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Leitlinien der Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie

Erhaltung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Tarifpolitisches Leitbild

Aufgabe / Rolle / Ziel Arbeitgeberverbände

Das gemeinsame Ziel der M+E-Verbändefamilie ist die Erhaltung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsunternehmen. Die Kernaufgabe der M+E-Verbände ist dabei der Abschluss von interessengerechten und differenzierten Tarifverträgen und die kraftvolle Vertretung der Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen. Mit ihrer Tarifpolitik haben die M+E-Verbände dafür zu sorgen, dass am Standort Deutschland Arbeitsplätze in der M+E-Industrie erhalten und hinzugewonnen werden.

Tarifautonomie nötig für Tarifvertrag / Definition Tarifautonomie / Tarifbindung

Die M+E-Verbände bekennen sich ausdrücklich zur Tarifautonomie als eine der Säulen der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Sie ist Basis ihres gemeinsamen Handelns. Durch sie gestalten Tarifvertragsparteien nach Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ohne staatliche Einmischung.

Tarifautonomie umfasst auch die negative Koalitionsfreiheit, also die Möglichkeit, sich bestehenden Koalitionen nicht anzuschließen, bestehende Tarifverträge nicht anzuwenden oder einen Tarifträgerverband zu verlassen.

Tarifbindung ist freiwillig. Eine Zwangstarifbindung widerspricht ihr. Sie wäre das Ende der passgenauen und interessengerechten Tarifverträge und letztlich der Tarifautonomie in Deutschland.

Wir als Verbände der M+E-Industrie bekennen uns zur Stärkung der Tarifbindung durch Tarifverträge, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördern. Gleichzeitig wissen wir um die Bedeutung der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ohne die Vermittlung eines Verbandstarifvertrages. Die OT-Mitgliedschaft wurde als Ausgleich für die fehlende Verhandlungs- und Arbeitskampfparität zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern geschaffen. Sie ist Ausdruck der im Grundgesetz garantierten negativen Koalitionsfreiheit und heute ein unverzichtbarer Teil des Tarifsystems in der M+E-Industrie. Sie trägt zu dessen Stabilität bei. Der OT-Bereich ist ein notwendiges Korrektiv zu komplexen, unflexiblen, nicht mehr interessengerechten und damit nicht den Bedürfnissen der Betriebe entsprechenden Flächentarifverträgen. Dies gilt insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen.

OT-Mitgliedschaft bedeutet nicht „Tarifferne“. Viele OT-Unternehmen orientieren sich am Flächentarifvertrag oder haben einen eigenen Haustarifvertrag. OT ermöglicht es den Unternehmen die Regelungen des Flächentarifvertrags je nach Unternehmenssituation anzupassen. Diese Möglichkeit hätten sie innerhalb des Flächentarifvertrags nicht im gleichen Umfang.

Tarifungebundene Unternehmen dürfen gegenüber tarifgebundenen Unternehmen nicht diskriminiert werden. Wenn der Gesetzgeber tarifdispositives Recht schafft, muss er die Möglichkeit vorsehen, dass auch tarifungebundene Unternehmen den abweichenden Tarifvertrag anwenden können, sofern diese Arbeitsverhältnisse unter den Geltungsbereich des abweichenden Tarifvertrags fallen.

In der Metall- und Elektro-Industrie sind die Flächentarifverträge nach wie vor die Leitbedingungen. Sie erfassen bis heute einen großen Teil der Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Die Anzahl der tarifgebundenen Betriebe sinkt zwar auch in der M+E-Industrie – ebenso wie die Gewerkschaftsmitgliedschaft –, dennoch ist die Anzahl der bei tarifgebundenen Betrieben Beschäftigten seit 15 Jahren stabil geblieben. Haustarifverträge erhöhen die Tarifbindung deutlich. Zudem orientieren sich zahlreiche nicht-tarifgebundene Unternehmen an den Regelungen des Flächentarifvertrags. Trotz struktureller Veränderungen wie der Globalisierung oder der Digitalisierung hat er nach wie vor eine große Ausstrahlungswirkung, muss sich aber auch in Zukunft bewähren.

