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EU-Lieferkettenrichtlinie braucht einen neuen Anlauf

Gemein­same Press­e­in­for­ma­tion von acht Wirt­schafts­or­ga­ni­sa­ti­onen

Die EU-Liefer­ket­ten­richt­linie verfolgt zwar ein richtiges und wichtiges Ziel, ist aber in der Praxis für euro­pä­i­sche Unter­nehmen schlicht nicht umsetzbar. Acht große Wirt­schafts­or­ga­ni­sa­ti­onen sprechen sich grund­sätz­lich für eine EU-weite Regelung zum Schutz von Menschen­rechten aus, lehnen den aktuellen Entwurf aber wegen grober hand­werk­li­cher Mängel ab. Insbe­son­dere der Mittel­stand wird durch die geplanten Rege­lungen bei Weitem über­lastet. Sie fordern eine Versach­li­chung der Debatte und appel­lieren an die Bundes­re­gie­rung und weitere EU-Staaten, bei ihrer Position der Enthal­tung zu bleiben. Ziel müsse es sein, einen Geset­zes­vor­schlag zu präsen­tieren, der in der Praxis auch funk­tio­niert und den Schutz von Menschen­rechten sowie die berech­tigten Inter­essen der Unter­nehmen vereint.

Berlin/Frankfurt/Brüssel, 13.02.2024 – Die Wahrung der Menschen­rechte rund um den Globus ist ein Ziel, dem sich deutsche und euro­pä­i­sche Unter­nehmen eindeutig verpflichtet fühlen. Deshalb gelten in ihren Arbeits­s­tätten im In- und Ausland hohe Standards. Die Unter­nehmen tragen maßgeb­lich dazu bei, den Wohlstand auch im globalen Süden anzuheben und die sozialen Standards vor Ort zu verbes­sern. Die schweren hand­werk­li­chen Mängel in der jetzt zur Abstim­mung stehenden EU-Liefer­ket­ten­richt­linie, insbe­son­dere die fehlende Harmo­ni­sie­rung, könnten jedoch dazu führen, dass deutsche und euro­pä­i­sche Unter­nehmen sich aus Märkten und Ländern zurück­ziehen. Dann wäre das Feld offen für andere Markt­teil­nehmer mit deutlich gerin­geren Standards. Damit würde dem eigent­li­chen Ziel der EU-Liefer­ket­ten­richt­linie ein Bären­dienst erwiesen. Daher braucht es eine Regu­lie­rung mit mehr Praxis­bezug und Augenmaß.

Deutlich Kritik üben die acht Wirt­schafts­or­ga­ni­sa­ti­onen auch an der vorge­se­henen zivil­recht­li­chen Haftung für Unter­nehmen und deren Vorstände, Geschäfts­führer und Aufsichts­räte. Deren unkal­ku­lier­bare Risiken würden ebenfalls dazu führen, dass Unter­nehmen sich aus schwie­rigen Märkten zurück­ziehen. Hinzu kommt der viel zu große Anwen­dungs­be­reich der Richt­linie, der weit über den Schutz der Menschen­rechte und die eigenen Produk­tions- und Arbeits­s­tätten der Unter­nehmen hinaus­geht. Unter­nehmen sollen demnach fast alle Stufen ihrer Liefer­ketten global auf Verstöße gegen Menschen­rechte sowie Umwelt- oder Sozi­al­stan­dards kontrol­lieren. Gerade Indus­trie­firmen haben häufig jeweils Zehn­tau­sende oder sogar eine sechs­stel­lige Zahl von Zulie­fe­rern, von denen jährlich ein beträcht­li­cher Anteil wechselt. Viele Betriebe haben gar nicht die Verhand­lungs­macht, um von ihren Liefe­ranten der vorge­la­gerten Stufen den gefor­derten Einblick in die Liefer­kette zu erhalten. Daher ist es sinnvoll, die Sorg­falts­pflichten auf das zu beschränken, was Unter­nehmen auch kontrol­lieren und beein­flussen können − den eigenen Betrieb, die Toch­ter­ge­sell­schaften sowie die Liefe­ranten der ersten Ebene der vorge­la­gerten Liefer­kette, bei denen aufgrund der Markt­macht und des Umsatzes ein Einfluss möglich ist.

Ein wichtiger Grund für die ableh­nende Haltung ist die fehlende Harmo­ni­sie­rung in wesent­li­chen Teilen der Richt­linie. Das grund­le­gende Ziel von Recht­set­zung für Nach­hal­tig­keit muss ein Maxi­malmaß an Harmo­ni­sie­rung sein. Dies wird mit der vorlie­genden Richt­linie nicht erreicht. Ohne hinrei­chend verbind­liche Harmo­ni­sie­rung durch eine Richt­linie droht die Frag­men­tie­rung des EU-Binnen­markts, da inne­r­eu­ro­pä­isch nicht die gleichen Gesetze und Wett­be­werbs­be­din­gungen für Unter­nehmen gelten. Zudem wird den Mitglied­s­taaten damit viel Raum für Inter­pre­ta­tion oder zusätz­liche Rege­lungen („gold­pla­ting“) gelassen. Hier bedarf es im Mindesten einer soge­nannten Binnen­markt­klausel. Andern­falls sind euro­pä­i­sche Unter­nehmen mit 27 verschie­denen Einze­lum­set­zungen konfron­tiert.

Darüber hinaus weisen die Orga­ni­sa­ti­onen darauf hin, dass die Bundes­re­gie­rung bereits im Dezember 2022 eine unter allen drei Regie­rungs­par­teien abge­stimmte Erklärung zur Liefer­ket­ten­richt­linie in Brüssel zu Protokoll gegeben hat, die rote Linien aufzeigte. Unter anderem forderten darin SPD, Grüne und FDP, dass Deut­sch­land nur dann einer finalen Richt­linie zustimmen könne, wenn diese eine „Safe Harbour“-Regelung für Unter­nehmen enthält, die sich Bran­che­n­in­i­tia­tiven ange­schlossen haben. Der Einsatz von aner­kannten Zerti­fi­zie­rungen würde eine wesent­liche Verein­fa­chung bedeuten und Unter­nehmen müssten nicht mehr jeden einzelnen Liefe­ranten von Neuem prüfen. Der aktuell auf dem Tisch liegende Richt­li­ni­en­vor­schlag schließt eine solche „Safe Harbour“-Regelung jedoch explizit aus.