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„Wie soll Arbeitsfreude entstehen, wenn man totfiskalisiert wird?“

Wirt­schafts­s­tandort

Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander im Interview mit The Pioneer über die Arbeit der Bundesregierung:

Wenn Sie die letzte Woche Revue passieren lassen, was im poli­ti­schen Berlin passiert ist – Stichwort Rich­ter­wahl, Stichwort großer poli­ti­scher Streit – was fällt Ihnen dazu ein?

Positiv war in der letzten Woche die Entschei­dung über das Inves­ti­ti­ons­so­fort­pro­gramm. Dass das durch­ge­kommen ist, ist sehr wichtig. Da haben wir ja eine deutliche Verbes­se­rung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit auf der Steu­er­seite. Natürlich hätte man sich eine schnel­lere Senkung der Körper­schafts­steuer gewünscht, aber es ist trotzdem ein Sprung nach vorn.

Der Streit um die Verfas­sungs­richter ist bedau­e­r­lich. Es hat sicher­lich Pannen gegeben. Ich bin gespannt, wie die Koalition da rauskommt. Ich denke, damit werden sich die Partei­füh­rungen den Sommer über beschäf­tigen. Ich kann der Koalition nur raten, sich auf die wesent­li­chen Fragen zu konzen­trieren.

Und wie zufrieden sind Sie ange­sichts der Lage der Industrie mit dem, was die Regierung an wirt­schafts­po­li­ti­schen Maßnahmen beschlossen hat und plant?

Also das Mindset stimmt. In der Regierung haben ja alle Koali­ti­o­näre, CDU, CSU und SPD erkannt, dass Deut­sch­land ein Wett­be­werbspro­blem hat. Wir haben eine Verschlech­te­rung der Wett­be­werbs­si­tua­tion über einen langen Zeitraum gesehen. Wir haben ein Kosten­pro­blem am Standort, nämlich bei Ener­gie­kosten, bei der Höhe der Steuern für die Unter­nehmen und bei den Arbeits­kosten und zusätz­lich haben wir ein Büro­kra­tie­pro­blem, weil dadurch unsere Prozesse zu langsam sind. 90 Prozent der Inves­ti­ti­onen sind in Deut­sch­land privat und wenn die Wett­be­werbs­be­din­gungen so sind, wie sie sind und nicht verbes­sert werden, wird nicht in dem Maße inves­tiert, dass wir eine moderne Volks­wirt­schaft bleiben. Dieses Problem ist erkannt. Das ist schon mal gut. Die Analyse stimmt.

Die Regierung versucht ja durchaus zu sagen, dass die Stimmung sich aufhellt. Auch Friedrich Merz hat dazu in der Pres­se­kon­fe­renz gespro­chen. Laut ihrem neusten Konjunk­tur­be­richt ist das Bild ein bisschen diffe­ren­zierter, um nicht zu sagen doch ein bisschen pessi­mis­ti­scher als opti­mis­ti­scher. Viel­leicht könnten Sie mal die Lage der Industrie beschreiben.

Also wenn man die längste Krise der Volks­wirt­schaft seit Gründung der Republik hat, drei Jahre Rezession, wenn wir im achten Quartal der Rezession in der Metall und Elektro-Industrie sind, wenn wir seit Beginn der Krisen über 200.000 Arbeits­plätze verloren haben – wir lagen 2018 noch bei 4,05 Millionen, wir sind jetzt bei 3,83 Millionen – dann stecken wir noch in dieser Krise. Wir müssen aus der Krise raus. Deshalb müssen dringend wirt­schafts­po­li­ti­sche Maßnahmen ergriffen werden. Wir haben zuletzt etwas geringere Rückgänge in der Produk­tion, sogar viel­leicht eine gewisse Stabi­li­sie­rung gesehen. Aber wir haben immer noch viel zu viele Perso­na­l­ab­bau­pläne, einfach als Reaktion auf verrin­gerte Absatz­mengen.

