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„Bei den Sozialreformen ist die SPD ganz klar der Bremsklotz“

Wirtschaftswende

Im Interview mit der NOZ spricht Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander Klartext. Ob Deutschland wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt, macht er auch von den Sozialdemokraten abhängig.

Drei Viertel der Bürger sind der jüngsten Sonn­tags­frage zufolge unzu­frieden mit der Bundes­re­gie­rung, nur jeder Vierte ist zufrieden. Wozu gehört der Arbeit­ge­ber­ver­treter Oliver Zander?

Ich gehöre zu den eher Zufrie­denen. Der Inves­ti­ti­ons­booster, die vorge­se­hene Senkung der Strom­steuer und Abschaf­fung der Gasspei­cher­um­lage ab 2026, die späte, aber doch einge­lei­tete Redu­zie­rung der Körper­schafts­steuer ab 2028, verbes­serte Abschrei­bungs­mög­lich­keiten für neue Anlagen und der ange­lau­fene Büro­kra­tie­abbau – all das geht in die richtige Richtung, um Unter­nehmen zu entlasten und private Inves­ti­ti­onen anzu­reizen.

Damit allein gelingt aber noch nicht die von Kanzler Merz verspro­chene „Wirt­schafts­wende“ zum Positiven, oder?

Das Problem ist, dass es nicht schnell genug geht. Und dass im Alltag der Menschen und Unter­nehmen Entlas­tungen noch nicht wirklich ankommen. Das erklärt viel­leicht auch die Unzu­frie­den­heit von drei Vierteln der Bürger. Die Regierung muss noch mehr Tempo machen und sollte einge­lei­tete Maßnahmen zugunsten der Wirt­schaft nicht konter­ka­rieren, beispiels­weise den Büro­kra­tie­abbau durch das geplante, inhalt­lich wirklich scheuß­liche Bunde­s­t­a­rift­reu­e­ge­setz. Aktuell ist der Standort Deutschland für die expor­t­o­ri­en­tierte Industrie wegen der Ener­gie­kosten, der Steuern, der Büro­kratie und wegen der Sozi­a­l­ab­gaben zu teuer und damit inter­na­ti­onal nicht ausrei­chend wett­be­werbs­fähig.

Sie spielen auch auf die hohen Sozi­al­bei­träge für Arbeit­geber und Arbeit­nehmer an?

Wir geben inzwi­schen 1,35 Billionen Euro für den Sozi­al­staat aus, und die Kosten­pro­gnosen sind verhee­rend. Schon heute liegt der von Arbeit­nehmer und Arbeit­geber zu zahlende Gesamt­s­o­zi­a­l­ver­si­che­rungs­bei­trag bei 41,9 Prozent vom Lohn, für Kinder­lose sogar bei 42,5. Wenn wir nicht massiv gegen­steuern, und die Beiträge in dieser Legis­la­tur­pe­riode mindes­tens stabil halten, landen wir in zehn Jahren bei 50 Prozent oder mehr. Das ist nicht verant­wortbar, weil wir dann absolut nicht mehr wett­be­werbs­fähig sind – und weil die Menschen den Gegenwert für das, was sie bezahlen müssen, nicht mehr sehen. Und das müssen endlich auch die Sozi­al­de­mo­kraten einsehen. Dass die Wirt­schafts­wende nicht schnell genug vorangeht, liegt am Koali­ti­ons­partner der Union. Bei den Sozi­al­re­formen ist die SPD ganz klar der Brems­klotz. Sie muss sich endlich bewegen und beim Sozi­al­staat Korrek­turen vornehmen, die mehr sind als Kosmetik. Hier müssen CDU und CSU mehr Druck machen.

Wird die SPD zum Risiko für den Bestand der Koalition?

Ohne nach­hal­tige sozi­al­po­li­ti­sche Reformen wird die längste Wirt­schafts­krise seit Gründung der Bundes­re­pu­blik weiter­gehen. Und ohne eine stabile Wirt­schaft gibt es keine stabile Regierung. Die SPD könnte sich also mittel­fristig selbst schaden.

Ist der Kanzler zu schwach, um mutige Sozi­al­re­formen gegenüber der SPD durch­zu­setzen?

Nein, ich sehe derzeit niemanden in der Union, der den Job so gut könnte wie Friedrich Merz. Er kämpft glaubhaft dafür, wirt­schafts­freund­liche Entschei­dungen zu treffen, damit die Wirt­schafts­krise endet.

Umfragen zufolge glauben aber offenbar immer mehr Menschen, nur die AfD könne das Land wieder in die Spur setzen. Die Partei liegt inzwi­schen gleichauf oder manchmal sogar vor CDU/CSU. Fürchten sie den Fall der „Brand­mauer“?

