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Geschichte und Gesetze

Tarifautonomie ist keinesfalls etwas Selbstverständliches. Ganz im Gegenteil: Erst 1861 erlaubte das Königreich Sachsen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber Koalitionen schließen durften. Die Erlaubnis, sich zur Wahrung der Interessen zusammenschließen zu dürfen, ist Voraussetzung für die Bildung von Verbänden und Gewerkschaften. Am 15. November 1918 schließlich schlug dann die eigentliche Geburtsstunde des heutigen Tarifsystems. An diesem Tag schlossen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften das wegweisende Stinnes-Legien-Abkommen, mit dem sie sich gegenseitig anerkannten. In dieser entscheidenden Weichenstellung für die Zukunft vereinbarten sie den Abschluss von Kollektivvereinbarungen und die Einrichtung von Schlichtungsstellen.

Beitrittserklärung der ostdeutschen M+E-Verbände zu Gesamtmetall 1990
Foto: Beitrittserklärung der ostdeutschen M+E-Verbände zu Gesamtmetall 1990

Diese Vereinbarung wurde im Deutschen Reichanzeiger Nr. 213 vom 18. November 1918 veröffentlicht – womit auch der Staat eine wichtige Grundsatzentscheidung getroffen hatte: Ein privatwirtschaftliches System mit vom Staat unabhängigen Koalitionen zuzulassen, das in eigener Verantwortung die Arbeitsbedingungen selber aushandelt. Der Grundstein für die Tarifautonomie in Deutschland war gelegt.

Dieses System fand zwangsläufig sein zeitweiliges Ende im Nationalsozialismus, denn freie Koalitionen und Tarifautonomie sind Grundelemente einer freiheitlichen, auf Privateigentum und Selbstbestimmung beruhenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Deshalb sind diese Freiheiten und Recht heute als Grundrechte verfassungsrechtlich abgesichert.

Die Tarifautonomie in der heutigen Bundesrepublik Deutschland beruht auf dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz.

Das Tarifvertragsgesetz regelt, was ein Tarifvertrag ist – und wer einen abschließen kann:

  • „Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betrieblichen und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können (§1).“
  • „Tarifvertragsparteien sind die Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern (§2, Satz 1).“

Die Bildung solcher Vereinigungen und Gewerkschaften – von Koalitionen – ist durch das Grundgesetz geschützt, in dem es heißt (Art. 9, 3):

  • „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“

Um einen Tarifvertrag abschließen zu können, müssen die Parteien tariffähig sein. Dazu muß eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein – unter anderem muss der Abschluss von Tarifverträgen Teil der satzungsgemäßen Aufgaben sein, die Koalition muss frei gebildet, demokratisch organisiert und unabhängig von Gegenseite, Parteien, Kirchen und Staat sein. Zudem muss sie überbetrieblich organisiert sein und sie muss ihre Aufgabe erfüllen können – das heißt, auch über die Macht verfügen, um Druck und Gegendruck ausüben zu können.