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Europa muss Wort halten, wenn es ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsraum bleiben will

Bürokratieabbau

Gastbeitrag von Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander bei Europe.Table zur Abstimmung über den Omnibus Nachhaltigkeit am Donnerstag im Europäischen Parlament:

Europa steht an einem Wende­punkt. Die Wirt­schaft schwä­chelt, Inves­ti­ti­onen bleiben aus, und die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Indus­tri­e­stand­orts Europa gerät immer weiter unter Druck. Deutschland steckt in der längsten Wirt­schafts­krise seit Bestehen der Bundes­re­pu­blik. In dieser Lage braucht es konkrete und schnelle Entlas­tungen, die bei der Wirt­schaft ankommen. Gerade jetzt ist es entschei­dend, die euro­pä­i­schen Rahmen­be­din­gungen für die Unter­nehmen zu verbes­sern abzubauen – lange genug ange­kün­digt und verspro­chen war es ja bereits, passiert war seitdem nichts. Nun sollte der erste soge­nannte „Omnibus“ der EU-Kommis­sion genau das liefern: Büro­kra­tie­abbau, Verein­fa­chung und mehr Praxis­nähe. Doch bislang ist selbst der erste Omnibus nicht abge­fahren, sondern parkt weiterhin in der Garage – während das Haus brennt.

Am Donnerstag steht die entschei­dende Abstim­mung im Euro­pä­i­schen Parlament an. Es geht um nichts weniger als die Glaub­wür­dig­keit euro­pä­i­scher Politik, die sich die Entbü­ro­kra­ti­sie­rung auf die Fahnen geschrieben hat. Wird das Parlament den Weg für die Trilog­ver­hand­lungen frei­ma­chen – oder bleibt es bei Blockade und Symbol­po­litik?

Der Vorschlag der EU-Kommis­sion ist ein Schritt in die richtige Richtung und der Rat hat bereits im Sommer 2025 eine taugliche Kompro­miss­linie verab­schiedet. Auch im Euro­pä­i­schen Parlament sah es lange nach einem trag­fä­higen Kompro­miss für Verhand­lungen aus. Der feder­füh­rende Rechts­aus­schuss (JURI) hatte unter Bericht­er­statter Jörgen Warborn bereits am 13. Oktober 2025 eine Position verab­schiedet, die ebenfalls eine deutliche Einschrän­kung der Berichts- und Sorg­falts­pflichten vorsah – etwa durch höhere Schwel­len­werte und eine Begren­zung der Sorg­falts­pflichten entlang der Liefer­kette. Alles gut also? Nein, denn das Plenum des Euro­pä­i­schen Parla­ments lehnte diese Position am 22. Oktober 2025 völlig über­ra­schend ab. Seitdem ringen die Frak­ti­onen um einen neuen Kompro­miss. Dabei wäre ein klares Signal der Hand­lungs­fä­hig­keit euro­pä­i­scher Politik so wichtig.

Schon jetzt sind oft mittel­stän­di­sche Zulie­fe­rer­be­triebe, die gar nicht direkt unter die euro­pä­i­schen Vorgaben fallen, dennoch massiv davon betroffen. Sie sollen im Vorgriff auf die kommenden Rege­lungen detail­lierte Nach­hal­tig­keits­kenn­zahlen offen­legen, darunter zu Treib­h­aus­ga­s­e­mis­si­onen, Arbeits­be­din­gungen und ESG-Maßnahmen in der eigenen Liefer­kette. Diese sind aber regel­mäßig nicht ohne zusätz­liche perso­nelle und finan­zi­elle Mittel zu ermitteln. Die klare Sorge: Wer die Zahlen nicht liefert, verliert den Auftrag. Das muss sich ändern.

Mit den geplanten Ände­rungen würde das Thema Nach­hal­tig­keit auch nicht wie oft fälsch­lich behauptet abge­schafft – sondern endlich in vertret­bare Bahnen gelenkt. Die Nach­hal­tig­keits­be­richt­er­stat­tung muss praxi­s­taug­lich und verhält­nis­mäßig sein – und kein büro­kra­ti­scher Albtraum.

Teile des Euro­pä­i­schen Parla­ments wollen den Vorschlag offen­sicht­lich verwäs­sern oder ganz kippen. Bei der Entschei­dung geht um die Frage, ob Europa bereit ist, wirt­schaft­liche Reali­täten ernst zu nehmen. Natürlich begrüßen wir den Willen zur Verein­fa­chung sehr, fordern aber endlich Klarheit für unsere Unter­nehmen. Sie brauchen jetzt Rechts­si­cher­heit, verläss­liche Über­g­angs­fristen und eine klare Planungs­per­spek­tive. Europa muss Wort halten, wenn es ein ernst­zu­neh­mender, wett­be­werbs­fä­higer Wirt­schafts­raum bleiben will!

Die Abstim­mung im Parlament am Donnerstag ist daher ein entschei­dender Lack­mus­test. Für die Reform­fä­hig­keit der EU, für die Glaub­wür­dig­keit der EU-Kommis­sion und für die Zukunft des Indus­tri­e­stand­orts Europa. Denn wenn das Euro­pä­i­sche Parlament sich nicht zusam­men­rauft, stehen alle EU-Insti­tu­ti­onen blamiert da. Der Omnibus muss endlich deutlich an Fahrt aufnehmen – und zwar jetzt.

Europa darf sich nicht länger hinter Ausreden verste­cken. Die Unter­nehmen brauchen ein klares Signal: Der Büro­kra­tie­abbau wird ernsthaft umgesetzt, und die Sorgen der euro­pä­i­schen Wirt­schaft und vor allem der kleineren und mittleren Unter­nehmen werden gehört und ernst genommen. Die Annahme einer trag­fä­higen und ambi­tio­nierten Position im Parlament wäre ein erster, konkreter Schritt. Sie würde Vertrauen schaffen – in die Hand­lungs­fä­hig­keit der euro­pä­i­schen Insti­tu­ti­onen und in eine Zukunft der Industrie in Europa.