Martin Leutz
Abteilungsleiter Kommunikation
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Das 20. Jahrhundert gilt gemeinhin als „Jahrhundert der Verbände“ (Theodor Eschenburg). In diesem Sinne war der „Verband Deutscher Metallindustrieller“, bereits am 19. März 1890 gegründet, schon damals ein Vorreiter.
Die Gründung ging einher mit dem steilen wirtschaftlichen Aufstieg des Deutschen Reichs im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Entscheidende Impulse dazu lieferte die metallverarbeitende Industrie. Dabei kam es immer wieder zu sozialen Auseinandersetzungen. Um sich gegen Streiks wirksamer wehren zu können, wurden deshalb in vielen Industriezweigen regionale Arbeitgeberverbände gegründet.
Die Politik plante jedoch, Streiks und Aussperrungen durch Einführung einer staatlichen Zwangsschlichtung zu beenden – und damit in die Gestaltung der Arbeitsbedingungen hineinzuregieren. Diesem Ansinnen wollten die metallindustriellen Arbeitgeber durch die Gründung eines Spitzenverbandes begegnen. Sie wollten zeigen, dass eine straff koordinierte Streikabwehr den Eingriff des Staates überflüssig macht. Hinzu kommt, dass auf Seiten der Gewerkschaften, die sich nach dem Auslaufen des Sozialistengesetzes 1890 wieder etablieren durften, auch reichsweite Strukturen abzeichneten. Diesen sollte auf Arbeitgeberseite mit einem Spitzenverband ein Pendant gegenübergestellt werden.
Am 19. März 1890 erfolgte die Gründung des Verbandes Deutscher Metallindustrieller als ein Verband der Verbände, zu dem zunächst fünf regionale Verbände (aus Berlin, Braunschweig, Hannover, Leipzig und Magdeburg) gehörten. Im Verlauf des Jahres schlossen sich fünf weitere Metallarbeitgeberverbände dem neuen Spitzenverband an.
Das spätere Kerngeschäft, die Koordinierung der Tarifpolitik, spielte noch gar keine Rolle. Verhandlungen mit Gewerkschaften über Flächentarifverträge wurden grundsätzlich abgelehnt. Erst ab 1906 beteiligte sich der Gesamtverband an regionalen Tarifverhandlungen mit dem Ziel, durch abgestimmtes Verhalten bessere Ergebnisse zu erzielen.
Den neutralen Boden, auf dem beide Seiten zusammenarbeiten konnten, bildete die Bismarcksche Sozialgesetzgebung. Mit Hilfe ihrer Organisationen konnten Gewerkschaften und Arbeitgeber ihre Verantwortung für die Arbeitsbeziehungen im Betrieb gegen jeden Eingriff von außen verteidigen. Das war die Voraussetzung für die spätere Tarifautonomie. Staatliche Zwangsschlichtungen waren damit ausgeschaltet.
Um dem Bestreben, die gesamte Metallindustrie des Deutschen Reichs zu einigen, besonderen Ausdruck zu verleihen, beschloss die erste Mitgliederversammlung des Verbandes am 9. Juni 1890 in Berlin, dass die Vereinigung fortan den Namen „Gesammt-Verband Deutscher Metall-Industrieller“ führen sollte.
Der erste „Gesamtmetall-Vorsitzende“ war der Berliner Metallindustrielle Paul Heckmann, Mitinhaber eines Kupferwalzwerkes. Heckmann beschränkte sich nicht auf seine Tätigkeit als Industrieller. Er war Ältester der Berliner Kaufmannschaft und später Vizepräsident der Handelskammer von Berlin. Sitz des Verbandes war die Reichshauptstadt Berlin. Die erste Repräsentanz lag in der Schlesischen Straße 25, gegenüber dem Heckmannschen Betrieb.
Der Gesamtverband hat seit seiner Gründung immer wieder zukunftsweisende Initiativen ergriffen und mit den Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie verwirklicht. Der Aufbau einer privaten Arbeitsvermittlung in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts für die Verbandsmitglieder ist hier ebenso zu nennen wie die Förderung der industriellen Berufsausbildung noch vor dem Ersten Weltkrieg.
Von größter Bedeutung für ganz Deutschland war es, daß sich 1918 Vertreter der Metallindustrie mit den Gewerkschaften zusammenfanden und sich über die grundsätzlichen Fragen einer Wirtschafts- und Sozialverfassung Deutschlands verständigten.