Herausforderungen

Zentrale Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems ist, dass sich die Koalitionen gleich stark gegenüberstehen. Seit langer Zeit werfen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften vor, dass die Verhandlungs- und Arbeitskampfparität nicht mehr bestehe. Als Folge weitet die Arbeitnehmerseite den Arbeitskampf aus.

Für die Verhandlungs- und Arbeitskampfparität zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ist eine Kodifizierung des Arbeitskampfrechts notwendig, um die Arbeitskampfmittel wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Der Ausschluss von Arbeitskämpfen für Tarifsozialpläne ist gesetzlich klarzustellen. Insbesondere braucht es eine Antwort auf die Tagesstreiks. Wir setzen uns deshalb für eine Verbesserung des Schlichtungs- und Schiedsabkommens in der M+E-Industrie ein. Wir fordern eine Regelung, dass Tagesstreiks nur nach vorheriger Schlichtung angewendet werden dürfen. Insgesamt ist ein verantwortungsvollerer Umgang der IG Metall mit Streiks notwendig.

Die steigende Bedeutung des tariffreien Bereichs wird vom Bundesarbeitsgericht (BAG) als Grund für die Stärkung der Arbeitskampffähigkeit der Gewerkschaften angeführt. Damit versucht das BAG, kleinteilige und eigentlich schon verlorene Strukturen zu retten, beschädigt und schwächt aber das funktionsfähige Flächentarifvertragssystem in der M+E-Industrie. Das BAG darf nicht den fehlenden Organisationswillen der Arbeitnehmer kompensieren. Denn die Stärkung einer schwachen Gewerkschaftsseite in anderen Branchen durch die Rechtsprechung passt nicht zu der Kampfkraft einer IG Metall in der M+E-Industrie.

Ergebnis der fehlenden Arbeitskampfparität zwischen den Tarifvertragsparteien ist ein Flächentarifvertrag mit Höchstkonditionen, gefolgt von Absetzbewegungen wie Outsourcing oder dem Wechsel in den OT-Bereich. Die abnehmende Tarifbindung ist Ausdruck der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Flächentarifvertrags. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sehen sich zunehmend nicht mehr ausreichend berücksichtigt. Ihr Rückzug aus dem Flächentarifvertrag sorgt für Abschlüsse, die aufgrund ihrer Komplexität und der Kostensteigerung ohne Abweichungsmöglichkeiten erosionsbeschleunigend wirken. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Der Flächentarifvertrag muss für alle Größenklassen und Konjunkturlagen sachgerechte Lösungen bieten.

Tarifverträge müssen frei aushandelbar sein. Dennoch gab und gibt es wiederholt politische Eingriffe in die Tarifautonomie. Ein Beispiel war die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes im Jahr 2015 und seine Erhöhung 2022. Die politisch veranlasste Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro unter Aushöhlung der Arbeit der Mindestlohnkommission war ein massiver Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie. Das beschädigte das gesamte Tarifvertragssystem nachhaltig. Hierunter fällt auch, wenn nach einem Tarifabschluss einer der Verhandlungspartner die zuvor nicht erreichten Ziele bei der Politik einfordert oder die Politik in gefundene tarifvertragliche Kompromisse eingreift. Zu einer funktionierenden Sozialpartnerschaft gehört es, die Tarifauseinandersetzungen mit dem Ziel einer für beide Seiten tragfähigen Lösung zu führen und den gefundenen und akzeptierten Kompromiss zu vertreten.

Gegen Zwangstarifbindung / Akzeptanz statt Zwang

Wir sind gegen eine steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Privilegierung von Gewerkschaftsbeiträgen oder von tariflichem Arbeitsentgelt. Die Mitgliederwerbung liegt in der Eigenverantwortung der tarifpolitischen Akteure. Einen Gewerkschaftsbonus lehnen wir aus grundsätzlichen Erwägungen ab, weil er zur Spaltung der Belegschaften führt.

Die Tarifbindung muss auf anderem Weg gestärkt und ausgebaut werden. Dafür entscheidend sind die Inhalte und das Image der Flächentarifverträge. Ein interessengerechter, passgenauer und bei Bedarf anpassbarer Tarifvertrag ist der beste und sinnvollste Anreiz, die Tarifbindung einzugehen.