Die Brand­mauer-Debatte ist inzwi­schen eine regel­rechte Obsession. Statt darüber zu streiten, wäre es meiner Meinung nach klüger, sich mit der Program­matik der AfD und deren Auswir­kungen im Detail zu beschäf­tigen. Unab­hängig davon: Wer die Brand­mauer erhalten will, muss Reform­po­litik machen. Brand­mauer und Reform­ver­wei­ge­rung schließen sich gegen­seitig aus. Im nächsten Jahr stehen mehrere wichtige Land­tags­wahlen vor der Tür. Wenn die wirt­schaft­liche Entwick­lung so weiter­geht, die Arbeits­lo­sen­zahlen steigen und die Dein­dus­tri­a­li­sie­rung voran­schreitet, wird es für die Parteien der Mitte ganz schwer. Gelingt es der Bundes­re­gie­rung nicht, die wirt­schaft­liche Lage zu verbes­sern, wird sie in schwerste Fahr­wasser kommen. Vor diesem Hinter­grund ist es doppelt wichtig, dass die Union mehr Druck auf den Koali­ti­ons­partner für nach­hal­tige Reformen bei Bürger­geld, Rente und Gesund­heit macht. Wir wollen den Sozi­al­staat ja erhalten und die Lebens­ri­siken müssen abge­si­chert sein. Aber es gibt zu viel Inef­fi­zienz im System.

Um die Kosten im Sozialen zu senken, werden Praxis­ge­bühren disku­tiert, längere Lebens­a­r­beits­zeiten, und Sie selbst haben vorge­schlagen, den Bezug von Arbeits­lo­sen­geld auf ein Jahr zu verkürzen. Gleich­zeitig wird jede Debatte über ungleiche Vermö­gens­ver­tei­lung im Keim erstickt. Viele Bürger haben das Gefühl, dass immer nur der kleine Mann zur Ader gelassen wird …

Und die Konse­quenz ist dann: Wir erkaufen die Sozi­al­staats­re­form von der SPD mit einer Vermö­gen­steuer, die die Unter­nehmen viel­leicht in noch stärkerem Umfang belastet, als sie durch die Sozi­al­re­form entlastet werden? Da kann ich nur sagen, dann hat man das Ziel der Operation nicht verstanden. Ähnliches gilt für Forde­rungen nach einer höheren Erbschafts­steuer. Private Inves­ti­ti­onen kurbelt man so sicher nicht an, indem man in Deutschland die Steuern für Unter­nehmen erhöht. 90 Prozent der Inves­ti­ti­onen sind privat. Genau die brauchen wir aber dringend, wenn wir mit auslän­di­schen Unter­nehmen konkur­rieren wollen. Außerdem schaffen unter­neh­me­ri­sche Inves­ti­ti­onen Arbeits­plätze und ziehen so Sozi­al­bei­träge und Steuern nach sich.

Apropos Arbeits­plätze: Auch 2026 werden in der Metall- und Elektro-Industrie Prognosen zufolge zehn­tau­sende Jobs abgebaut. Ist diese Entwick­lung überhaupt noch aufzu­halten – zumal ja auch Künst­liche Intel­li­genz (KI) überall Einzug hält?

Es hat in der Vergan­gen­heit in der Metall- und Elektro-Industrie immer Aufs und Abs bei der Beschäf­ti­gung gegeben. Mal waren wir bei rund 3,4 Millionen, dann mal über vier Millionen, derzeit liegen wir bei etwa 3,8 Millionen Beschäf­tigten. Planungs­si­cher­heit, stabile Konjunktur, Export­chancen, Tech­no­lo­gie­füh­rer­schaft – wenn die Rahmen­be­din­gungen stimmen, ist der Arbeits­platz­abbau nicht zwangs­läufig. Ich glaube nicht an die Botschaft: Technik macht arbeitslos. Das ist alter Quatsch. In der Metall- und Elektro-Industrie hoffen wir auf mehr Produk­ti­vität durch KI. Da kann es auch zu Verän­de­rungen beim Personal kommen, ja. Alte Berufs­bilder fallen weg, es entstehen aber auch neue. In jedem Fall benötigen wir gut ausge­bil­dete Leute.

Was die geopo­li­ti­schen und geoöko­no­mi­schen Rahmen­be­din­gungen angeht, hat die Bundes­re­gie­rung aber wenig bis keinen Einfluss. Wenn Mikro­chips und Seltene Erden so verknappt werden, dass hier­zu­lande die Bänder bei Rüstung und Autobau still­stehen, ist das mehr als beun­ru­hi­gend. Diktiert China der deutschen Industrie bald, was geht und was nicht geht?

Nein, so weit sind wir nicht. Und soweit werden wir auch nicht kommen. Die Sensi­bi­lität für beste­hende Abhän­gig­keiten ist in Deutschland und auch EU-weit gewachsen. Überall läuft die Suche nach Auswegen und Alter­na­tiven. Die EU ist die einzige Chance für die Europäer, sich in einer multi­po­laren Welt zu behaupten, schließ­lich können auch China und die USA nicht ohne den euro­pä­i­schen Markt. Die EU könnte gegenüber schwie­rigen Partnern viel schärfere Krallen ausfahren, tut sie aber nicht, weil sie den freien Handel nicht noch mehr schädigen und dem Protek­tio­nismus Vorschub leisten will. Wir haben genug Ressourcen und sind ein starker Kontinent und können uns auf kommende Heraus­for­de­rungen vorbe­reiten. Wir müssen das nur syste­ma­tisch tun. Und da sind natürlich jede Bundes­re­gie­rung und die Kommis­sion in Brüssel in der Pflicht.

Ist da nicht vor allem auch die Inno­va­ti­ons­kraft von Unter­nehmen gefragt?

Sicher, aber das muss sich rechnen und zwar am Standort Deutschland. Und dafür müssen die poli­ti­schen Rahmen­be­din­gungen stimmen, sprich: die verspro­chene Wirt­schafts­wende schnell kommen.