Sie führten den 8-Stunden-Tag ein, konzipierten die Betriebsverfassung und bekannten sich zur Tarifautonomie. Sie schufen die Voraussetzung dafür, daß auch in der Weimarer Republik die marktwirtschaftliche Ordnung im wesentlichen unangetastet blieb. Im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften wurde das Tarifsystem der Weimarer Republik entwickelt und praktiziert, lange bevor das Wort von der Sozialpartnerschaft geboren war.
1933 war das schwärzeste Jahr von Gesamtmetall. Die Zerschlagung der Gewerkschaften durch die faschistischen Machthaber trieb die funktionslos gewordenen Arbeitgeberverbände in die Selbstauflösung.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren es nicht zuletzt die wiedererstandenen Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie, die sich frühzeitig für die Einführung der damals noch heftig umstrittenen Sozialen Marktwirtschaft einsetzten.
Mit dem Abschluß des ersten Schlichtungs- und Schiedsabkommens zwischen der IG Metall und Gesamtmetall im Jahre 1955 erteilten Arbeitgeber und Gewerkschaften jeder staatlichen Einmischung in ihre eigenverantwortliche Regelung der Arbeitsbeziehungen eine klare Absage.
Am 27. September 1990 wurde dann die deutsche Einheit auch bei den Arbeitgeberverbänden vollzogen, als sich die vier neugegründeten ostdeutschen Metall-Landesverbände Gesamtmetall anschlossen.
Im Jahr 2003 ist Gesamtmetall von Köln zurück an den historischen Sitz gezogen, nach Berlin-Mitte. Dieser Umzug in ein eigenes Haus erfolgte, um die Interessen der Mitglieder gegenüber Politik, Öffentlichkeit und anderen Verbänden besser wahrnehmen zu können.
2005 hat sich Gesamtmetall mit einer Satzungsänderung auch für Verbände ohne Tarifbindung geöffnet. Der neue Name – „Gesamtmetall – die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie“ – spiegelt dieses Selbstverständnis wider.
Am 19. März 2015 wurde Gesamtmetall 125 Jahre alt und hat dies am 12. Juni mit einem großen Festakt in Berlin in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck gefeiert.
Die meisten Bilder stammen aus der Chronik „100 Jahre Gesamtmetall“ von Luitwin Mallmann (1990). Das Foto von Anton von Rieppel ist aus dem historischen Archiv der MAN AG Augsburg, das Foto von Ernst von Borsig von ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl.
Mitinhaber eines Kupferwalzwerkes
MAN
Borsigwerke
(Komm. Vors.) Blohm und Voss
August Bilstein
Hilger AG
Becker und van Hüllen
MAN Gutehoffnungshütte AG
Mannesmann Demag AG
Gottschol Aluminium GmbH
geschäftsführender Präsident
Herbert Kannegiesser GmbH
ProMinent GmbH
vormals ElringKlinger AG
Keine Fotos vorhanden
Als am 19. März 1890, einen Tag vor Bismarcks Rücktritt, der „Verband Deutscher Metallindustrieller“ in Berlin gegründet wurde, befanden sich die Eigentümer der Voßstraße 16 auf einer Reise in Rom. Damals ahnte noch niemand, dass Verband, Adresse und in gewisser Weise auch die Nachfahren der ehemaligen Besitzer über hundert Jahre später, nach einschneidenden welthistorischen Ereignissen, zusammenkommen würden.
Rund 20 Jahre vor der Verbandsgründung wurde das Deutsche Kaiserreich proklamiert, und damit beginnt auch die Geschichte des Grundstücks. Ungefähr in den heutigen Grenzen erscheint es erstmals in einem Plan der Deutschen Bau-Gesellschaft von 1871, der den Bau einer „Neuen Strasse“ im Regierungsviertel zwischen der Wilhelmstraße und Königgrätzerstraße (heute: Ebertstraße), auf dem ehemaligen Voß’schen Gelände vorsah.
Am 22. April 1872 erwarb der Privatbankier Friedrich Meyer (1820-1881) das Grundstück Nr. 16 (zuerst als 15, dann 15a gezählt) und ließ darauf im Stil der italienischen Neorenaissance eine Villa errichten. Der Einzug der Familie und des Bankhauses E. J. Meyer erfolgte 1875.