Erst wenn die Absatz­mengen wieder zunehmen, werden die Perso­nal­pläne wieder über­a­r­beitet. Und wenn wir auf dem Niveau bleiben, wie wir produ­zieren, und wir kein richtiges Wachstum bekommen, wird das Personal weiter reduziert. Gerade im Auto­mo­bil­sektor ist das zu erwarten, deshalb ist es auch so wichtig, dass wir sehr schnell die neue CO2-Flot­ten­re­gu­lie­rung bekommen. Es kann nicht sein, dass wir irgend­wann Anfang 2026 einen ersten Entwurf der Kommis­sion sehen. Der muss jetzt her, damit das schnell entschieden wird. Denn dann können die Firmen auf der Basis entscheiden, welche Produkte sie anbieten werden, ob sie stärker in den Hybrid gehen, den Verbrenner noch länger produ­zieren oder anderes. Das muss von der EU-Kommis­sion kommen und dann werden auch die Beschäf­ti­gungs­pläne nach oben angepasst.

Sie haben die CO2-Flot­ten­re­gu­lie­rung ange­spro­chen, was sind Ihre Erwar­tungen an die EU-Kommis­sion? Wie soll der neue Deal hinsicht­lich der bislang geplanten Verbren­nungs­mo­to­rab­sage ab 2035 und der Flot­ten­re­gu­lie­rung aussehen? Wie steht Gesamt­me­tall dazu?

Es ist so, dass klar sein muss, dass diese bishe­rigen Pfad­ab­hän­gig­keiten verlassen werden müssen. Man darf sich nicht in bestimmte Pfade zwängen lassen durch eine Regu­lie­rung, sondern es muss möglich sein, auch andere Tech­no­lo­gien außerhalb der Elek­tri­fi­zie­rung zu nutzen. Auch ein Hybrid ist elek­trisch und das würde auch den Firmen die Kraft geben, Erträge zu erzielen, die dann wiederum genutzt werden können, um zu inves­tieren. Wir haben ja ein Wirt­schafts­mo­dell, wo die Firmen, die Erträge selber erwirt­schaften, mit denen sie inves­tieren und das müssen wir sicher­stellen. Deshalb ist es so richtig, dass das möglichst schnell geklärt ist. Und da können wir nicht jetzt warten, dass im ersten Halbjahr 2026 der erste Entwurf vorgelegt wird, das ist dem Thema nicht ange­messen.

Wenn Sie jetzt mal ins Ausland schauen, Stichwort Wett­be­werb mit China, wie sehen Sie das deutsche Geschäfts­mo­dell bedroht? Anders gefragt: Wie beur­teilen Sie sozusagen die Stand­fes­tig­keit und die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Industrie jetzt auch mit Blick auf die neuen Heraus­for­derer?

Wir haben geopo­li­ti­sche und geoöko­no­mi­sche Einflüsse, die natürlich sehr stark sind. Und um mal etwas Erwar­tungs­ma­na­ge­ment zu machen, selbst wenn die Regierung jetzt alles unter Hochdruck, sehr schnell, richtig machen würde: Es kann sein, dass die geopo­li­ti­schen und geoöko­no­mi­schen Einflüsse so stark sind, dass die aktuellen wirt­schafts­po­li­ti­schen Anstren­gungen, ein Stück weit aufge­sogen werden von diesen Dingen. Da ist die Zollfrage beispiels­weise.

Es ist aber auch China mit Taiwan. Trotzdem muss man es machen, damit man wieder wett­be­werbs­fä­higer wird. Es gibt den aktuellen Bericht der Bundes­bank, die führen den mehr­jäh­rigen Rückgang der deutschen Export­markt­an­teile auf die im inter­na­ti­o­nalen Vergleich zuletzt hohen Wett­be­werbs­fä­hig­keits­ver­luste, insbe­son­dere Deut­sch­lands, zurück. Heißt: Wir haben neben den Einflüssen von außen, unsere eigenen Haus­auf­gaben zu machen.

