts­wachstum.

Aber was sollte die Union der SPD sonst anbieten, höhere Renten viel­leicht?

Die SPD muss sich doch erst mal fragen, ob sie wirklich so weiter­ma­chen will wie bisher. Hält sie ihre bisherige Sozial- und Migra­ti­ons­po­litik etwa immer noch für ein Erfolgs­re­zept? Würde sie sich auf das besinnen, was die in Scharen zur AfD über­lau­fenen Arbeiter inter­es­siert, dann wären auch in den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen manche Gegen­sätze kleiner. Meine Sympathie hat die SPD aber zum Beispiel dann, wenn sie sich für mehr Kitaplätze und gute Ganz­tags­be­treuung stark­macht. Das ist für uns der Schlüssel um mehr Frauen als gut Fach­kräfte in gut bezahlter Voll­zeit­a­r­beit zu gewinnen.

Gibt es Forde­rungen, die Sie als Metall­a­r­beit­geber gemeinsam mit der IG Metall vertreten könnten – denn die fänden politisch sicher beson­deres Gehör?

In der Tat. Wir sind gerade in einem guten Austausch mit der IG Metall darüber. Es ist zu früh für Details, aber so viel ist klar: Unsere Industrie braucht dringend wett­be­werbs­fä­hige Ener­gie­preise, ein besseres Inves­ti­ti­ons­klima und Tech­no­lo­gie­of­fen­heit im Klima­schutz. Diese Ziele können wir gemeinsam mit der IG Metall vertreten. Und wir werden in der Lage sein, das auch mit gemeinsam getra­genen Vorschlägen zu unter­füt­tern.