Das Ziel der Tarifautonomie ist nicht die hundertprozentige Tarifbindung. Diese hat es in der Geschichte der Tarifautonomie auch nie gegeben. Tarifbindung per se stellt keinen Wert dar. Sie ist daran zu messen, ob die Tarifvertragsparteien in freien Verhandlungen für beide Seiten attraktive und wettbewerbsfähige Verträge aushandeln. Dann bieten Tarifverträge einen Mehrwert.

Allgemeinverbindlichkeitserklärung

Jede Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) ist ein Eingriff in die Tarifautonomie und schränkt die negative Koalitionsfreiheit ein. Sie ist ein Akt staatlicher (Zwangs-) Erstreckung eines Tarifvertrages auf Außenseiter und führt daher nicht zu mehr Tarifbindung, sondern lediglich zu mehr Tarifgeltung. Daher muss die AVE von der Mehrheit der Mitglieder des Tarifausschusses beschlossen und damit demokratisch legitimiert werden. Dass die Interessen beider Sozialpartner in diesem Verfahren berücksichtigt werden, wird durch die paritätische Besetzung des Tarifausschusses sichergestellt. Wir setzen uns für die Beibehaltung dieses Verfahrens ein und sprechen uns daher explizit gegen die Bestrebungen aus, das Mehrheitsprinzip im Tarifausschuss abzuschaffen oder umzukehren und die Voraussetzung der AVE weiter aufzuweichen.

Bisher diente die AVE im Regelfall der Wettbewerbsgleichheit bei branchenspezifischen sozialversicherungsähnlichen Sonderschutzbedürfnissen. Demensprechend wurden lediglich Teile eines Tarifvertragswerks für allgemeinverbindlich erklärt. Eine AVE für ein gesamtes Flächentarifvertragssystem gibt es bislang nicht. Dies muss so bleiben.

In der Metall- und Elektro-Industrie wäre die Anwendung der AVE eine Bankrotterklärung der Tarifvertragsparteien. Eine Stärkung der AVE beseitigt nicht die Ursachen der sinkenden Tarifbindung. Sie generiert gerade kein Mitgliederwachstum, sondern kann sogar zu Mitgliederverlust führen und birgt zudem die Gefahr von massiven Standortverlagerungen.

Die Zementierung des Niveaus der Arbeitsbedingungen im Inland würde mit einer Schwächung der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb einhergehen. Sie hätte die Verlagerung von Betrieben ins Ausland zur Folge. Deshalb muss die AVE eine Ausnahme bleiben.

Tarifvertrag der Zukunft

Es ist unser Ziel, den Flächentarifvertrag wieder so attraktiv zu gestalten, dass er eine Heimat für alle Unternehmen der M+E-Industrie sein kann. Wir wollen für die knapp vier Millionen Mitarbeiter der Metall- und Elektro-Industrie wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen gestalten. In diesem Sinne setzen wir uns für einen einfacheren, schlankeren, flexibleren und damit attraktiveren Flächentarifvertrag ein.

Unternehmen wollen sich wieder mit dem Flächentarifvertrag identifizieren können. Dafür muss dieser die gesamte M+E-Industrie abbilden und nicht nur diejenigen Unternehmen, denen es gut geht. Der Flächentarifvertrag muss wieder Mindestbedingungen festlegen. Das ist seine definierte Aufgabe. Ein dauerhaftes „Höher, Schneller, Weiter“ muss gestoppt werden, damit der Flächentarifvertrag und letztlich die Tarifautonomie erhalten werden kann.

Derzeit leiden die Flächentarifverträge der M+E-Industrie an einer sehr hohen Komplexität, die einen zunehmenden Teil der Unternehmen überfordert. Dies gilt insbesondere für die Arbeitszeitregelungen. Auch das Kostenniveau insbesondere in den unteren Entgeltgruppen ist im internationalen Vergleich zu hoch. Inzwischen müssen viele Unternehmen auf externe und globale Lösungen zurückgreifen, um die hohen Kosten der deutschen Standorte zu kompensieren.

Es gilt, den Flächentarifvertrag an unterschiedliche Bedingungen in den Unternehmen anzupassen. Der Flächentarifvertrag wird immer mehr Heterogenität abbilden müssen je weiter der Strukturwandel aufgrund von Digitalisierung und Elektrifizierung voranschreitet. Die Veränderungen in Technologie und Arbeitsabläufen erfordern bewegliche Rahmenbedingungen.