Das Erbe des Bankiers übernahm sein Sohn, der Germanist Richard M. Meyer (1860-1914). Er und seine Frau Estella (1870-1942) führten ein geselliges und künstlerisches „offenes Haus“, in dem – Angehörige des Hochadels ausgenommen – regelmäßig Repräsentanten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur verkehrten. 1914 erlitt diese Blüte der Geselligkeit mit Meyers Tod einen jähen Einbruch.
Das für die Vertreter der Metallindustrie zukunftsweisende Jahr 1918 brachte für die Familie den allmählichen Niedergang: ein Sohn fiel vor Verdun, die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs, Rezession und Inflation in den 1920er Jahren bedeuteten erhebliche Einbußen für das vormals immense Vermögen, mehr und mehr Partien des Hauses wurden vermietet.
Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten führte noch 1933 zur Selbstauflösung des Arbeitgeberverbandes, bedeutete aber für die Familie erst den Anfang der Repressionen: Bereits 1936 wurden Meyers zum Verkauf des Grundstücks gezwungen, da die gesamte Nordseite der Voßstraße dem Neubau der Reichskanzlei weichen musste. Als eines der letzten Gebäude wurde die Meyer’sche Villa 1938 abgerissen. Doch auch von der 1939 eingeweihten Neuen Reichskanzlei blieben nach Kriegsende nur Ruinen – Meyers überlebten die Judenverfolgung in Berlin, mussten nach Kriegsende mehrere Jahre in Flüchtlingslagern verbringen und ließen sich schließlich in Hessen nieder.
Berlins alte Mitte mit dem Regierungsviertel fand sich im sowjetischen Sektor. Die restliche Bausubstanz von Alter und Neuer Reichskanzlei wurde abgetragen, 1959 das gesamte Gelände eingeebnet und die Stahlbetontrümmer und Bunkeranlagen durch einen „Hügel“ übererdet, der nach dem Bau der Mauer 1961 im so genannten „Todesstreifen“ lag. Wo einst das Machtzentrum des Deutschen Reiches gewesen war, befand sich nun ein Vakuum.
Im November 1989 wurde die Mauer an der Leipziger Straße geöffnet, wenige hundert Meter von der einstigen Voßstraße Nr. 16 entfernt. Das aus den Akten der 1930er Jahre rekonstruierbare Grundstück wurde 1999 an die Erbengemeinschaft Meyer zurückgegeben und von dieser an die Züblin Projektentwicklung verkauft. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall erwarb das noch im Bau befindliche Objekt und bezog es im Herbst 2003. Die „Villa Voß“ knüpft in vielerlei Hinsicht – nicht nur in der Namensgebung – an eine Tradition an, die 70 Jahre zuvor gewaltsam zerstört worden ist. Die Nummer 16 befindet sich erneut in einer exklusiven und politisch zentralen Lage.
Mit dem neuen Verbandssitz, gleich neben dem Potsdamer Platz und nur wenige Minuten vom Brandenburger Tor entfernt, ist Gesamtmetall an seinen historischen Gründungsort zurückgekehrt:
„Es ist aber weniger die Erinnerung an die Vergangenheit als vielmehr die Gestaltung der Zukunft, die uns antreibt und uns den Weg nach Berlin gewiesen hat. Die räumliche Nähe zu den anderen Spitzenverbänden, zu den Schaltstellen der Politik und zu den Medien der Hauptstadt wird wieder hergestellt. Auf diesen kurzen Wegen ist der unkomplizierte und rasche Austausch der Ideen und Gedanken möglich, der für eine effektive Arbeit unseres Verbandes unerlässlich ist.“
(Martin Kannegiesser, Ehrenpräsident von Gesamtmetall, anlässlich der Einweihungsfeier 2003)
„Wo einst die Villa Voß, die namensgebend für die Straße war, stand, erhebt sich nun ein Bürogebäude, das den Arbeitgeberverband Gesamtmetall beherbergt. Entworfen wurde es vom Berliner Architekten Walter A. Noebel, der durch geschickte Vor- und Rücksprünge Terrassen und Erker für die Geschäftsräume entstehen ließ. Der kleine Garten hinter dem Gebäude dient nicht nur als Ort der Ruhe, hier finden auch Veranstaltungen statt. Gesamtmetall hat mit diesem schlichten Gebäude seinen Platz im Zentrum Berlins gefunden.“