Wir müssen unbedingt versuchen, wieder überall nach vorne zu kommen. Die Chancen haben wir auch, aber nur dann, wenn hier inves­tiert wird. Und inves­tiert wird eben nur, wenn die Wett­be­werbs­be­din­gungen in diesem Standort verbes­sert werden. Und wenn das nicht passiert, dann werden wir ein langsames Sterben, und zwar die Dein­dus­tri­a­li­sie­rung Deut­sch­lands, sehen.

Wenn Sie jetzt mal ein 5-Punkte-Programm defi­nieren könnten und sagen, das wünsche ich mir und ich habe die absolute Mehrheit als Oliver Zander, was würde Oliver Zander mit der absoluten Mehrheit an 5 Punkten durch­setzen?

Der erste Punkt ist, dass wir unser Kosten­pro­blem in der Energie hinbe­kommen. Das wird dann auch dazu führen, darüber nach­zu­denken, wie wir die Finan­zie­rung der Ener­gie­wende hinbe­kommen. Denn natürlich ist jeder Zubau schön, muss aber von den Verbrau­chern über Netzent­gelte getragen werden. Und das ist ja im Moment das Haupt­pro­blem.

Der zweite Punkt sind die Steuern: Ich glaube, dass wir auch mehr Leis­tungs­be­reit­schaft anreizen müssen über nied­ri­gere Steuern. Da müsste man, finde ich, auch die Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeit­nehmer in den Blick nehmen. Die Unter­nehmen hat man jetzt in den Blick genommen. Das ist ein guter Anfang. Die Körper­schaft­steuer kommt ein bisschen spät, aber es ist ein guter Anfang.

Dritter Punkt: Wir müssen an die Arbeits­kosten ran. Wir sind heute bei 41,9 Prozent für Sozi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­trags­zahler mit Kindern, und schon bei 42,5 Prozent für Kinder­lose. Wenn wir nichts machen, sind wir 2035 bei 50 bis 53 Prozent Sozi­al­bei­trägen. Das geht alles ab vom Netto der Leute. Die Hälfte wird von den Unter­nehmen zu tragen sein, und das im inter­na­ti­o­nalen Wett­be­werb. Wie soll Arbeits­freude entstehen, wenn man so totfis­ka­li­siert wird? Und natürlich wissen alle, dass die Rente nicht entspre­chend dieser höheren Beiträge steigt oder das Gesund­heits­leis­tungen damit verbes­sert werden. Wir gleichen ja nur aus, was an Beitrags­zah­lern wegfällt. Das heißt, der Sozi­al­staat muss effi­zi­enter werden, wir brauchen eine Orga­ni­sa­ti­ons­re­form.

Vierter Punkt ist für mich ganz klar der Büro­kra­tie­abbau. Es sind nicht nur Berichts­pflichten, es sind Gebote und Verbote, auch viel im halb­staat­li­chen Bereich. Im privaten Bereich gibt es ganz viele Regeln, wo man sich fragen muss, braucht man das alles wie, z. B. das Zerti­fi­kats­un­wesen. Und so weiter. Und dann sind es die ständig wach­senden Perso­nal­um­fänge und Struk­turen in Minis­te­rien und Behörden, die Mehre­big­keit EU, Bund, Länder und Kommunen sowie das teilweise mehrebige Beauf­trag­ten­wesen, zum Beispiel im Daten­schutz.

Letzter Punkt ist für mich die Frage der Kriegs­tüch­tig­keit. Wir werden ohne entspre­chende Rüstung und entspre­chenden perso­nellen Aufbau der Streit­kräfte keine Möglich­keit haben, mit den Russen irgend­wann einen Ausgleich zu orga­ni­sieren. Wir müssen rüsten, das muss schnell gehen, auch um abzu­schre­cken. Und das muss eine hohe Priorität dieser Bundes­re­gie­rung haben, das hat es aber auch.