Statt einer Lösung für alles, müssen die flächentariflichen Regelungen die flexible Antwort auf alle denkbaren unterschiedlichen betrieblichen Gestaltungen sein.
Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung verändern sich die Wertschöpfungsketten. Wir wollen in den Tarifverträgen wettbewerbsfähige Lösungen für die volle Wertschöpfungskette innerhalb der M+E-Industrie anbieten. Dazu zählen auch die industrienahen Dienstleistungen. Nachdem mit der Tarifierung der Kontraktlogistik und der IT-Dienstleistung begonnen wurde, sind auch für die Bereiche „Software-Schmieden“, Facility Management und Entwicklungsdienstleister Tarifwerke zu vereinbaren. Eine Tarifierung dieser, in der Wertschöpfungskette enthaltenen Dienstleistungen stärkt die Tarifbindung.

Öffnungsklauseln für betriebliche Abweichung für Tarifbindung

Die Attraktivität des Flächentarifvertrags muss durch Abweichungsmöglichkeiten erhöht werden. Dafür sind Öffnungsklauseln zwingend notwendig. Sie ermöglichen passgenaue Adaptionen an die unterschiedlichen betrieblichen Anforderungen. Die Betriebsparteien sind dafür die richtigen Akteure.

Dauerhafte automatische Differenzierung und Variabilisierung

Die Vereinbarung einer wirksamen und dauerhaften Möglichkeit zur automatischen Differenzierung durch die Betriebsparteien innerhalb des Flächentarifvertrags, auch in wirtschaftlich schwierigen Situationen, ist gleichermaßen notwendig. Die in der M+E-Industrie vereinbarte automatische Differenzierung muss dauerhaft gelten.

Die freiwillige unternehmenserfolgsabhängige Vergütung sowohl in Zeiten besonders guter als auch in Zeiten besonders schlechter Ertragslage (Variabilisierung) steigert die Attraktivität des Flächentarifvertrags. Das können beispielsweise ein vom Betriebsergebnis abhängiges Weihnachtsgeld oder Einmalzahlungen anstelle von Tabellenerhöhungen sein.

Module

Wir sprechen uns für den Auf- und Ausbau eines tariflichen Baukastensystems für bestimmte, klar definierte betriebliche Konstellationen aus. Dieses haben wir in der Vergangenheit in ausgewählten Bereichen erprobt.

Rahmenbedingungen

Ebenso zielführend sind flächentarifliche Rahmenbedingungen, die durch betriebliche Lösungen ausgefüllt werden. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Tarifvertrag zur Mobilen Arbeit. In Zukunft wird immer zu überprüfen sein, ob sich ein Regelungsbereich sinnvoll durch solche Rahmenregelungen abbilden lässt. Insbesondere in Bereichen mit Unterschieden in Unternehmensorganisation und Einsatzbereich soll diese Technik genutzt werden.

Umgang Sozialpartner

Die Struktur der M+E-Industrie wandelt sich fundamental und in großer Geschwindigkeit. Der Flächentarifvertrag kann in seiner jetzigen Form diesen Wandel nicht mehr abbilden. Er muss reformiert und attraktiver gestaltet werden. Dies stärkt zugleich die Tarifbindung in Deutschlands wichtigster Industrie. Ohne Reformen werden der Flächentarifvertrag und mit ihm die Tarifautonomie nicht von Dauer sein. Der Schaden für den Industriestandort und unsere Gesellschaft wären enorm. Die Reform des Flächentarifvertrags ist ohne die IG Metall nicht möglich. Die beschriebenen Ziele können wir nur gemeinsam erreichen. Dafür brauchen wir einen neuen Dialog mit der Gewerkschaft zum Strukturwandel in Folge von Digitalisierung und Elektrifizierung sowie dessen tarifpolitischer Bewältigung, der Reform des Flächentarifvertrags in der M+E-Industrie und der dadurch möglichen Erhöhung der Tarifbindung.

Notwendig ist ein offener, dauerhafter Austausch, um eine bessere Arbeitsgrundlage zu schaffen und Verlässlichkeit herzustellen.